Der gefesselte Prometheus – Warum Karl Marx auch im 21. Jahrhundert noch aktuell ist

Der gefesselte Prometheus – Warum Karl Marx auch im 21. Jahrhundert noch aktuell ist

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Von Frank Bertemes*

*Der Autor verfasst regelmäßig Beiträge für das Forum im „Tageblatt“.

„Erst in der Gemeinschaft mit andern hat jedes Individuum die Mittel, seine Anlagen nach allen Seiten hin auszubilden; erst in der Gemeinschaft wird also die persönliche Freiheit möglich.“ (Karl Marx)

Der Beginn dieses Beitrages mag neben dem Titel überraschen und Fragen aufwerfen. Und eben das soll die erklärte Absicht sein: Fragen aufzuwerfen und die Leserschaft zum Nachdenken einzuladen. Nicht mehr und nicht weniger. Dazu gehören auch Beiträge zu Karl Marx, dessen Erinnerung in diesem Jahr 2018 bekanntlich zum Teil spektakulär abläuft, ein Mann, dessen Persönlichkeit und dessen politische Philosophie heuer brandaktuell ist – und dies nicht nur ob seines 200. Geburtstages. Karl Marx: der Revolutionär, Philosoph, Ökonom und Journalist, vor allem aber ein Mann, der als Mensch völlig zu Recht thematisiert wird.

Etwas ist klar, auch wenn diese Tatsache gewissen Kreisen oder sonstigen Zeitgenossen, denen zufolge das neoliberale Wirtschaftsmodell ein alternativloses Credo, also ein ökonomisches Glaubensbekenntnis im übertragenen Sinne, darstellt, nicht gefällt: Er wird unvergesslich sein und wird es auch bleiben. Sein Werk, seine Ideen, seine politische Philosophie und besonders sein Hauptwerk, sprich „Das Kapital, eine Kritik der politischen Ökonomie“, werden ein ewiges Zeugnis seines genialen Denkens sein, das natürlich seine Grenzen hat.

Garant der Würde

Der Mensch, der, frei nach Marx interpretiert, eben kein „Homo oeconomicus“ sein darf, der sich dem sakrosankten Diktat des Profits unterzuordnen hat. Wir Menschen sollen vielmehr unsere Arbeit selbst gestalten dürfen und somit Garant unserer Würde sein, die von den Neoliberalen von heute allerdings oft verletzt wird. Arbeit, Geschichte und Revolution – das sind wichtige Schlagworte für Marxens theoretische Überlegungen. Zeit seines Lebens beschäftigte er sich mit den Zusammenhängen von Wirtschaft, Politik, Gesellschaft und Philosophie.

Lohnarbeit und Kapital, auch wenn man pikanterweise sagen muss, dass weder er selbst noch seine Frau übrigens, privat auf vernünftige Art und Weise mit Geld umgehen konnten. Oft waren er und seine Familie pleite. Man lebte von Schenkungen, Erbschaften und sonstigen Zuwendungen. Marx verdiente jedoch als Journalist und als Korrespondent der damals größten Tageszeitung der Welt, der New York Tribune, durchaus und mit festem und gutem Einkommen – also immer wieder – Geld. Er hatte zeitweise größere Mengen Geld, konnte allerdings als eine Art „hochbegabter Prinzenjunge“, wie er von Biografen beschrieben wird, eben leider nicht damit umgehen.

Dummerweise hatte er dann auch eine Frau geheiratet, die die gleiche Eigenschaft mitbrachte. So konnte Karl Marx zwischen Theorie und Praxis in puncto Geld nicht vermitteln. Er und seine geliebte Frau Jenny brachten die geerbten Gelder, die so reinkamen, in einem Jahr durch, indem sie feierten, Champagner tranken, ein neues Haus bezogen, neue Möbel kauften, und es gab schon auch so nette Kleinigkeiten, wie die Kleider der Puppen ihrer Töchter beim Schneider nähen zu lassen. Man gönnte sich ja sonst nichts …

Marx, der Journalist

Doch seine genialen Theorien über den Kapitalismus sind heute noch von ungebrochener Aktualität. Karl Marx, der Visionär, der die moderne Wirtschaft mit ihrer Dynamik und ihren Widersprüchen wie kein Zweiter zu durchschauen vermochte. Und den man aus neoliberaler Sicht am liebsten zum Teufel wünscht. Sein nachhaltig wirkendes „soziales Gift“ stört …

Es soll in diesen Zeilen inhaltlich allerdings nicht weiter um die bekannten politischen Theorien des Karl Marx gehen, sondern um Marx als Journalist. Er war vor seiner Tätigkeit für die erwähnte Tageszeitung zweimal Chefredakteur der Rheinischen Zeitung und der Neuen Rheinischen Zeitung, in der er Teile des „Kapitals“ erstmalig als Leitartikel veröffentlichte (Lohnarbeit und Kapital – vom 5. bis 11. April 1849.)

Der persönliche Weg des Karl Marx machte er selbst in der Vorstellung seiner ersten Auflage klar, indem er abschießend den Wahlspruch des von ihm verehrten großen Florentiners Dante zitierte: „Geh deinen Weg und lass die Leute reden.“

Prometheus. Auf Karl Marx, wie im Titel angedeutet, bezogen. Auf dieser vielen von uns eher unbekannten Karikatur, einem satirischen Bild des Zeichners Wilhelm Kleinenbroich aus dem Jahre 1843, ist Marx als Prometheus zu erkennen, der an eine Druckerpresse gefesselt ist. Prometheus deswegen, weil dieser in der griechischen Mythologie die Menschheit erschuf und ihr das Feuer, meint die Wahrheit, brachte. Und dass Marx in diesem Sinne zum Bild des Prometheus passt, dürfte wohl klar sein.

In der linken oberen Ecke ist der preußische Kultusminister Eichborn zu sehen, der Marx durch den preußischen Adler angreift. Dargestellt ist dieser als Eichhörnchen. Auf dem unteren Drittel des Bildes sind die Stadtgöttinnen der Rheinlande zu erkennen. Thema des Bildes ist das Verbot der Rheinischen Zeitung. Marx als Wahrheitsbringer, im Sinne des Prometheus gelesen, der Vorausdenkende, der „Vorbedenker“, wie man ihn auch bezeichnen könnte, heuer das absolute Feindbild der neoliberalen Ausbeuter und Menschenverachter. Der gefesselte Prometheus …

Seiner Zeit voraus

In ebendiesem Sinnbild des Prometheus war, wie selbst Kritiker einräumen, Marx seiner Zeit weit voraus. Er hat sich nicht damit begnügt, einfach den englischen Kapitalismus des 19. Jahrhunderts, der sich angesichts des aktuellen Neoliberalismus auf seine Art eigentlich nur noch verschlimmert hat, zu „beschreiben“ und zu kritisieren, sondern hat ihn sehr detailgenau unter die Lupe genommen und dessen Kern, sprich die kapitalistische Produktionsweise (mit deren Risiken und Konsequenzen), grundlegend beschrieben. Die Zusammenhänge von Besitz, Gesellschaft und Arbeit, die er aufdeckte, sind noch heute gültig. Wie schon angedeutet, konnte er natürlich nicht alles voraussehen. Denn wie außergewöhnlich wandlungs- und überlebensfähig die kapitalistische Wirtschaftsweise sich zeigte – und wohl noch zeigen wird –, konnte der „Prometheus“ Karl Marx nicht wissen.

Denn was die Digitalisierung und die Automatisierung mit der vom Kapital angedachten „Effizienzsteigerung“ noch alles so bringen werden, wird sich erst zeigen. Ein Heer von Arbeitslosen, eine irgendwie dahinvegetierende Masse, die wohl – von einer Form eines allgemeinen Grundeinkommens abgespeist – ein „Second Life“ in irgendeiner imaginären Scheinwelt des Internets führen wird? Und sich selbst als Mensch von sich selbst entfernt?
Am 17. März, einem Sonnabend, wurde Karl Marx im Grabe seiner Frau beigesetzt. Die Familie hatte alles Zeremonielle abgelehnt, das dieses Leben, das Leben des Karl Marx, mit einem (Zitat eines Biografen) „schrillen Missklang“ beschlossen hätte. Nur wenige Getreue standen um die offene Gruft: Engels nebst Leßner und Lochner, den alten Gefährten noch vom Kommunistenbunde her; aus Frankreich waren Lafargue und Longuet, aus Deutschland Liebknecht gekommen; die Wissenschaft war durch zwei Männer ersten Ranges vertreten, den Chemiker Schorlemmer und den Zoologen Ray Lankester.

So aber lautete der letzte Gruß, den Engels in englischer Sprache dem toten Freunde widmete, so aufrichtig und wahrhaftig in schlichten Worten zusammenfassend, was Karl Marx der Menschheit gewesen ist und bleiben wird, dass ihm auch an dieser Stelle das abschließende Wort gebührt: „Am 14. März, nachmittags ein Viertel vor drei, hat der größte lebende Denker aufgehört zu denken. Kaum zwei Minuten allein gelassen, fanden wir ihn beim Eintreten in seinem Sessel ruhig entschlummert – aber für immer.“ (…) Sein Name wird durch die Jahrhunderte fortleben und so auch sein Werk!“ Karl Marx – der Prometheus des Sozialen!