Die Seifenblase des „qualitativen Wachstums“

Die Seifenblase des „qualitativen Wachstums“

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Der Rifkin-Prozess verirrt sich in nebulöse Schlagwörter, sagt Robert Goebbels.

Wirtschaftsminister Etienne Schneider wollte mit dem Rifkin-Prozess eine Debatte über die Zukunftsperspektiven des Landes ankurbeln. Die Absicht bleibt löblich. Der Rifkin-Prozess verirrt sich in nebulöse Schlagwörter, sagt Robert Goebbels*.

Die anvisierte Bottom-up-Diskussion unter Einbeziehung möglichst vieler Bürger erweist sich als Illusion. Die große Mehrheit nimmt den „Prozess“ nicht zur Kenntnis. Bei dem „basisdemokratischen“ Hochamt letzte Woche im Neuen Theater beklagte einer der zwölf als „Ideen-Lieferanten“ aufgebotenen Schüler, in den meisten Schulen des Landes bestehe kaum Interesse für das Thema.

Die begleitenden Arbeitsgruppen scheinen nicht optimal funktioniert zu haben. De Lëtzeburger Bauer bedauert deren „Ideologisierung“. So kam es zu einer einzigen Arbeitssitzung zum Thema Landwirtschaft, der „top down“ das Ziel „100% bio“ auferlegt wird. Laut der zur Märchentante mutierten Umweltministerin hätten die Bauern früher auch nur „biologisch“ gewirtschaftet. Bloß, dass Letztere sich im 19. Jahrhundert kaum selbst ernähren konnten. Einige 70.000 Luxemburger wanderten damals in die USA aus.

Der „Mouvement écologique“ bemängelt, dass selbst das „comité de suivi stratégique“ bloß drei Mal tagte: „Die erste Sitzung hatte zum Ziel, über den Prozess zu informieren, in einer zweiten wurden Zwischenberichte der Arbeitsgruppen vorgestellt. Die Dritte war eine Abschlusssitzung, ohne dass auch nur annähernd eine Debatte über wesentliche Herausforderungen in diesem Gremium stattgefunden hätte …“

Die große „Anhörung“ zum Rifkin-Prozess in der Abgeordnetenkammer geriet zur Pflichtübung. Nicht einmal die Hälfte der Abgeordneten wohnte den Vorträgen der Zivilgesellschaft bei. Wobei die meisten mehr mit ihren Banknachbarn quatschten oder an ihrem Handy hantierten, als Fragen stellten.

Aus der Politik kamen statt der erwarteten Denkanstöße nur Banalitäten. Dass die Welt im Wandel begriffen ist, dürfte sich herumgesprochen haben. Dass die Digitalisierung aller menschlichen Aktivitäten ungeahnte Folgen auf unser aller Leben und Arbeiten haben wird, beginnt sich einzuprägen. Welche Konsequenzen daraus zu ziehen sind, verliert sich im aufwallenden Nebel der parteipolitischen Rivalitäten. Ob bei der Rifkin-Debatte der Abgeordneten diese Woche klare Orientierungen herauskommen, darf bezweifelt werden. Die nächsten Wahlen sind in zehn Monaten. Die fünf Minister, die letzte Woche den Rifkin-Prozess öffentlich begleiten sollten, übten sich schon im Schattenboxen. Besonders Grünenchef Bausch sparte nicht mit Seitenhieben gegen die Politik von Wirtschaftsminister Schneider.

Dabei sind sich theoretisch alle einig. Jeder will „qualitatives“ Wachstum. Damit das Land seinen Bürgern weiterhin ein hohes Einkommen, bestmöglichste Sozialleistungen, modernste Infrastruktur, weniger Verkehr, erschwingliche Eigenheime, hohe Lebensqualität und eine intakte Natur garantieren kann … Konkret käme all dies zusammen der Quadratur des Kreises gleich.

Für den „Mouvement écologique“ ist „qualitatives Wachstum eine begriffliche Seifenblase“. Dem muss man zustimmen. In der Tat klangen viele Phrasen, die von der Theaterbühne schallten, hohl und leer. Was nunmehr „qualitativ“ wachsen soll, bleibt ein wohlgehütetes Geheimnis. Glücklicherweise erinnerte Etienne Schneider daran, dass beim Regierungswechsel die Welt auch in Luxemburg noch eine andere war: kein Wachstum, steigende Arbeitslosigkeit, steigende Defizite. Weil die neue Regierung keine Austeritätspolitik verfolgte, verdreifachte sich die Staatsschuld.

Nunmehr, wo die Wirtschaft wieder anständig wächst, die Beschäftigung steigt und die Arbeitslosigkeit rückläufig ist, soll plötzlich eine „Exit-Strategie“ her, soll das Land dem angeblich „nicht nachhaltigen Wachstum“ entsagen?

Was heißt „nicht nachhaltiges Wachstum“? Niemand vermag diesen Unsinn zu definieren.
Dürfen noch neue Industrien ins Land? Immer wenn eine Industrie schließt, etwa das Schifflinger Stahlwerk, herrscht große Aufregung. Dennoch dürfte sich der im Wandel befindliche industrielle Sektor nicht erneuern? Ist es falsch, in Düdelingen eine neue Reifenproduktion anzusiedeln? Oder neue Betriebe mit Hightech-Produkten, etwa Nano-Röhren, aufzunehmen?

„Exit“ aus was?

Industrielle Abstinenz unseres Kleinstaates macht umweltpolitisch keinen Sinn. Würde Luxemburg keinen Stahl, kein Glas, keine Reifen mehr herstellen, müssten diese und andere Industriegüter importiert werden. Die weltweite Güterproduktion und der globale Ressourcenverbrauch würden dadurch nicht geringer.

Die gleiche Überlegung gilt für viele Sektoren. Gäbe es in Luxemburg durch verteuerte Treibstoffe keinen Tankstellen-Tourismus mehr, käme der Verkehrsstrom in, um und durch das Land nicht zum Erliegen. Es würde bloß anderswo getankt!

Sollten wir als „Exit-Strategie“ durch die prohibitive Besteuerung aller Banken, aller Investmentfonds den Finanzplatz „nachhaltig“ verkleinern? Und mit dem Finanzplatz die Luxus-Boutiquen, die Hotels und Sterne-Restaurants vertreiben? Wir hätten vielleicht ein besseres Gewissen bei zukünftigen „Paradies“-Enthüllungen, aber kaum noch Geld für die steigenden Forderungen an den Staat.

Es war rührend, anzuhören, welche Rezepte sich die zwölf Schüler im Rahmen der Rifkin-Veranstaltung zur Förderung einer „nachhaltigen“ Mobilität ausdachten. Alle Vorschläge basierten auf vom Staat zu finanzierende Anreize. Finanzminister Pierre Gramegna hatte seine liebe Mühe, den eifrigen Schülern zu erklären, die bestgemeinten Zuschüsse müssten zuerst in der Wirtschaft verdient werden, ehe sie dank Steuern vom Staat zu rezyklieren seien. Eine solch angedachte „Circular Economy“ käme ohne Wachstum schnell zum Erliegen.

Was wäre „nachhaltiges Wachstum“ in der Luftfahrt? Sollten wir die drei Millionen Findel-Passagiere nach Hahn umdirigieren? War es ein Fehler, dass Bausch und Gira nach China reisten, um Cargolux neue Märkte zu erschließen? Oder dass sich der Transport-Minister für eine direkte Flugverbindung mit den USA einsetzt?

Präsident Marc Fisch zitierte auf einer Versammlung der Bauernzentrale das Umwelt-Tandem Dieschbourg-Gira mit der Frage, „weshalb die hiesige Landwirtschaft Milch produziere, um sie zu exportieren“. Die „Vision“ der Minister: „Die Landwirte sollten weniger produzieren, den Viehbestand drastisch reduzieren, sich auf den nationalen Markt beschränken.“ Ist solch agrarwirtschaftlicher Schwachsinn das grüne Rezept für „qualitatives Wachstum“? Die Luxemburger als Eigenversorger, mit nur noch „Bouneschlupp, Quetschekraut a Kachkéis“?

Der Ikea-Effekt

Auch die Debatte um die eventuelle Ansiedlung eines Datenzentrums von Google ist von einer weltfremden Naivität geprägt. In der Internet-Welt, auf die der Rifkin-Prozess uns angeblich vorbereiten soll, wird die Suchmaschine Google so bald nicht verschwinden. Käme Google wirklich nach Luxemburg, wäre dies ein Prunkstück für unsere Wirtschaft.

Wird Google „verhindert“, geht es wie weiland mit Ikea. In Luxemburg unerwünscht, deshalb 100 Meter jenseits der Grenze! Das neue Rechenzentrum von Google wird gebaut, vielleicht anderswo. Bloß, dass wir daran keinen Vorteil mehr hätten.

Es genügt nicht, darüber zu philosophieren. „Wie viel Wirtschaftswachstum verträgt das Land?“ Wer in der Politik oder als Umweltverband für weniger Wachstum plädiert, sollte auch sagen, auf was er bei weniger Wachstum verzichten will. Auf Index-, Rentenanpassungen, Punktwert-Erhöhungen, Sozialzulagen wie Kindergeld und Ähnliche vom Wirtschaftswachstum finanzierte Wohltaten? Das sind „reelle gesellschaftliche Zukunftsfragen“, auf die niemand eine Antwort geben will.

* Der Autor ist ehemaliger Minister und Europaabgeordneter.

René Charles
14. November 2017 - 14.24

Genau dat wollt ech och soen. Merci.

Serenissima, en Escher Jong
14. November 2017 - 13.44

Herr Goebbels hat schon Recht mit seiner Aussage, Rifkin in seiner sogenannte Studie ( dieselbe die er mit einigen Anpassungen/Verbesserungen schon ein paar mal verkauft hat an einige gutgläubige Leute) ist doch nur ein Futurologie Spezialist , ein Schriftsteller.....aber er verkauft nur ein Papier. es braucht nur ein paar gutgläubige Leute wie unser Etienne dans le lune die dann glauben dass sie die nec plus ultra Wirtschaftspolitik der Zukunft für Luxemburgs darin sehen..

Andy B.
14. November 2017 - 9.19

Statt immer nur zu kritisieren (was an sich gut ist) sollte man vielleicht zur Lösung beitragen. Kann das luxemburger Genörgel nicht mehr hören. Spenden Sie ihre Energie doch dem Fortschritt!