Keine „liberale“ Brille

Keine „liberale“ Brille
(Alain Rischard/editpress)

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Weshalb viele Analysen Rechtspopulismus nicht verstehen

Spätestens im Vorfeld der Wahl in den Niederlanden wird es deutlich: So ziemlich jeder zweite Versuch, das Phänomen Rechtspopulismus zu interpretieren, scheitert. Dies beginnt bereits bei der Terminologie. Was eigentlich unter Rechtspopulismus zu verstehen ist, lässt sich je nach Autor oder Perspektive kaum noch einordnen. Klassisch konservative Strömungen, europafeindliche Gesinnungen und rechtsextreme Parteien werden ohne Trennschärfe im gleichen Atemzug behandelt. Dass dies wenig fruchtbar ist, um Gestalten wie Donald Trump, Marine Le Pen, Frauke Petry oder jetzt eben Geert Wilders zu verstehen, liegt auf der Hand. Was jedoch auffällt, ist die Vereinnahmung dieser Phänomene durch die jeweiligen Interessengruppen. Besonders die Wahl Trumps verdeutlichte dies.

Für die einen ist er das Resultat einer ungerechten Wirtschaftsordnung, für andere ist er das Gesicht der Globalisierungsgegner und für die ganz Kreativen wird Trump zur Marionette, die von Russlands Präsident Wladimir Putin gesteuert wird und quasi als russischer Spion im Weißen Haus den Deep State von innen aushöhlt. Nach mehr als 50 Tagen Trump im Amt scheint jedoch deutlich zu werden, dass keine der besagten Lesarten auch nur annähernd einen langfristig sinnvollen Analyse-Ansatz bietet. Wer Rechtspopulisten aus einer reinen Klassenkampf-Logik zu verstehen versucht, unterschätzt rassistische, frauenfeindliche und homophobe Reflexe, die man nicht erst in den USA suchen muss, sondern auch bei uns findet – da ist das kleine Luxemburg wahrlich keine Ausnahme. Wir können zumindest von Glück reden, dass sich bislang noch keine charismatische rechte und ansatzweise intelligente politische Figur an die Hebel einer Partei oder Bewegung verirrt hat.

Mindestens genauso stumpf sind jedoch jene Analysen, die Trump quasi zum Gesicht eines globalen protektionistischen Trends machen. Diese Sichtweise verharmlost etwa die komplett altmodischen Ansichten Trumps und versucht eine immer stärker globalisierte und digitalisierte Welt, deren Wirtschaftsmodell international strukturiert ist und den Multilateralismus als Voraussetzung betrachtet, zu ignorieren.

Blickt man auf das prinzipielle Desinteresse der Niederländer, aber auch der Europäer an den bevorstehenden Wahlen in Amsterdam, bleibt ein bitterer Nachgeschmack: So recht scheint niemand den Rechtspopulismus in den Niederlanden zu durchdringen. Doch gerade hier zeigen die Tageblatt-Reportagen der letzten Tage, dass die nach außen so liberalen Niederländer, die mit Wilders liebäugeln, wohl gar nicht so liberal sind. Ähnlich wie in den USA sind es die von der weiten Öffentlichkeit kaum wahrgenommenen Regionen, in denen klassische, für viele nicht mehr nachvollziehbare Werte noch eine zentrale Rolle spielen. Dies soll mit Verlaub kein Plädoyer für diese Art der rückwärts gewandten Weltanschauung sein. Allerdings werden wir bei jeder bevorstehenden Wahl unser blaues Wunder erleben, wenn die „liberale“ Brille nicht abgenommen wird.

Nicht alle Wilders-Wähler sind Rechtsextreme. Aber sie sind auch nicht nur Opfer sozialer Ungerechtigkeit. Viele sind ganz einfach typisch erzkonservative Spießbürger, die sich im klassischen Parteienspektrum nicht mehr wiederfinden – Rechtspopulismus hin, Rechtspopulismus her.