Licht und Schatten

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Die digitale Revolution hat der Fotografie völlig neue Möglichkeiten eröffnet: Doch wo viel Licht ist, da ist auch viel Schatten – wer sollte dies besser wissen als die Fotografen?

Stichwort HDR (High Dynamic Range): Mit dieser Technik kann man heute eine ungeahnte Bandbreite an Farb- und Tonschattierungen zu Papier (oder auf den Bildschirm) bringen: Verbrannte Lichter oder zugesoßte Schatten, das war einmal.

Francis Wagner
fwagner@tageblatt.lu

Wunderbare neue Fotografenwelt demnach?

Doch zeigt gerade HDR besonders schön die Tücken der neuen Technik auf: Wer sich Fachmagazine wie den US-amerikanischen Outdoor Photographer anschaut, der dem gehobenen Amateur Hilfestellung bei der Realisierung besserer Naturfotos leisten will, der ist des artifiziellen Looks, der knalligen Farben, der total unnatürlichen Tonalität der Bilder spätestens nach dem dritten Portfolio unrettbar überdrüssig.

In dieser Welt der Lollipopfarben sind alle Felsen den ganzen Tag lang – ja vermutlich sogar bei Nacht, wenn’s denn sein müssen sollte – sonnenaufgangsrot, alle Himmel tintendunkelblau, und der Forst, der grünt so grün, dass dem röhrenden Hirsch spätestens zur Mittagspause ganz schlecht davon sein dürfte.

Der „Half Dome“ und die Gummibärchen

Klar, die Gilde der Naturfotografen kann nicht in alle Ewigkeit dem großen Meister und Übervater Ansel Adams (dem Duane Michals schon vor 30 Jahren scherzeshalber den „Grand Prix de l’arbre à travers la gueule“ verliehen hat) zu Füßen liegen.

Auch in dieser Kunstrichtung muss es Fortschritte – inhaltliche ebenso wie gestalterische oder technische – geben. Doch darin liegt ja nicht das Problem.

Dieses besteht vielmehr darin, dass mit neuen technischen Möglichkeiten früher oder später auch der Machbarkeitswahn unbarmherzig zuschlägt: Meine Kamera und meine Bildverarbeitungssoftware erlauben mir, den „Half Dome“ im Yosemite Park künftighin auch in Gummibärchenfarben wiederzugeben? Toll, dann mach’ ich das auch!

Das Resultat mag zum Steinerweichen kitschig sein: Allein, das soll meinem kreativen Furor nicht Einhalt gebieten! Ich hab einen Tausender in Photoshop investiert, dann darf ich aus dem Programm auch ohne Rücksicht auf Verluste alles rausquetschen, was drinsteckt.

Große Naturfotografie interpretiert die Natur auf eine Weise, die dem Betrachter ihre Schönheit, ihre Faszination vermittelt, ohne dass er selber physisch vor Ort präsent ist. Sie macht eigentlich Lust und Neugier auf Natur.

Der völlig uninspirierte Pixelmüll, der in letzter Zeit Websites, Zeitschriften und Galerien verunstaltet, gibt dem Betrachter dagegen eher Lust, mal wieder einen richtig schön zubetonierten Supermarktparkplatz in natura zu betrachten.

Der ist zwar möglicherweise fast ebenso hässlich, aber halt eben auch viel weniger kitschig als das unsägliche Geknipse, mit dem ganze Armeen von ebenso ambitionierten wie talentlosen, dafür aber technisch hoch gerüsteten Knipsklempnern die gesamte Kunst der Lichtbildnerei in Verruf zu bringen drohen.

Die Schönheit liegt im Auge des Betrachters. Sicher. Aber der Kitsch semmelt ihm voll eine rein.