Texas auf dem Weg in den Wandel

Texas auf dem Weg in den Wandel
(Michael Reynolds)

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In Texas ticken die Uhren anders als im Rest der USA. Die Männer tragen dort Cowboyhüte. Und für die Wähler kam lange Zeit nichts anderes in Frage als die konservativen Republikaner. Doch in Texas bewegt sich etwas.

Charles Graham ist ein stolzer Mann. Die langen, dünnen Beine in sorgsam gebügelte Jeans gesteckt, ein weißes T-Shirt unter dem hellblauen Oberhemd, das volle weiße Haar unter einem riesigen Cowboyhut vor der texanischen Sonne geschützt, wirkt Graham viel jünger, als er mit seinen 84 Jahren ist. Graham ist Tierarzt und seit Jahrzehnten einer der erfolgreichsten Pferdezüchter in Texas. „Schau dir diesen Arm an!“, fordert „Doc“, wie ihn alle nennen, einen Besucher seiner Southwest Stallion Ranch auf und rollt den Hemdsärmel zurück. „An dem hat schon so viel Pferdescheiße geklebt, wie du in deinem Leben niemals sehen wirst.“ Und grinsend fügt er hinzu: „Und er hat nie einen Handschuh gesehen.“

Geradezu idealtypisch steht „Doc“ Graham für den Texaner: derb, fleißig, erfolgreich. Und der Texaner steht für Amerika. Wenn am 8. November ein neuer US-Präsident gewählt wird, könnte ausgerechnet in Texas eine Entwicklung zutage treten, die typisch für die USA ist. Die alten Eliten haben Probleme, ihre Vorherrschaft zu behaupten, alte Denkmuster verlassen ihren Geltungsbereich.

Offiziell zum Swing State erklärt

Texas, bislang eine absolute Bank für die konservativen Republikaner, könnte bei der Präsidentschaftswahl 2016 erstmals seit Jimmy Carters Wahlerfolg 1976 wieder demokratisch werden. Die Umfragen sehen die Demokraten in der Hochburg der schwächelnden Konservativen nur noch um drei Prozentpunkte hinten – das liegt innerhalb der Fehlertoleranz der Demoskopen.
Die Meinungsforscher haben Texas offiziell zum Swing State erklärt, zu einem Bundesstaat, der umkämpft ist. Die Demokraten in Austin, Dallas und Houston können ihr Glück noch nicht so recht fassen. Wenngleich die Clinton-Kampagne eilig noch Fernsehspots geschaltet und Bürgerbüros eröffnet hat: „Wir planen eher für 2020“, sagt Tariq Thowfeek, Sprecher der Texas-Demokraten.

„Wir wollen jetzt die Chance nutzen, um die Grundlagen für die nächsten Jahre zu legen.“ Studenten in den angesagten Cafés von Austin, Bildungsbürger in Houston, die Mittelklasse von Dallas – das ist seine Zielgruppe. Erst jüngst hat eine Richterin die Seiten gewechselt, weil der gegenwärtige Zustand der Republikaner nicht mehr mit ihrem christlichen Weltbild vereinbar sei. Thowfeek und seine Demokraten träumen einen Traum: Texas soll irgendwann blau werden, ein Fleck auf der Landkarte der Demokraten.

„Trump ist ein Dealmaker“

„Niemals wird das passieren“, sagt dagegen Sid Miller. Der 61-Jährige war einst einer der besten Rodeoreiter in Texas, beim Calf Roping, einer Disziplin, bei der es gilt, einem fliehenden Kalb möglichst schnell die Lasso-Schlinge um den Hals zu werfen, war er kaum schlagbar. Heute ist Miller Landwirtschaftsminister, berichtet stolz von den großen Farmen, von der Vielfalt der Produkte und der Wettbewerbsfähigkeit. Sogar in Berlin, im KaDeWe, werde jetzt Grillfleisch aus seinem Staat feilgeboten.

Miller steht für das alte Texas. Er gehört dem Beraterstab in Sachen Agrarpolitik für das Wahlkampflager von Donald Trump an. Für Leute wie ihn liegt eine Wahlniederlage der Republikaner in Texas jenseits des Vorstellbaren. „Trump ist ein Dealmaker“, wiederholt Miller mantraartig die Wahlkampfslogans des Kandidaten.

Es gibt derzeit praktisch keinen öffentlich gewählten Amtsträger zwischen den Rinderfarmen rund um El Paso, den riesigen Obstplantagen im Tal des Rio Grande und den Hochhaustürmen der Ölmagnaten von Houston, der nicht der Grand Old Party angehören würde. Die Partei durchdringt die Gesellschaft zutiefst. Für die Vergabe von Land in Texas ist etwa ein Mann namens George P. Bush zuständig – ein Neffe von Ex-Präsident George W. Bush. Vorher war er Immobilien-Investor. Kritiker nennen es Filz.

In Texas leben Menschen, die würden am liebsten nie etwas ändern

Ein paar Stockwerke über Bushs Büro im Texas State Office Building von Austin liegt Millers Arbeitszimmer. Es sieht so aus, wie man sich die Trophäensammlung eines alten Westmannes vorstellt. Ein ausgestopfter Berglöwe fletscht an der Wand die Zähne, die Sofabezüge sind aus Kuhhäuten, die Stühle aus dem Horn texanischer Longhorn-Rinder.
Auf dem Vorzimmer-Tischchen steht ein Schachspiel: Nordstaaten gegen Südstaaten, statt Bauern werden kleine Geschütze übers Brett geschoben. Sein Klingelton auf dem Mobiltelefon passt ins Bild des ewigen Cowboys: das Lied vom Tod, die Titelmelodie des legendären Western-Streifens. Politisch steht Miller in der Kritik. Vetternwirtschaft und Selbstbedienungsmentalität.

In Texas leben Menschen, die würden am liebsten nie etwas ändern. Wie vor 100 Jahren treiben Cowboys in Fort Worth noch immer eine Herde Rinder durch die Straßen der Stadt – zweimal täglich. Ein paar Meilen weiter, in Grand Prairie, tut Steve Dye Dienst, als Chef der örtlichen Polizeibehörde. Drahtig und durchtrainiert ist er mit seinen gut 50 Jahren, passionierter Rodeoreiter. Seinen Leuten gibt er eine längere Mittagspause, damit sie Sport treiben können.

„Es ändert sich etwas“

Dye ist nicht unmodern, aber dennoch konservativ. Typisch texanisch. Fremde? – Findet er gut. „Aber sie verwässern ein wenig unsere Kultur“, meint der Mann, der Recht und Gesetz hütet. Wenn er an Fremde denkt, dann kommen ihm Menschen aus anderen Bundesstaaten in den Sinn, aus Oklahoma, Michigan etwa oder gar Kalifornien.

Fremde kommen aber auch aus Mexiko herüber, und aus anderen Staaten Lateinamerikas. Texas ändert sich. Die alten Familienhierarchien, die das Vererben großer Rinder-Ranches oder ertragreicher Baumwollplantagen an die nächste Generation vorsehen, prägen nicht mehr ausschließlich das Bild. Immer mehr Landwirtschaftsflächen verschwinden zugunsten von Gewerbegebieten oder Wohnsiedlungen. „Wir haben immer noch jede Menge Land“, sagt „Doc“ Graham. „Aber es ändert sich etwas.“