Der „Verräter“ am Ziel seiner Wünsche

Der „Verräter“ am Ziel seiner Wünsche
(AFP/Andressa Anholete)

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Der unpopuläre Politikveteran Temer wird neuer brasilianischer Präsident.

Mit der Absetzung der brasilianischen Präsidentin Dilma Rousseff ist Michel Temer am Ziel seiner Wünsche: Der bisherige Vizepräsident, der bereits seit der Suspendierung der Sozialistin im Mai als Interimspräsident die Staatsgeschäfte führte, rückt nun selbst an die Staatsspitze. Dem 75-jährigen Politikveteranen von der Mitte-Rechts-Partei PMDB ist damit durch politische Winkelzüge das gelungen, was ihm seit Jahren an den Urnen verwehrt geblieben war.

Für Rousseff und ihre Anhänger ist die Amtsenthebung nichts anderes als ein „Putsch“ und Temer ein „Verräter“ oder „Chef einer Verschwörung“, um die demokratisch gewählte Staatschefin aus dem Amt zu drängen. Trotz der mangelnden Legitimation durch Wahlen ist Temer entschlossen, bis zur nächsten Präsidentenwahl Ende 2018 im Amt zu bleiben. Seine Hoffnung ist, bis dahin seinen Rückhalt bei den Brasilianern zu stärken, von denen laut Umfragen derzeit nur 14 Prozent hinter ihm stehen. Temer ist kein charismatischer Populist, der die Massen mitreißt. Eher entspricht er dem Typ des gerissenen Fuchses, der Chancen zu nutzen weiß.

Sohn libanesischer Einwanderer

Temer wurde 1940 im Bundesstaat São Paulo als jüngster Sohn libanesischer Einwanderer geboren. Er profilierte sich als Verfassungsrechtler und war wiederholt Präsident des Abgeordnetenhauses. Lange war er den Brasilianern vor allem bekannt, weil er mit einer Jahrzehnte jüngeren Ex-Schönheitskönigin verheiratet ist, die bald ein Kind von ihm zur Welt bringen wird. Temer hat bereits fünf Kinder aus drei Ehen. Seit 15 Jahren ist Temer Vorsitzender der PMDB, die an sämtlichen Regierungen seit 1994 beteiligt war. Im vergangenen Herbst legte er einen wirtschaftspolitischen Entwurf mit dem Titel „Eine Brücke in die Zukunft“ vor.

Darin ging er mit Rousseffs linker Arbeiterpartei hart ins Gericht und warf dem Koalitionspartner „Exzesse“ und „Verschwendung“ vor. Seine Gegenrezepte: rigide Sparpolitik, Steuererleichterungen für Reiche, Stopp der Sozialprogramme für die Ärmsten der Armen. Im Dezember vollzog er dann den Bruch in einem „persönlichen Brief“ an die Präsidentin. Voller Bitterkeit warf er ihr darin vor, ihn stets verachtet und als „Staffage“ behandelt zu haben. Auf Anrufe aus dem Präsidentenpalast reagierte er fortan nicht mehr. Ende März ließ Temers Partei das Regierungsbündnis mit Rousseff platzen und leitete ein Amtsenthebungsverfahren ein, das im Mai zu ihrer Suspendierung führte, woraufhin Temer als Vizepräsident automatisch die Staatsführung übernahm.

Besonders peinlich war, dass seine Antrittsrede als Übergangspräsident schon Wochen vorher an die Öffentlichkeit gelangt war. In der Rede bezeichnete Temer es als seine „große Mission“, das Land „zur Ruhe zu bringen und zu einen“. Dabei ist Brasilien nicht zuletzt wegen seiner politischen Winkelzüge so tief gespalten. Die meisten Wähler wünschen sich, dass auch Temer aus dem Amt scheiden möge. Es ist nicht ausgeschlossen, dass auch gegen Temer ein Amtsenthebungsverfahren eingeleitet wird – wegen der Verwicklung in Korruptionsaffären.