Cyborgs leben länger

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Transhumanismus ist kein Glaube, sagt Yves Greis.

In der letzten Woche veröffentlichte das Tageblatt einen Beitrag des Mediziners Nicolas Hoffmann, in dem er lange ausholt, um sich kritisch, allerdings nicht richtig mit dem Thema Transhumanismus auseinanderzusetzen.

In dem Text wird Transhumanismus als „Glaube“ und „Neo-Religion“ bezeichnet. Das ist er nicht! Transhumanismus ist in erster Linie die Überzeugung, dass der Mensch Technik nutzen sollte, um sein Leben zu verbessern. In zweiter Linie ist es die Überzeugung, dass die Evolution erratisch verläuft und der Mensch das Recht hat, in die eigene Evolution einzugreifen.

Für die meisten Menschen ist das eine Selbstverständlichkeit. Herzkranken implantiert man einen Herzschrittmacher. Amputierte benutzen immer fortschrittlichere Prothesen.

Transhumanisten befürworten solche Veränderungen nicht nur im Notfall, sondern proaktiv. Auch gibt es längst, anders als im Text suggeriert, ein Wort für Wesen, die Teil Mensch und Teil Maschine sind: Cyborg. Jeder, der einen Herzschrittmacher oder sonst ein Implantat hat, ist der Definition nach ein solcher Cyborg.

Transhumanisten sehen den Tod als etwas Negatives an. Sie suchen nach Wegen, das Altern zu stoppen und das Leben zu verlängern und sind optimistisch, dass die Forschung das leisten kann. Mit Religion oder Glaube hat das alles nicht das Geringste zu tun.

Garde-fou
17. September 2018 - 14.49

Allem Vorweg: Danke Herr Greis für diesen Kommentar, und dass sie Transhumanismus und KI hier zum Thema gemacht haben! (Leider) stehe ich beiden Themen mit Skepsis und Misstrauen gegenüber. Prothesen haben natürlich ein großes Upside, und zwar erlauben sie es dem verunglückten Menschen ein besseres oder längeres Leben zu führen. (Den Kader hier sprengen würde jetzt die philosophische Stellungnahme über Pro-/Contra zum Thema "Survival of the Fittest" auf einer Erde und in einer Zeit der Ueberproduktion, des Ueberkonsums und der Wegwerfgesellschaft, deshalb vereinfache ich die Stellungnahme abstrakt mit "alles was das Leben verbessert oder verlängert sollte positiv eingestuft werden). Der Haken ist aber, dass es wie so oft "gut/schön/sinnvoll" anfängt und verkauft wird. Die andere Seite der Medaille kommt immer erst später, Jahre später. Da denke ich in einer Ueberwachungs-/Kontrollzeit an die RFID-Chips die sich schon Leute freiwillig unter die Haut setzen lassen ("weil es praktisch ist"...), oder einfach an die immer sinkende Aktzeptanz oder Toleranz gegenüber dem "Unperfekten Körper" (geschaffen und gefördert durch die Medien, und möglich gemacht durch Kleidung, Make-Up und Schönheitsoperationen, und später evtl Transhumanismus). Ein mögliches Endprodukt einer solchen Gesellschaft könnte man in "Welcome to Gattaca" sehen, oder halt in "A.I.", wo es dann schon beim unperfekten Kind anfängt, was man ändern möchte. Das Gleiche gillt der KI. Genug Arbeit ist jetzt schon nicht mehr vorhanden, was zu Frustration und Intoleranz in der Gesellschaft führt (zwar über Umwege, aber das ist ein Resultat), und die Robotisierung treibt diese Spirale weiter. Der neue Google-Assistant, der vor 6 Monaten vorgestellt wurde war schon sehr beeindruckend was Dialogueführung angeht, und auch im artistischen Bereich (einstiger Zufluchtsort des Menschen, wo Gefühle nötig waren um etwas zu schaffen, ..., or so they say) haben Programme bewiesen, dass auch mit "0" und"1" Schönes geschaffen werden kann. Ich kenne sicherlich die Zukunft auch nicht, aber leider kann man aus der Entwicklung der letzten 100 Jahre extrapolieren wie die Zukunft sein kann, und "Menschlichkeit" ist sicher nicht das Wort mit dem man die letzten 100 Jahre beschreiben würde, so gut die Anfangsabsichten auch sein mögen... Letztens war im Tabelatt auch ein Interview zum Thema KI, wo der Interviewte solche Sorgen herabgespielt und belächelt hat: "wir seien noch weit davon entfernt". Als ob das ein Argument sei... Der Teufel liegt eben im Detail: "NOCH" sind wir weit davon entfernt,. Die Fortschritte gehen aber exponentiell schnell weiter, demnach geben 20 - 40 Jahre Forschung (wenn es dann so lange dauert) genug Spielraum um da weiter zu kommen, und das ist nun wirklich nicht viel Zeit für die Menschen...

HeWhoCannotBeNamed
17. September 2018 - 13.51

Zur transhumanistischen Teleologie : praktisch alle Interviews die mir untergelaufen sind, beschwören das Bild eines Menschen der Zukunft, der sich selber per digitale Technik verändert, rekonstruiert, usw. Transhumanistische Forscher an US-Universitäten versuchen, das Bewusstsein zu decodieren, um es in ein Programm umzuschreiben. Kein Telos? Zur Religion : stimme ich teils zu, aber Religion ist weitaus mehr als etwas, das "mit Göttern zu tun hat" - sozialwissenschaftlich gesehen eine zu eingeschränkte Definition. Weltweit gesehen sind theistische Religionen eher sogar die Ausnahme (cf Buddhismus, "Geisterglaube", Ahnenkulte usw). Hier ist wohl nicht der Platz um die Definition von Religion zu debattieren (ganze Bücher reichen nicht), aber wichtige Schlüsselelemente sind die symbolische Dimension (richtig, wie im Kommunismus, usw.) und die Unterscheidung zwischen sakral und profan. Interessant dazu ein Zitat von M.Mauss aus dem Jahr 1906 : "Si les dieux de chacun à leur heure sortent du temple et deviennent profanes, nous voyons par contre des choses humaines et sociales – la patrie, la propriété, le travail, la personne humaine – y entrer l’une après l’autre". Und nochmal : ob es eine Religion "IST" oder nur eine Ersatzreligion, ist Ansichtsache. Aber die Behauptung "hat nichts damit zu tun" ist realitätsfremd. Zum Individualismus : natürlich sind Transhumanisten im höchsten Grad individualistisch. Es geht um individuelles Anliegen - ein solches Gedankengut kann nur in einer Gesellschaft gedeihen, in dem das Individuum und der technische Fortschritt idealisiert werden. Zum Tod : ich meinte dass der Transhumanismus dem Menschen eine Aussicht auf eine (Weiter-)Leben nach dem (biologischen) Tod gibt. Körper und Bewusstsein : es ist die transhumanistische Auffassung (nicht meine), dass das Bewusstsein ein reines Produkt des Gehirns ist und das Individuum ausmacht. Aber damit leider von einer biologischen Fehlkonstruktion (unserem Körper) abhängig ist. Auch diese rein materialistische Sicht ist nicht wertneutral, sondern eine MöGLICHE Sicht, was der Mensch ist (Alternative : zB der Holismus). Problematisch dabei ist, dass die Transhumanisten dabei die ethischen Fragen auf den Fortschritt und die Wissenschaft reduzieren. Frei nach Big Bang Theory : "Warum?" - "Weil wir's können!"

Yves Greis
17. September 2018 - 12.08

Vielen Dank für Ihren Input, Der Transhumanismus ist eine lebendige und weit verästelte Idee. Transhumanisten decken sicher das gesamte politische Spektrum ab und es kursieren sehr viele Ideen darüber, wie die Zukunft aussehen wird oder aussehen sollte. Das alleine kann man Transhumanisten allerdings sicher nicht ankreiden, da wohl jeder Mensch solche Überlegungen anstellt. Ich lese aus ihrem Beitrag heraus, dass Sie teleologische Sichtweisen ablehnen und das tun auch sicher viele Transhumanisten. Und selbst die die welche haben, haben unterschiedliche teleologische Ansichten und nicht jede davon nennt einen kollektiven erzwungenen Upload als Idealvorstellung, so wie sie es suggerieren. So etwas habe ich bis dato noch nie gehört. Vielmehr ist für viele Transhumanisten Individualität ein hoher Wert. Religion hat, so wie ich das sehe, immer etwas mit Göttern zu tun oder doch wenigstens eine spirituelle Komponente. Eine solche Komponente sehe ich beim Transhumanismus nicht. Natürlich geht es um Überzeugungen, das bestreite ich nicht. Aber ihrer Argumentationslinie folgend wären, Sozialismus, Kommunismus, Kapitalismus, Carnismus und Nationalismus auch Religionen. Ob der Transhumanismus Aussagen über das Leben nach dem Tod macht ist ein definitorisches Problem. Wird der Tod als Herztod oder Hirntod (aktuelle Debatte in Deutschland) definiert, dann ja. Geht es aber um das Ende des Bewusstseins, dann nein. Ist ein Bewusstsein ausgelöscht – egal ob aus dem Gehirn oder von einer Festplatte – dann ist es weg (Atheismus) oder in einer übernatürlichen Sphäre (Religion). Natürlich können Sie die menschliche Ratio als "geheimnisvolle Kraft" bezeichnen, das macht sie allerdings noch lange nicht zu etwas Übernatürlichem. Ihre Aussage, dass Bewusstsein immer vom Körper erzeugt wird – ich nehme an sie meinen einen biologischen Körper – müssten Sie näher ausführen. Sicherlich machen Sie damit sehr viele Forscher in der K.I.-entwicklung sehr unglücklich. Yves Greis

Jeck Hyde
17. September 2018 - 11.01

A wat seet de Rifkin dann ?

HeWhoCannotBeNamed
17. September 2018 - 8.14

Nicht das Geringste zu tun? Sehen wir uns das mal näher an : der Transhumanismus basiert zunächst mal auf einer überzeugung, was der Mensch IST (Körper und Bewusstsein, letzteres wird nur vom ersten erzeugt). Er macht eine Aussage darüber, was der Mensch in der Zukunft sein soll bzw sein wird (nur noch Bewusstsein, getrennt vom Körper und basierend auf Programmen, Chips, Silizium). Der Transhumanismus bietet den Menschen eine Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod, und möglich sein wird dies erst mit dem Glauben an diese eine große "Kraft" : die menschliche Ratio!! Wir können nun Haarspalterei betreiben und sagen, der Transhumanismus "ist" keine Religion, aber er erfüllt die gleichen Zwecke (Aussagen darüber, wo der Mensch herstammt, was er ist, wo er hingeht; Darstellung von einem Leben nach dem Tod) und bezieht sich auch auf eine geheimnisvolle "Kraft" die das alles ermöglicht (die Ratio, die als etwas sakrales dargestellt wird). Manche Transhumanisten glauben, dass ihre Arbeit im Dienste der Forschung ihre Berufung ist, im Sinne von einer höheren Aufgabe für den Menschen - als ob wir alle irgendwann als Programm enden "müssen"! Ich verstehe ihre pragmatische Herangehensweise - philosophisch und anthropologisch gesehen ist sie aber äußerst naiv!! (cf. Beiträge und Interviews mit Transhumanisten im "Philosophie" Magazin)