Die Besteuerung von Immateriellen Investitionen sollte überdacht werden

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Digitale Musik, mobile Apps, Google und Twitter – diese und andere „immaterielle“ technologische Wunder haben unser Leben verändert. Doch bei der Berechnung des BIP werden sie nicht adäquat erfasst.

Von Roger E. A. Farmer*

Roger E. A. Farmer ist Professor für Ökonomie an der University of Warwick, Forschungsdirektor des britischen National Institute of Economic and Social Research sowie Verfasser von „Prosperity for All: How to Prevent Financial Crises“.

Aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier. Copyright: Project Syndicate, 2018. www.project-syndicate.org

Einige sehr kluge Menschen, darunter der Präsident der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, und Andy Haldane, Chefvolkswirt der Bank of England, äußern sich besorgt über die Verlangsamung des Produktivitätswachstums. Und sie sind zu Recht besorgt, ist doch die Produktivität (gemessen als BIP pro geleisteter Arbeitsstunde) der entscheidende Faktor für den Anstieg des Lebensstandards.
Für die meisten Menschen im Westen stagnieren Löhne und Lebensstandard seit Jahrzehnten. Wenn Sie beispielsweise im Jahr 1970 ein Fabriksarbeiter in Nordengland waren, ist es sehr wahrscheinlich, dass Ihre Kinder real weniger verdienen als Sie vor 50 Jahren. Das gilt auch für Arbeitnehmer in anderen Teilen Europas und in den Vereinigten Staaten und diese wirtschaftliche Realität ist teilweise für den Aufstieg populistischer Politik verantwortlich.

Der Kurvenverlauf zeigt dabei bereits seit Jahren nach unten. Das jährliche Produktivitätswachstum in fünf OECD-Ländern – Frankreich, Deutschland, Japan, den USA und dem Vereinigten Königreich – lag in den 1970er Jahren bei 2,4 Prozent. In den zehn Jahren nach 2005 betrug der entsprechende Wert in diesen Ländern 0,6 Prozent. Und obwohl die im Jahr 2007 einsetzende „große Rezession“ zu diesem Rückgang beitrug, war der Durchschnittswert schon lange vor der Finanzkrise rückläufig.

Das niedrigere Produktivitätswachstum bedeutete einen sinkenden Lebensstandard für viele, aber nicht für alle. Für Finanzanalysten an der Wall Street oder in der City of London ist das Leben nicht so schlecht. Und für die unabhängig Wohlhabenden – insbesondere diejenigen, die einen Großteil ihres Einkommens aus einem Aktienportfolio beziehen – hat sich der Lebensstandard in den letzten Jahrzehnten sogar verbessert.

Es lohnt sich allerdings zu fragen, welcher Anteil dieses gestiegenen Wohlstands in Form von Steuern bezahlt wurde, denn die Antwort – ein höherer, wären die Einkommen in Form von Löhnen und Gehältern bezogen worden – ist ein Grund, warum sich so viele Ökonomen so besorgt zeigen.

Man bedenke, dass Kapitalgewinne für Spitzeneinkommensbezieher in Großbritannien mit 28 Prozent besteuert werden und die Obergrenze in den USA bei 20 Prozent liegt. Im Vergleich dazu betragen die Spitzensteuersätze der Einkommensteuer in diesen Ländern 45 beziehungsweise 39 Prozent. Mit anderen Worten: wenn High-Tech-Unternehmen ihre Mitarbeiter in Aktienoptionen bezahlen, wie das viele bereits in zunehmenden Maße tun, kommt es zu einer erheblichen Lücke bei steuerpflichtigen Einkünften – 17 Prozent in Großbritannien und 19 Prozent in den USA, um genau zu sein. Da ein immer größerer Anteil des Nationalvermögens in Aktienoptionen fließt, müssen die entgangenen Einnahmen anderswo aufgetrieben werden.

In Belgien keine Kapitalertragsteuer

In anderen Teilen Europas ist diese Diskrepanz noch ausgeprägter. In Italien und Belgien zahlen die Einwohner keine Kapitalertragsteuer; reiche Belgier, die ihr gesamtes Einkommen in Form von Aktienoptionen erhalten, können die Einkommensteuer vollständig vermeiden. Unter den größten Volkswirtschaften Europas bildet Deutschland die einzige Ausnahme; dort werden Kapitalgewinne als gewöhnliches Einkommen behandelt, sodass der Staat keinen Verlust verzeichnet, wenn Einkommen als Aktienoptionen im Gegensatz zu Dividenden ausbezahlt wird.

Digitale Musik, mobile Apps, Google und Twitter – diese und andere „immaterielle“ technologische Wunder haben unser Leben verändert. Doch die vielen Vorteile moderner Innovation finden in den Standard-Messmethoden des BIP keinen Niederschlag. Jonathan Haskel und Stian Westlake weisen in ihrem neuen Buch „Capitalism without Capital“ darauf hin, dass eine Erklärung dafür in unzulänglichen Messmethoden besteht.

In der Vergangenheit bedeutete eine Investition den Kauf einer neuen Fabrik oder einer neuen Maschine; es handelte sich um den Erwerb eines physischen Vermögenswertes, der unmittelbar in den BIP-Statistiken aufschien. Heute allerdings beziehen sich Investitionen häufig auf nicht greifbare Dinge – wie Computer-Software, Marken oder ein Datenarchiv. Diese „immateriellen Investitionen“ werden in den BIP-Berechnungen nicht als Produktionsleistung, sondern als Vorleistungen verbucht.

Immaterielle Investitionen beeinflussen aber die Rentabilität eines Unternehmens. Wenn die Gewinne von Technologie-Unternehmen fortwährend als immaterielle Vermögenswerte reinvestiert werden, scheinen die Gewinne womöglich nie als Produktionsleistung in den BIP-Statistiken auf, beeinflussen aber sehr wohl den Marktwert eines Unternehmens. Für Regierungsvertreter, die während einer Phase langsamen Wachstums mit der Bereitstellung von Waren und Dienstleistungen befasst sind, ist es unerlässlich, dieses nicht erfasste BIP in den Griff zu bekommen.

Glücklicherweise gibt es eine Lösung. Wie ich in meinem Blog ausführe, müssen wir überdenken, wie wir Steuereinnahmen erhöhen. Wären alle Einkünfte mit dem gleichen Steuersatz belegt, würden immaterielle Investitionen der Unternehmen weiterhin Einnahmen in Form von Steuern erzielen, die von wohlhabenden Unternehmenseigentümern bezahlt werden. Die Alternative – nämlich die Erhaltung des Status quo – würde lediglich sicherstellen, dass aus den aktuellen Einnahmelücken letztlich klaffende Abgründe werden, wenn das Wachstum in der immateriellen Wirtschaft weiter anzieht.