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Slowfood auch in der Politik

Hyperaktivität hat weite Teile der Politik erfasst. In Frankreich fordert Ex-Präsident Nicolas Sarkozy mehr Polizei, mehr Überwachung, und vergisst zu erwähnen, dass er selbst den Staatsapparat „gesund“ geschrumpft hatte, indem er Tausende Stellen im öffentlichen Dienst liquidiert hatte. In Deutschland rufen konservative Politiker nach einem verschärften Ausländerrecht.

Der Ruf nach mehr Überwachung, nach Einschränkung der bürgerlichen Grundfreiheiten, das Vorlegen überhasteter, aber wohlklingender Vorschläge sind kein Privileg der französischen „droite“. War es nicht Präsident François Hollande, der nach den November-Anschlägen Terrorverdächtigen die Staatsangehörigkeit entziehen wollte? Nun soll es eine neu zu bildende Nationalgarde richten – eine Art Armee bzw. Polizei zweiter Klasse. Der Politiker und Präsident des Regionalrats der Normandie, Hervé Morin, brachte es am Donnerstag auf den Punkt: Er verstehe nicht so recht, was nun eine derartige Nationalgarde anstellen könne. Wäre das Attentat vom 14. Juli in Nice verhindert worden oder das Abschlachten des katholischen Priesters am Dienstag in Saint-Etienne-du-Rouvray in der Normandie, wenn es diese Nationalgarde schon gegeben hätte? Wohl kaum.

Natürlich muss sich der Rechtsstaat die nötigen Mittel geben, um sich und die Bürger zu schützen. Die Sicherheitsdienste müssen in der Lage sein, Übeltäter an einer geplanten Tat zu hindern. Doch die Anti-Terror-Prävention muss viel tiefer ansetzen. Mittel müssen in langfristige Projekte investiert werden. In solche, die das Übel an der Wurzel packen, die den Boden austrocknen, auf dem islamistische Möchtegern-Helden wachsen. Wer eine gute Ausbildung genossen hat, sich als Teil der Gesellschaft fühlt, weil er berufliche und private Zukunftsperspektiven sieht, wird sich kaum nach Syrien oder Irak absetzen, um dort das blutige Handwerk zu erlernen, das er dann später an seinen Landsleute anwenden wird. Genauso wenig wird sein hier gebliebener Altersgenosse sich in Windeseile via soziale Netzwerke „radikalisieren“.

Bei der Wahl zum Unwort des Jahres müsste der Begriff „plötzliche Radikalisierung“ in die nähere Auswahl kommen. Ist es nicht doch recht seltsam, dass etliche Attentäter sich überraschend „schnell radikalisierten“? Dabei war die Grundlage für diese Eskalation ins Extreme schon Jahre zuvor gelegt worden. Sie zu beseitigen erfordert jedoch mehr Ausdauer, mehr Mittel als nun für jene schnellen Maßnahmen bereitgestellt werden, die den Wahlbürgern lediglich Scheinsicherheit vermitteln werden. Das ist wohl das größte Problem der gewählten Volksvertreter. Sie trauen sich oftmals nicht, kostspielige Entscheidung zu treffen, die erst langfristig Ergebnisse zeitigen werden. Sei es, weil sie diese nicht vernünftig erklären können oder den Wähler als lernunfähigen Lümmel betrachten. Doch solange die Sorge um die eigene Wiederwahl politische Entscheidungen lenken wird, wird das Problem Terrorismus in Europa ungelöst bleiben. Andererseits: Solange die Wähler nicht einsehen, dass mehr Gewaltinstrumente und weniger demokratische Rechte die Terrorgefahr niemals bannen können, werden sie der pessimistischen Aussage von Frankreichs Premierminister Manuel Valls zustimmen müssen, dass Terrorismus „Teil unseres Alltags“ ist.

Der vernunftgesteuerten, längere Zeiträume erfassenden Politik sollte eine Chance gegeben werden, den ADHS-Kranken an den politischen Schalthebeln und denen, die dorthin wollen, hingegen ein entsprechendes Mittel. Sport und Bewegung zum Beispiel sollen Wunder wirken.