Eine Präsidentin kämpft ums Überleben

Eine Präsidentin kämpft ums Überleben
(AFP/Christophe Simon)

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Dilma Rousseff steht stark unter Druck. Am Sonntag demonstrierten Hunderttausende quer durch das ganze Land.

Seit die Polizei bei Ex-Präsident Lula klingelte, ist Brasilien in Aufruhr. Ein Richter gegen die Regierung, viele Bürger fordern den Sturz von Präsidentin Rousseff, der sie Mitwisserschaft im riesigen Korruptionsskandal vorwerfen – droht Chaos kurz vor Olympia in Rio?

Sie ist zäh, keine Frage. Was muss diese Frau alles aushalten. Keine zehn Prozent Zustimmung mehr, der wichtigste Koalitionspartner erwägt nun den Bruch der Koalition. Und die Bürger protestieren massenhaft lautstark auf der Straße gegen Brasiliens Staatspräsidentin Dilma Rousseff. Und wenn sie sich im Fernsehen an das Volk wendet, gehen sie auf ihre Balkone und trommeln auf ihren Kochtöpfen – Hass macht sich breit, der Slogan lautet: „Dilma raus“.

Rousseff in Sträflingsuniform

Für die Demos am Sonntag sagten via Facebook Hunderttausende zu. An der Copacabana in Rio de Janeiro schwenkt Paulo Pinheiro aufgeblasene Puppen von Rousseff und ihrem Amtsvorgänger Luiz Inácio Lula da Silva, beide in schwarz-weißer Sträflingsuniform. „Sie haben unser Geld geraubt, was für eine unglaubliche Korruption“, wettert der Versicherungskaufmann.

Die Nationalhymne wird intoniert, tausende Menschen in den Landesfarben gelb, grün blau – hier demonstriert die Mittel- und Oberschicht Brasiliens, die nur eines will: Weg mit der regierenden Arbeiterpartei, die ihrer Meinung das Land ruiniert.

Die Demonstranten fordern den Sturz der bis Ende 2018 gewählten Rousseff. Warum? Da ist in erster Linie der milliardenschwere Schmiergeldskandal um Auftragsvergaben des halbstaatlichen Ölkonzerns Petrobras an Baufirmen – die für Zuschläge Provisionen an Politiker abführen mussten.

Zugespitzt hat sich die Lage durch die drohende U-Haft für den Gründer der linksorientierten Arbeiterpartei und einst gefeierten Ex-Präsidenten Lula. Ihm wird Geldwäsche und die Verschleierung von Vermögen vorgeworfen, von einem Baukonzern soll er ein Apartment an der Altantikküste bekommen haben, was er bestreitet.

Einseitiger Feldzug

Die Anhänger Lulas und Rousseffs wiederum werfen der Justiz, allen voran dem für die Korruptionsermittlungen zuständigen Richter Sérgio Moro, einen einseitigen Feldzug gegen die linke Arbeiterpartei vor. Aber da ist auch der ökonomische Absturz, 2015 minus 3,8 Prozent bei der Wirtschaftsleistung, das Land schlittert in die tiefste Rezession seit 1930.

Überbordende Bürokratie, fehlende Strukturreformen, hohe Abhängigkeit vom Rohstoffexport. Zehn Prozent Inflation und damit weniger Kaufkraft, 9,1 Millionen Arbeitslose. Immer häufiger werden Gehälter im öffentlichen Dienst nicht oder stark verspätet gezahlt.

Es sind entscheidende Tage für die frühere Guerillakämpferin, die seit ihrer Wiederwahl 2014 wenig Fortune hat. Rousseffs wichtigster Koalitionspartner, die Partei der demokratischen Bewegung (Partido do Movimento Democrático Brasileiro – PMDB) votierte am Samstag für ein mögliches Ende der Zusammenarbeit – sie bekommt eine Gnadenfrist von 30 Tagen, dann soll die Parteispitze um Vizepräsident Michel Temer entscheiden.

Sie hat mächtige Feinde, allen voran Parlamentspräsident Eduardo Cunha, pikanterweise ausgerechnet von der PMDB. Er hat ein Amtsenthebungsverfahren gegen sie initiiert. Ihr helfen könnte, dass Cunha der Prozess gemacht werden soll, weil er fünf Millionen Dollar Schmiergeld angenommen und auf Schweizer Konten deponiert haben soll.

Wird Rousseff noch die Olympischen Spiele eröffnen?

Rousseff kann kaum noch mit Reformen und Sparpaketen gegensteuern, da es eine gerade von Cunha initiierte Blockade zwischen Parlament und Regierung gibt. De facto wird kaum noch regiert. Die politische Krise ist fast tiefer als die ökonomische. Senatorin Marta Suplicy, über 30 Jahre bei der Arbeiterpartei, heute bei der PMDB, wettert, die Regierung sei „korrupt und inkompetent“, Rousseff isoliert.

Auch in Rousseffs eigener Partei wächst die Zahl der Kritiker, ein Befreiungsschlag nicht in Sicht. Ihr rettend zur Seite steht noch der einflussreiche PMDB-Flügel aus Rio, angeführt von Gouverneur Luiz Fernando Pezão und Bürgermeister Eduardo Paes, dem Ambitionen auf die Präsidentschaftskandidatur 2018 nachgesagt werden. Die Regierung überweist viel Geld für Projekte nach Rio. Ist sie erpressbar?

Als jüngst eine Mail von Paes an das Internationale Olympische Komitee publik wurde, dass die Metro zum 40 Kilometer vom Zentrum entfernt liegenden Olympiapark wegen Geldproblemen wohl nicht fertig werden könnte, vermuteten viele: Brasília soll mehr Geld geben. Die 68-Jährige ist so unter Druck, dass sich viele Bürger fragen: Werden die Olympischen Spiele in Rio de Janeiro überhaupt noch von einer Präsidentin Rousseff am 5. August im Maracanã-Stadion eröffnet?