Luxemburger in Brüssel – die Augenzeugenberichte

Luxemburger in Brüssel – die Augenzeugenberichte
(Virginia Mayo)

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Die Situation in Brüssel ist nach den Attentaten angespannt. Luxemburger vor Ort berichten über chaotische Zustände und ihre Ängste. Das Tageblatt hat mit ihnen gesprochen.

Das Tageblatt hat sich mit Luxemburgern unterhalten, die sich zurzeit in Brüssel aufhalten. Sie erzählen, wie sie die Attentate vom Dienstagmorgen erlebt haben und geben ein Bild der chaotischen Zustände in Brüssel.

Anne Reis (26) arbeitet als Lehrerin in Louvain-la-Neuve, wohnt aber in Brüssel. Sie erlebt das Chaos nach den Terroranschlägen aus nächster Nähe und hatte Glück im Unglück: „Ich habe fünf Jahre lang in Brüssel studiert und bin in Belgien geblieben. Ich arbeite im ‚enseignement spécialisé‘ und pflege hier sehr viele Freundschaften. Deshalb kenne ich die Gewohnheiten der Menschen. So viel steht fest: Hätte das Attentat auf die Metrostation Maelbeek 20, 30 Minuten früher stattgefunden, wäre es zu einer noch viel größeren Katatstrophe mit über 100 toten Kindern gekommen. Zum Glück waren viele Schüler bereits angekommen oder im Unterricht. Viele benutzen den öffentlichen Transport, um zur Schule zu fahren. Sie sitzen jetzt zum Teil in den Schulen fest. Ich hatte auch Glück. Ich habe heute Morgen nicht gearbeitet, weil die Kinder Turn- und Religionsunterricht hatten. Andernfalls hätte ich auch die U-Bahn nehmen müssen. Ich lebe in Jette in der Nähe des Stadiums. Hier herrscht ein riesen Chaos. Der Verkehr stockt, alle Straßen sind gesperrt. Dabei waren wir vor einigen Tagen so erleichtert, als man den Terrorist Salam Abdeslam gefasst hatte. Niemand hat hier mit so etwas gerechnet. Sogar die Hochschulen sind mittlerweile geschlossen. Es ist eine Katastrophe.“

Gabriele Ihmsen (26) , Studentin Brüssel: „Mir geht es gut. Ich bin mit meinem Freund und einer Freundin bei mir in der Wohnung. Wir haben unsere Koffer gepackt, um nach Luxemburg zu fahren. Meine Freunde sind auch in Sicherheit. Unter ihnen ist auch die Luxemburgerin Lisa Depelchin. Sie wohnt in Schaerbeek, was zu großen Problemen führt. Mittlerweile stockt der gesamte öffentliche Verkehr, es fahren keine Taxis mehr. Wir wissen nicht richtig, was wir tun sollen, außer in der Wohnung zu bleiben und Nachrichten zu schauen. Die Lage auf den Straßen ist katastrophal. Auf der ganzen Avenue de la Couronne, die unter anderem zur Autobahn führt, staut es. Eine meiner Freundin, die im Europavierteil unweit der Explosion arbeitet, muss im Bürkomplex bleiben. Die Unis werden mittlerweile evakuiert, die Vorlesungen unterbrochen.“

Alex Donnersbach (24) studiert in Brüssel: „Ich bin heute Morgen zwar zuhause geblieben, aber man kriegt trotzdem mit, was da draußen läuft. Alle Luxemburger in Brüssel kommunizieren über die sozialen Medien miteinander. Viele Freunde haben mir geschrieben und gefragt, wie es mir geht. Mein Bruder ist in der Militärschule und anscheinend haben sie die abgesperrt. Die Universität wollte nicht schließen, hat den Leuten aber geraten zu bleiben, wo sie sind. Die Kurse werden nochmal abgehalten. Die Leute sind sehr nervös und einige meiner luxemburgischen Freunde wollten zurück nach Hause fahren. Ich wollte eigentlich heute ins Theater gehen, aber ich bleibe heute sicherlich daheim.“

Filipe Costa (27) ist Trainer der Futsal-Mannschaft von Déifferdeng 03 und sollte eigentlich am Dienstagmorgen um 11.00 Uhr ein Kundengespräch in Brüssel führen. „Es ist sehr chaotisch auf den Straßen“, schilderte er die Lage. Der Verkehr lag zu diesem Zeitpunkt bereits komplett lahm. Immer wieder wurde über Twitter von weiteren Anschlägen berichtet. Die Polizei hat mehrere Umleitungen angeordnet und ständige Rettungsgassen für die Krankenwagen eingerichtet. „Ich werde noch einen Tag bleiben“, sagt Costa, der seinen Kunden eigentlich am Mittwochmorgen am Brüsseler Flughafen absetzen sollte. „Man merkt den Leuten deutlich an, wie angespannt sie sind. Es kann zu jedem Moment etwas Schlimmes passieren.“

Edgar Makanga (27), ein Sportjournalist des Voetbalkrant.com, lebt im „Quartier européen“ und hat erst beim Blick auf sein Mobiltelefon gemerkt, dass etwas Schlimmes die Stadt erschüttert haben muss. Viele Freunde haben ihn gleich angeschrieben, um sich nach seinem Zustand zu erkundigen. „Ich werde das Haus heute nicht verlassen“, erklärt er und fügt hinzu, dass er seither nicht vom Fernseher gewichen ist, um alle Neuigkeiten zu verfolgen. Er berichtet ebenfalls von einem Polizei-Helikopter, der seit dem frühen Morgen über dem Stadtteil kreist.

Lisa, Studentin an der Université libre de Bruxelles. „Ich war gerade unterwegs, als es passierte und bin dann direkt zu einem Freund. Ich wusste nicht, ob es sicher wäre, noch mit dem Bus zu fahren. Kurz darauf kam dann auch die Mitteilung, dass alle öffentlichen Transporte gestoppt werden. Wir warten nun zu zweit in seiner Wohnung beim Bois de la Cambre und versuchen herauszufinden, ob wir trotzdem zur Uni müssen oder nicht. Hier ist es momentan ruhig und wir hören nichts von dem ganzen Chaos.“

Anne-Marie Thibaut (21): „Wir sind seit heute Morgen in der Schule eingesperrt. Wifi und Telefone sind alle überlastet und viele weinen, weil sie niemanden aus ihrer Familie oder dem Freundeskreis erreichen können. Es herrscht ziemliche Panik. Wir müssen hier bleiben, bis weitere Infos kommen. Aber niemand weiß, ob nicht noch etwas geschehen wird. Das macht uns allen Angst.“

Maïté S. (21): „Unsere Klasse war schon im Bus Richtung Ambleteuse zu den Classes vertes unterwegs, als die Explosionen geschahen. Eine Stunde vorher hatte ich selbst die betroffene Metro genommen. Ich hatte also nochmal Glück. Momentan sind wir in Frankreich, obwohl es anfangs nicht sicher war ob wir fahren würden. Wir standen längere Zeit mit unserem Bus auf einem Parklpatz nahe der Metro Zeria, das ist die betroffene Ligne 5. Alle Studenten hatten diese genommen – zum Glück schon gegen 8 Uhr, bevor die Explosionen stattfanden. Über die Grenze sind wir ohne Probleme gekommen, Kontrollen haben wir unterwegs im Bus keine begegnet. Das einzige, was wir gesehen haben, ist ein Helikopter der über den Dörfern kreist..“

Maï Differding ist derzeit in Brüssel als angehende Grundschullehrerin tätig. Als sie und ihre Kollegen vor der ersten Unterrichtsstunde von den Geschehnissen hörten, dachte man anfangs noch an einen (erneuten) falschen Alarm. Als sich die schrecklichen Nachrichten gegen 9.30 Uhr bestätigten, durfte sie sich vor ihrer Klasse nichts anmerken lassen. Erst in der Pause klärte die Schuldirektorin die Kinder über die Attentate auf. „Ich hätte niemals gedacht, dass ich eines Tages meinen Lieben mitteilen müsste, dass es mir gut geht, da nur drei Kilometer von mir Bomben explodieren würden.“ Einige der Eltern holten die verängstigten Kinder ab, andere mussten von den Lehrern beruhigt werden, da sich die Panik rasend schnell verbreitete. „Ich hätte niemals gedacht, dass ich mir eines Tages Gedanken machen müsste, ob es meinen Freunden gut geht, da sie normalerweise auch mit dem Metro unterwegs sind. Leider habe ich es heute tun müssen.“ Doch sie hatte auch gleich das passende Schlusswort parat: „Bruxelles, ma belle… tu vas voir, l’amour vaincra!“