Auf den Spuren der Radikalinski-Asbl (I)

Auf den Spuren der Radikalinski-Asbl (I)

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Um es gleich vorwegzunehmen und gewissen vorprogrammierten unilateralen Unkenrufen zuvorzukommen: Hier schreibt kein schlechter Verlierer. Wer sich einer Wahl stellt, geht das Risiko ein, vom Wähler einen Korb zu be- kommen. Die Glückwünsche gehen an die neue Apess- Führungsmannschaft.

Wer es schafft – geringe Wahlbeteiligung mal außen vor gelassen –, mehr Unterstützer als der Konkurrent an die analoge oder digitale Wahlurne zu lotsen, hat es verdient, das Wählervertrauen zu genießen. Der Handlungsraum für gewerkschaftlich zielführende Aktionen ist jedoch bei näherer Betrachtung auf ein Mindestmaß geschrumpft.

Die Ursachen hierfür sind wie meistens bei komplexeren Zusammenhängen vielfältig. Bei genauerem Hinsehen lassen sich dennoch einige Scharnierstellen der Entwicklung innerhalb des Lehrkörpers über die letzten fünf Jahre ausmachen:

– März 2012: Einige Tausend Lehrer aus Grund- und Sekundarschulen finden sich in Luxemburg-Stadt zu einer großen Protestkundgebung gegen die pädagogisch-didaktische Ausrichtung der Reformvorhaben von Bildungsministerin Mady Delvaux ein. Der Effekt dieser „Manif“, der etliche ergebnislose Verhandlungsrunden zwischen Gewerkschaften und Frau Delvaux vorausgegangen waren, überraschte damals auch langjährige Kenner der Szene.

– September 2012 – Juli 2013: Mady Delvaux setzt eine sog. „Délégation nationale du Luxembourg“ (kurz: DNL) ein und stattet deren sechzehn (!) Mitglieder mit üppigen „Décharges“ aus. Der Unterzeichner war übrigens selbst Mitglied dieses Arbeitskreises und schildert seinen Standpunkt aus erster Hand.
Ziel und Rolle dieser DNL war es, ein legitimes Bindeglied zwischen politischen Entscheidungsträgern und den Lehrerkomitees zu sein. Ein detailliertes Angebot an Alternativen zur damaligen Reformpolitik wurde in Form eines Schriftstücks erstellt und publiziert. Die DNL hatte ihren Arbeitsnachweis voll und ganz erbracht.

Geregelter Streik

  • September 2012 – Mai 2013: Die beiden Gewerkschaften SEW/OGBL und Apess hegen die gemeinsame Absicht, einen geregelten Streik an Grund- und Sekundarschulen auszurufen. Vorbedingung hierfür war das von den Gewerkschaften vorgegebene Quantum von mindestens 50 Prozent Streikwilliger. Nach monatelangen Bemühungen um Mobilisierung und nach etlichen Informationstreffen mit den Kollegen mussten beide Lehrervertretungen anlässlich einer Pressekonferenz im Juni 2013 bekannt geben, dass lediglich 40 Prozent aller Streikberechtigten auch tatsächlich bei einem Ausstand mitmachen würden. Der geplante Streik gegen die von Minister Biltgen geplante Bewertung von Lehrkräften und gegen die Hierarchisierung innerhalb des Lehrberufs musste mithin abgesagt werden.
  • November 2013: Vorgezogene Neuwahlen. Gambia-Koalition.
  • Mai/Juni 2014: Bildungsminister Claude Meisch gibt bei separaten Treffen mit den jeweiligen Lehrergewerkschaften seine Intention bekannt, Spareffekte im öffentlichen Schulbetrieb zu erzielen. Diese Maßnahmen schreiben sich in das von der Gambia-Koalition geschnürte Sparpaket ein. Die Apess weigert sich kategorisch, über die Punkte „Coefficients“, „Décharges d’âge“ und Klassenstärken („Effectifs“) in Gespräche einzutreten und erklärt diese Inhalte von vornherein zu nicht verhandelbaren Eckpfeilern des Lehrerberufs. Dass heute noch bisweilen munter behauptet wird, es seien beim Abkommen „Décharges“ geopfert worden, grenzt an schlechten Willen.
  • Herbst 2014: Das Bildungsministerium lenkt ein. Anstatt aber, wie manche naive Zeitgenossen gemeint hatten, das Sparpaket als solches gänzlich von der politischen Agenda zu räumen, werden andere Wege der Einsparung, etwa bei der Korrektur von Abiturexamen, vorgeschlagen und von den Gewerkschaften prinzipiell gutgeheißen.
    In einer damals auch vom Unterzeichner mitverfassten Mitteilung an die Apess-Mitglieder stand – sinngemäß – die mittlerweile geflügelte Formulierung „que les mesures semblent aller dans la bonne direction“.

Mail-Shitstorm

Wer hätte anschließend mit einem veritablen Mail-Shitstorm vonseiten einiger weniger, deshalb aber umso aggressiver auftretenden „Kollegen“ gerechnet?

Die übelsten verbalen Dreckskübel wurden auf unseren „Verräter-Häuptern“ ausgeschüttet. Mit einem Mal war das Klima vergiftet. Die DNL geriet zu einem Epiphänomen der Szene. Darin versammelten sich ab nun alle, denen die drei Gewerkschaften nicht mehr radikal genug agierten oder denen an vermeintlich basisnäheren Entscheidungsprozessen gelegen war. Das ist an und für sich ein sympathischer und nachvollziehbarer Grund, gewisse Gruppierungen zu unterstützen. Das Gebaren der DNL-Oberen jedoch offenbarte rasch, dass hier eine große Bühne für Frustentladung, Egotrips und Wutattacken gegen den falschen Gegner, sprich die drei Gewerkschaften Apess, Feduse/CGFP und SEW, errichtet und zur Handlungsmaxime deklariert worden war.

  • Am Rande einer DNE-Versammlung im hauptstädtischen Athenäum, an der auch Vertreter der drei Gewerkschaften teilnehmen, kommt es zu einer Art Tabubruch: DNE-Anführer stellen vom Mikrofon aus die Vertreter der Gewerkschaften Apess, Feduse und SEW bloß und nötigen sie in schauprozessartigem Habitus geradezu, einer Teilnahme von DNE-Mitgliedern an den Verhandlungen mit dem Bildungsministerium zuzustimmen. Die Stimmung im Saal ist mitunter pöbelnd-primitiv. Die Gewerkschaften wollen den Streit nicht eskalieren lassen und willigen in dieser Forderung, die nicht durch das Gesetz gedeckt ist, ein.
  • In einer Mammutrunde kommt es daraufhin nach wiederholten Verbalattacken von DNE-Mitgliedern gegenüber Minister Meisch fast zum Abbruch der soeben erst begonnenen Sitzung. Die DNE-Vertreter hatten wohl Folklore und Selbstdarstellung mit Verhandlungsgeschick verwechselt.
  • Schlichtungsverfahren zwischen den drei Gewerkschaften und Bildungsminister Meisch wegen des geplanten Sparpakets im Sekundarschulbetrieb.

Eric Bruch, Ex-Generalsekretär der Apess
Teil 2 erscheint am Samstag (30. September)