Fünf Jahre später

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Binnen fünf Jahren verwandelte sich der „Arabische Frühling“ in einen „Arabischen Herbst“.

Zyniker sehen sich bestätigt, Idealisten nennen angebliche Erfolgsfälle wie Tunesien. Waren die Revolutionäre der arabischen Welt bereits zu Beginn zum Scheitern verdammt? Bis heute ist diese Frage nicht zu beantworten. Tunesien, Ägypten, Libyen, Jemen, Bahrain, Oman, Marokko, Syrien … die revolutionären Kräfte – ja, es gibt sie neben all den Bärtigen – wurden in diesen Staaten schnell erstickt. Selbst das tunesische Vorbild gilt es zu hinterfragen. Trotz des Nobelpreises für sein Dialog-Quartett ist genau das gleiche Tunesien heute der Exportmeister in Sachen „foreign fighters“. Kein anderer Staat verliert so viele Freiwillige an die Terrororganisation Islamischer Staat (IS). Allerdings hat das Beispiel Tunesien etwas bewiesen: Solange sich externe Kräfte nicht in nationale Revolutionen oder, um es weniger überschwänglich zu formulieren, in nationale Reformprozesse einmischen, ist Wandel – mit all seinen positiven und negativen Effekten – möglich. Das uferlose Chaos und die brutale Repression in Libyen, Ägypten, Syrien, Irak, aber auch im Jemen sind erst durch diese externe Einflussnahme zu verstehen.

Dhiraj Sabharwal dsabharwal@tageblatt.lu

Revolten und Bürgerkriege verwandelten sich in unkontrollierbare Stellvertreterkriege, nachdem regionale und internationale Player ihre Machtinteressen in der wahrscheinlich geopolitisch wichtigsten Region zu sichern versuchten. Aber auch weil die USA sich zu Beginn des „Arabischen Frühlings“ unter der Führung eines noch unerfahrenen und durchaus der arabischen Welt gegenüber wohlwollenden Präsidenten befanden. Die USA verhielten sich aufgrund einer wachsenden Energieautonomie sowie der bitteren Irak- und Afghanistan-Erfahrung um 2010 zurückhaltender. Was zunächst positiv wirkte und von vielen lange herbeigesehnt worden war, stellte sich jedoch als gefährliche Außenpolitik heraus.

Der historisch immer wiederkehrende US-Isolationismus, gekoppelt an eine abwartende Haltung, schürte falsche Hoffnungen bei den Menschen der arabischen Welt. Denn: Die USA gaben anfangs vor, sich gar nicht mehr im Nahen Osten einmischen und gleichzeitig helfen zu wollen. Verlogener oder naiver kann Außenpolitik kaum sein. Menschen im Glauben zu lassen, militärische Alliierte wie Ägypten oder Israel würden aufgegeben, ist fahrlässig. Russland nutzte vor diesem Hintergrund die Blauäugigkeit Washingtons eiskalt aus (Stichwort: „rote Linien“ in Syrien) und weitete seinen Einfluss ohne Rücksicht auf die Interessen der arabischen Bevölkerung und unter dem Vorwand der Terror-Bekämpfung sowie regionalen Stabilität aus. Es begann das Rennen um die Macht zwischen Russland und den USA. Hinzu kamen der Iran und Saudi-Arabien, die Türkei, Israel, die Kurden und weitere Staaten: Sie alle scherten sich keinen Deut um die Rechte von Bürgern, geschweige denn um ein abstraktes Konzept namens „Arabischer Frühling“.

Wie lautet also die vorläufige Bilanz dieses „Arabischen Frühlings“, den es scheinbar nie gegeben hat? Nicht alle Revolutionäre sind prinzipiell im Fehler. Dass Syrien etwa unter dem Joch des IS leidet, ist immer noch die Frucht Assad’scher Machtbesessenheit. Er hätte ähnlich wie ein weitaus gewichtigerer und weitsichtigerer Staatenlenker namens Mubarak abdanken können, tat dies aber nicht. Hauptprobleme des „Arabischen Frühlings“ sind somit der vermeintliche Glaube an einen einheitlichen arabischen Raum, das Ausbleiben einer gemeinsamen panarabischen Galionsfigur, die weiterhin bestehenden sektiererischen Konflikte, historisch sinnlose Grenzziehungen, sozioökonomische Prekarität – und die scharfen Krallen der regionalen sowie internationalen Großmächte. Das Streben nach Stabilität und Macht bleibt die zentrale Währung.