Wider den „rasenden Stillstand“ der nationalen Politik

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Der Zustand Europas und der Welt erfordert eine beherzte Diskussion um die wirklichen Herausforderungen.

Von Robert Goebbels*

Das Interesse der Bevölkerung an den in vier Monaten stattfindenden Parlamentswahlen hält sich in bescheidenen Grenzen. Laut Meinungsumfragen ist die große Mehrheit der Luxemburger eher zufrieden mit dem Zustand des Landes. Selbst der Regierung wird insgesamt eine gute Arbeit bescheinigt. Doch die Wahlprognosen verheißen Erstaunliches. DP und LSAP sollen abgestraft werden, die Grünen könnten ein leichtes Plus verbuchen, während CSV, ADR und Linke im Aufwind seien.

Die so lange allein selig machende CSV verlor beim letzten Wahlgang drei Sitze. Offensichtlich straften selbst eingefleischte CSV-Wähler den grantig und überheblich gewordenen Premier Jean-Claude Juncker ab. Sie stärkten aus Protest gegen die „Affären“ die DP. In der letztlich irrigen Annahme, es würde zu einer CSV-DP-Koalition kommen.
Mit der DP-LSAP-Grünen-Regierung wurde politisches Neuland betreten. Selbst Gegner bescheinigen Gambia die Durchsetzung notwendiger Reformen, die kaum unter CSV-Regie erfolgt wären. Sogar das Bistum ist offensichtlich nicht unzufrieden mit der sanften Trennung von Kirche und Staat. Es ermöglichte dem Bischof, die Kontrolle über das kirchliche Vermögen zu gewinnen, das vorher von den Wichtigtuern der Kirchenfabriken mehr schlecht als recht verwaltet wurde.

Manche gesellschaftspolitische Reformen, etwa die moderne Abtreibungsgesetzgebung, ein realistischeres Scheidungsrecht, wären mit der CSV nicht möglich gewesen. Überfällig war die von Lydia Mutsch durchgesetzte Lohnparität von Frauen und Männern auch im Privatsektor.

Viele andere Gesetzesnovellen haben Langzeitwirkung. Etwa die von Dan Kersch durchgesetzte Reform der Gemeindefinanzen. Oder die Schaffung eines nationalen Rettungsdienstes. Die Gesundheitsreform von Lydia Mutsch und die Modernisierung der Polizei durch Etienne Schneider sind von bleibendem Wert. Rückblickend kann man der Regierung einige handwerkliche Fehler ankreiden. Die etwas unglückliche Krisen-Bewältigung. Die notwendigen Sparmaßnahmen waren zwar keine „Austeritäts-Politik“. Die Staatsausgaben stiegen kontinuierlich. Doch die übergroße Zahl der kleinen Korrekturen ergab keine klare Linie. Diejenigen, welche individuell von einer Sparmaßnahme betroffen wurden, ballen weiterhin die Faust in der Tasche.

Wie hätte Frieden „saniert“?

2014 sahen die staatlichen Finanzen nicht gerade brillant aus. Es musste reagiert werden. Wie hätte das „Sparpaket“ wohl ausgesehen, wenn statt Pierre Gramegna der „Stabilität“-Fanatiker Luc Frieden das Sagen im Finanzministerium behalten hätte?

Die öffentlichen Finanzen sind konsolidiert. Es gab selbst Steuererleichterungen. Die Wirtschaft boomt, stimuliert durch viele große und kleine Maßnahmen von Etienne Schneider und seiner Staatssekretärin Francine Closener. Nicolas Schmit reformierte den Arbeitsmarkt und senkte die Arbeitslosigkeit. Noch nie gab es eine solch hohe Beschäftigungsdichte. Was Sozialminister Romain Schneider gesunde Sozialkassen erlaubt.
Doch wie so oft verflüchtigte sich die Erinnerung an die ehemals missliche Lage des Landes. Bei allen Parteien ist es chic geworden, mit inhaltsleeren Adjektiven über ein „nachhaltiges“, „faires“, „kontrolliertes“ oder „begleitetes“ Wachstum zu fabulieren. Wobei keine Partei ankündigt, welche soziale Wohltaten bei weniger Wachstum einzusparen sind.
Den größten Patzer leistete sich die Bettel-Regierung mit dem verkorksten Referendum über das Wahlrecht für langansässige Ausländer. Es war der erneute Beweis, dass in parlamentarischen Demokratien der sogenannte „Souverän“ nicht auf die ihm gestellte Frage antwortet, sondern bloß sein Missbehagen ausdrückt.

Gewählte Volksvertreter sollen ihre Verantwortung übernehmen. Die Abgeordneten haben sich nunmehr querbeet auf die überfällige Reform der Verfassung geeinigt. Doch anstatt gemäß den geltenden Regeln die Verfassung anzupassen, soll es in der nächsten Legislaturperiode zu einer Volksabstimmung kommen. In der irrigen Annahme, das „Volk“ würde mit Begeisterung einem „Grundgesetz“ zustimmen, das die Wenigsten lesen werden.
Die „demokratische Diskussion“ wird sich auf wenige Themen konzentrieren: Zu viel oder zu wenig Großherzog? Weshalb keine Republik? Weshalb kein einziger Wahlbezirk? Weshalb kein Bekenntnis zum Christentum? Weshalb nicht mehr „Kuscheltierschutz“, mit Ächtung von Jagd, Fischerei und das den Pferden unwürdigen Reiten? Weiter die leidige Debatte um den Stellenwert des „Lëtzebuergeschen“ und die kleinkarierte Welt von Geografie-Lehrern, die nicht über den Rand unserer 2.586 Quadratkilometer hinaussehen. Alles zusammen könnte zu einem „demokratischen Rülpser“ führen. Wie beim Referendum über den Europäischen Verfassungsvertrag, bei dem immerhin 44% der Luxemburger aus der EU austreten wollten.

Der Wahlkampf wird solche Debatten aussparen. Die Parteien haben zwar Kandidaten, aber noch keine Programme. Dafür sprießen die ersten dümmlichen Wahlsprüche, selbst bei Grün oder Blau ultranationalistisch angehaucht.

Die Presse beschäftigt sich ohnehin kaum mit politischen Inhalten. Sie kommentiert mit Vorliebe „politische Trends“, vorgegeben durch dürftige, denn sich widersprechende „Meinungsumfragen“. Wort und RTL reden eine schwarz-grüne Koalition geradezu herbei. Wie Christoph Bumb bei Reporter vorrechnet, „erwarten“ sich gerade einmal 33% der Befragten eine solche Koalition, und bloß 18% „wünschen“ sich schwarz-grünen Müsli. Bumb: „Aus einem demoskopisch ermittelten Trend wird wie durch Zauberhand eine Gewissheit.“

Meinungsumfragen ersetzen keine Wahlen

Im Land vergleicht Romain Hilgert frühere „Meinungsumfragen“ mit der Realität der Wahlgänge und belegt, wie falsch die meisten „Trends“ gegenüber den Resultaten lagen.
Am Abend des 14. Oktobers wird die nationale Politik-Welt eine andere sein. Entschieden wird dies durch das gute Drittel aller Wähler, der eigentlich an Politik nicht interessiert ist. Von denen trotz Wahlpflicht ein nicht unerheblicher Teil nicht oder ungültig wählen wird. Zusätzlich durchlöchert der nationale Sport des Panaschierens, also je zwei Stimmen für Bettel, Schneider und Wiseler, die „Sonntagsfragen“ der Meinungsforscher.

Bei den Kommunalwahlen wurde die CSV erste Kraft. Was bei Parteistrategen von Grünen und Blauen zu einer hemmungslosen Anbiederung bei den Schwarzen führte. Im Süden ermöglichten die Grünen vielerorts der CSV den Einzug in die Schöffenräte, meistens auf Kosten der Sozialisten. In Esch taten sich Grüne und Blaue zusammen, um der CSV zum Bürgermeister zu verhelfen. In der Hauptstadt gab der Wahlverlierer DP seinem grünen Koalitionspartner den Korb, und holte als hoffnungsschwangere Geste für die Regierungsbildung die CSV ins kommunale Boot.

Diese taktischen Vorleistungen könnten sich als Fehlinvestitionen herausstellen. Die Parlamentswahlen sind noch nicht geschlagen. Deshalb ist der Pessimismus bei führenden Sozialisten unangebracht. In der LSAP gibt es immer Genossen, die sich nach den „kompromisslosen“ Tagträumen der „Opposition“ sehnen. Als die Sozialisten
1999 aus der Regierung austraten, verhalf die „Oppositionskur“ fünf Jahre später zum Gewinn eines einzigen Sitzes. Eine wahrhaft berauschende Regenerierung!
Das derzeitige Vorwahlgeplänkel um Meinungsumfragen und vermeintlich wichtige Themen wie die „nationale Identität“ darf nicht von den wahren Problemen der nächsten Jahre ablenken.

Die Welt ist in einer gefährlichen Schieflage. Der von Trump angezettelte internationale Handelskrieg mag zwar TTIP-Gegner befriedigen. Wird aber negative Auswirkungen auf Arbeitsplätze, Wirtschaft und Finanzen haben. Begleitet wird dies überall mit militärischer Aufrüstung und zunehmender Fremdenfeindlichkeit. 70 Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht, die wenigsten davon in Europa. Dennoch muss die Europäische Union um ihre Werte und gegen bornierten Nationalismus kämpfen.

Die kommenden Jahre werden nicht einfach. Gerade für die verwöhnten Luxemburger. Die Dividenden des Finanzplatzes bröckeln. Industrie ist unerwünscht. Landwirtschaft soll „Biotopen“ weichen. Handel und Handwerk können ohne die ungeliebten Grenzgänger nicht mehr funktionieren. Der Gesundheitssektor, die Alters- und Pflegezentren ebenso.
Es ist zu hoffen, dass die nächste Regierung sich aus Parteien zusammensetzt, welche sich der gelebten Solidarität verpflichtet fühlen. Wie die Sozialisten. Weshalb nicht in Koalition mit den Christlich-Sozialen? Beide Parteien stehen gemeinsam für das Erfolgsmodell der „Kooperative Luxemburg“ der Nachkriegszeit.

* Robert Goebbels ist ehemaliger Minister und Europaabgeordneter. Er war Generalsekretär der LSAP.

roger wohlfart
12. Juli 2018 - 13.44

Genauso ist es, Herr Grober. Der mündige Bürger will, dass Klartext geredet wird!

Grober J-P.
8. Juli 2018 - 19.57

Es gibt Baustellen ohne Ende, sehe bisher keine konkreten Programme wie man die in Zukunft angeht. Alle Parteien, ohne Ausnahme, schwafeln Belangloses, wir müssen hier, wir müssen dort was machen, wie sie das machen weiß dann niemand, wenn man mal nachfragt.

Grober J-P.
8. Juli 2018 - 19.43

Tja Herr Wohlfart, ich glaube der H. Goebbels hat noch nie am Hungertuch genagt. Die LSAP hat das S in ihrem LOGO seit Jahren vergessen. Der H. Goebbels kann ruhig bei mir zuhause vorbeikommen, kann ihm ein paar Tipps für das S geben. Vielleicht stimmen die Statistiken nicht, dass mehr als 15% der hiesigen Familien unter der Armutsgrenze leben, oder habe ich alles missverstanden bis jetzt? Lasse mich gerne von Herrn Goebbels belehren. "Die kommenden Jahre werden nicht einfach". Die vergangenen Jahre waren nicht einfach, es wird nur noch schlimmer!

roger wohlfart
7. Juli 2018 - 0.09

Die verwöhnten Luxemburger? Nich alle Luxemburger sind so begütert wie verschiedene ehemalige LSAP Mandatäre. Es gibt noch viele Arbeiter, Rentner, Witwe(r)n, alleinerziehende Mütter, Arbeitslose und deren Familie, Jugendliche und Kinder, die alles anders als verwöhnt sind. Wer vertritt die Interessen dieser Gruppen die durch das soziale Netz gefallen sind? Wo, bitte schön, finden diese Menschen eine Stimme, die sich für ihre Belange einsetzt?

Pit Senninger
6. Juli 2018 - 19.29

Wirwaat net Schwartz-Roud? Vir dass den Talkshowminister eis nach weider 5 Joer blameiren kann? Nee Merci! Wann den, an dei aner Pensionsberechtegt, net mei geif untrieden, dann hätt ech naicht dergeint.