Für ein Ende des Geschäfts mit der Kinderarbeit

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Im Oktober 1997, als sich führende Politiker und Experten in Oslo einfanden, um eine Strategie zur Beseitigung der Kinderarbeit zu konzipieren, waren wir von großen Ambitionen und einem tiefen Engagement für Veränderungen beseelt. Durch verbesserte Zusammenarbeit und Planung versuchten wir, Kinder vor Ausbeutung zu schützen und „neue Strategien zur Beseitigung der Kinderarbeit auf nationaler, regionaler und internationaler Ebene“ zu entwickeln. 20 Jahre später ist es nun Zeit für die Frage: Wie haben wir uns geschlagen?

Von Kailash Satyarthi*

Schlecht. Seit dieser ersten Konferenz konnte die Zahl der arbeitenden Kinder nicht einmal halbiert werden. In den letzten fünf Jahren vermochte die internationale Gemeinschaft sie lediglich um 16 Millionen zu verringern – die langsamste Entwicklung seit Jahrzehnten. Von den heute 152 Millionen Kinderarbeitern verrichten etwa 73 Millionen Tätigkeiten, die als gefährlich eingestuft werden. Selbst „sichere“ Kinderarbeit beeinträchtigt das physische und physiologische Wohlbefinden der Opfer bis weit in ihr Erwachsenenalter.

Noch schlimmer: Den jüngsten Daten der Internationalen Arbeitsorganisation zufolge wurden die geringsten Fortschritte beim Schutz der zwei am stärksten gefährdeten Bevölkerungsgruppen erzielt: bei Kindern zwischen fünf und elf Jahren und bei jungen Mädchen.

Das Problem besteht nicht darin, dass wir während unserer vier internationalen Konferenzen nichts gelernt hätten (die letzte fand in Buenos Aires statt und wurde Anfang des Monats zum Abschluss gebracht). Das Problem ist vielmehr, dass wir unserem eigenen Rat nicht gefolgt sind und es immer noch nicht tun.

„Globalisierung der perversesten Art“

Sogar in der Zeit, als wir Konferenzen abhielten, haben beunruhigende internationale Entwicklungen für unheilvolle Wendungen in den Bereichen Kinderarbeit und Menschenhandel gesorgt. Eigentlich hätte dies das Jahrhundert der Ermächtigung für die am stärksten ausgegrenzten Menschen werden sollen. Doch stattdessen sind wir Zeugen einer Globalisierung der perversesten Art, in der Kinder in noch höherem Maße zu Opfern werden.

Weil Menschenhändler inmitten chaotischer Zustände leicht Beute machen, sind Kinder in Konfliktzonen besonders gefährdet. Jahrelang hat dabei Syrien aufgrund der horrenden Gewalt, die dort herrscht, die Aufmerksamkeit auf sich gezogen.

Doch der weltweite Aufstieg global agierender Banden bedeutet, dass sich auch Kinder in Asien, Afrika, Lateinamerika und Europa in Gefahr befinden. Um diesem Trend entgegenzuwirken, ist es erforderlich, überall dort, wo Kinder gefährdet sind – in Konfliktzonen, Flüchtlingslagern und Gebieten, wo sich Naturkatastrophen ereignen – dringende und koordinierte Investitionen in Bildung und Sicherheit zu tätigen.

„Wie konnte es so weit kommen?“

Ich frage mich oft, wie es so weit kommen konnte. In den letzten 37 Jahren haben meine Kollegen und ich über 87.000 Kinder in Indien aus Zwangsarbeitsverhältnissen befreit. Wir haben Mädchen gerettet, die in einer Weise missbraucht wurden, dass sie ihre Sprache verloren hatten. Kürzlich befreiten wir Kinder aus einer Textilfabrik in Neu Delhi, wo sie über drei Jahre lang gezwungen wurden, in einem Keller ohne Belüftung täglich 20 Stunden im Sitzen zu arbeiten. Als man sie in unser Rehabilitationszentrum Mukti Ashram brachte, konnten viele von ihnen nicht laufen oder zur Sonne emporschauen.
Wir sind stolz auf unsere Leistungen. Aber die Verkommenheit der Menschen gibt Anlass zu zunehmender Sorge.

Wie können wir diesem Leid nun ein für alle Mal ein Ende bereiten? Internationale Konferenzen wie jene, die soeben zu Ende ging, spielen sicherlich eine Rolle. Aber Gespräche allein werden nicht reichen. Gravierende Probleme der Menschheit können nur in Angriff genommen werden, wenn aus Betroffenen vollwertig Mitwirkende werden.
Lehrreich in dieser Hinsicht sind Erfolge im Bereich öffentliche Gesundheit. So gab es beispielsweise Zeiten, als Krankheiten wie Kinderlähmung und Pocken Millionen Menschen dahinrafften. Durch die koordinierten Anstrengungen von Ärzten, Freiwilligen, Lokalregierungen und der Zivilgesellschaft konnten diese Krankheiten unter Kontrolle gebracht werden. Nun bedarf es ähnlicher Zusammenarbeit, um Kinderarbeit zu dezimieren.

Zunächst sind Branchen ins Visier zu nehmen, wo Kinderarbeit geleistet wird, wie etwa die Landwirtschaft. Neben starken rechtlichen Rahmenwerken sind solide Mechanismen der Rechenschaftspflicht zu etablieren, um zu gewährleisten, dass man sich in den Lieferketten keiner Kinderarbeit bedient. Ich habe festgestellt, dass Firmen und Verbraucher im Kampf für ein Ende der Kinderarbeit Partner werden können, wenn die richtigen Anreize bestehen.

Hilfreiche Ansätze

Ein Beispiel eines derartigen Schulterschlusses entstand im Falle der Teppichindustrie Südasiens, wo Kinder gnadenlos ausgebeutet wurden. Um in diesem Bereich eine Veränderung herbeizuführen, riefen wir eine Bewegung zur Aufklärung der Verbraucher im Westen ins Leben, wodurch wiederum Teppichfabrikbesitzer zu verantwortungsvollem Verhalten gezwungen wurden. Das führte zur Schaffung einer Marke namens GoodWeave, die bestätigt, dass kein Kind an der Fertigung des Produkts beteiligt war. Seit der Einführung dieser Marke vor über 20 Jahren sank die Kinderarbeit in der Teppichfertigung der Region dramatisch von etwa einer Million auf ungefähr 200.000.

Programme dieser Art sind hilfreich, aber die wichtigsten Veränderungen sind durch internationale Anstrengungen unter Führung der Vereinten Nationen zu erreichen. Um den Teufelskreis aus Kinderarbeit, Analphabetentum und Armut zu durchbrechen, müssen sich zwischenstaatliche Institutionen gemeinsam jener Ziele nachhaltiger Entwicklung annehmen, die die Kinder direkt betreffen. Dazu gehören Ziel 8 zur Beendigung von Zwangsarbeit, moderner Sklaverei, Menschenhandel und Kinderarbeit; Ziel 4 über garantierte Bildung für alle; Ziel 3 für den universellen Zugang zu Gesundheitsversorgung und Ziel 16 für das Ende sämtlicher Formen der Gewalt gegen Kinder.

Um dies erfolgreich zu bewerkstelligen, wird UNO-Generalsekretär António Guterres mehr Ressourcen für die Verbesserung des Lebens von Kindern in die richtigen Kanäle fließen lassen müssen. Sein erster Schritt sollte darin bestehen, eine Zusammenkunft mit den Chefs von UN-Einrichtungen und internationalen Organisationen sowie international führenden Persönlichkeiten einzuberufen, um eine Agenda für konzertierte und koordinierte Anstrengungen zum Schutz junger Menschen auf der ganzen Welt zu erstellen.

Kinderblut für den Genuss?

Letzten Endes kann nur politischer Wille der Kinderarbeit ein Ende bereiten. Es wird nicht gelingen, eine friedlichere und nachhaltigere Welt aufzubauen, ohne Freiheit, Sicherheit und Bildung für jedes Kind sicherzustellen. Arbeit in der Kindheit beraubt sie dieser drei Dinge.

Während ich Überlegungen über den weiteren Weg anstelle, muss ich an ein kleines Mädchen denken, das ich in Brasilien kennenlernte und dessen kleine Hände vom Orangen pflücken fürchterliche Verletzungen und Blutungen aufwiesen. Das Mädchen stellte mir eine einfache Frage, auf die ich keine Antwort hatte: „Wie können die Menschen auf der Welt den Saft dieser Orangen genießen, wenn Kinder wie ich Blut vergießen, um diese Früchte zu ernten?“

Diese Frage müssen wir uns auch alle selbst stellen.

*Kailash Satyarthi ist Friedensnobelpreisträger, Ehrenpräsident des „Global March Against Child Labour“ und Gründer der Kinderrechtsbewegung „Bachpan Bachao Andolan“. Aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier.

Copyright: Project Syndicate, 2017. www.project-syndicate.org