Im Bilde sein: Wir brauchen mehrere Sichtweisen der Dinge

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Es gibt wohl kaum jemanden, der das Foto des „Napalm-Mädchens“ aus dem Vietnamkrieg nicht kennt: Die junge Phan Thi Kim Phuc läuft nackt mit anderen Kindern über eine Straße, ihr Körper ist vom Napalm verbrannt, das von der südvietnamesischen Seite zur Bekämpfung der kommunistischen Vietcong eingesetzt wurde. Das Foto des Fotografen Nick Ut, das 1972 als World Press Photo prämiert wurde, ist im Original nicht genau so, wie es ursprünglich veröffentlicht wurde.

Das Original wurde anscheinend geschnitten und zeigt neben den Kindern mehrere Fotojournalisten, davon einen, der mit seiner Kamera hantiert. Das Foto zeigt zwar einerseits Kriegsgrauen, sagt aber laut dem Sozialwissenschaftler und Historiker Gerhard Paul von der Universität Flensburg auch viel über die Arbeit der Fotojournalisten aus, die sich zuerst um ihre Arbeit kümmerten und dann anscheinend erst um die verletzten Kinder. Bei allem Respekt dafür, dass sie ihre Arbeit oft unter lebensbedrohlichen Bedingungen ausüben, darf man nicht vergessen, dass viele von ihnen vor allem auf der Jagd nach dem Foto sind.

Die Ausstellung „Hard Truths“ mit Fotografien der New York Times (NYT), die im hauptstädtischen Cercle Cité zu sehen ist (siehe S. 13), zeigt einige schockierende Bilder: Auf vielen sind Ermordete zu sehen. Für viele der Fotos riskierten die Journalisten ihr Leben; ohne sie würden viele Gräueltaten nie an die Öffentlichkeit gelangen. Fotos mit verletzten oder toten Kindern aus Kriegsgebieten, wie sie auch in der NYT-Ausstellung zu sehen sind, schockieren immer und lösen Mitleid aus.

Doch es ist ein zweischneidiges Schwert. Der Sprecher von Unicef Deutschland, Rudi Tarneden, sagte in einem Interview, dass Schockbilder zwar Aufmerksamkeit erwecken und wachrütteln, andererseits würden sie uns aber auch überfordern und erzeugten Abwehr und Angst. Die Macht von Bildern ist groß, weil sie leichter Emotionen wecken können, als es ein Text vermag, den wir manchmal ebenso so schnell wieder vergessen, wie wir ihn gelesen haben. Und ein Bild bleibt lange im Gedächtnis. Viele geschichtliche Ereignisse bringen wir automatisch mit einem Foto in Verbindung. Das Bild des Napalm-Mädchens wurde zum Symbol des Vietnamkrieges.

Für den Betrachter solcher Fotografien gibt es ein Problem: Ein und dasselbe Bild kann für verschiedene Zwecke gebraucht und missbraucht werden. Information und Desinformation liegen nah beieinander. Der Fotojournalist macht seine Arbeit in bester Absicht, doch jemand anders verfremdet sie – eine Kleinigkeit im digitalen Zeitalter. Bilder so zu bearbeiten, dass ihre Aussage verändert wird, sei für eine Zeitung wie die New York Times nicht annehmbar, sagte uns auf Nachfrage Arthur Ollman, einer der Kuratoren der Ausstellung „Hard Truths“.

Doch jeder Betrachter, vor allem von Bildern aus Krisengebieten, muss sich im Klaren darüber sein, dass er immer nur einen Teil der Realität zu sehen bekommt. Die Ausstellung „Hard Truths“ zeigt in der Tat viele „bittere Wahrheiten“. Der Titel ist nicht umsonst in der Mehrzahl. Die einzige und alleinige, die eindeutige Wahrheit gibt es nicht. Und deshalb ist auch im Journalismus Pluralismus so wichtig.

roger wohlfart
28. November 2018 - 13.13

Wir sind einer Überflutung von solchen Horrorbildern-,szenen und- filmen ausgesetzt und das jeden Tag. Diese Aufnahmen empören uns, stimmen uns traurig und lösen Mitleid bei uns aus. Aber wir können an den Greueltaten nichts ändern. Auf lange Sicht werden wir immun oder sehen nicht mehr hin. Unvorstellbar und nicht nachvollziehbar für uns, dass Menschen, nicht nur Soldaten auch Frauen, Kinder und Greise, tagtäglich die Hölle auf Erden durchleben, ohne Aussicht auf eine , auch nur mittelfristige, Besserung. Diese Fotos drücken mehr aus , als seitenlange schriftliche Berichte. Und mit Wegschauen ist es nicht getan. Unsere Spassgesellschaft muss mit der grausamen Realität konfrontiert werden, damit sie sich bewusst wird, dass das Leben nicht überall auf der Welt so einfach ist wie bei uns.