Facebook-Demokratie

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Lucien Montebrusco hat Zweifel, dass die sozialen Medien die demokratischen Willensbildung sinnvoll unterstützen.

Bekanntlich kann man sich am PC, Tablet oder Smartphone grausamsten oder erhabensten Fantasien hingeben, beispielsweise in wenigen Augenblicken Dutzende „Feinde“ abschlachten oder sich neue rosabunte Welten aufbauen. Doch was in der virtuellen Welt möglich ist, geht nicht in der realen. Eine bitterböse Lektion müssen dieser Tage eifrige „Demokraten“ lernen.

Da wurde schnell nach guter alter Hausierer-Manier ein „Porte-à-porte“ organisiert, Unterschriften unbescholtener Bürger gesammelt, die dann freimütig mitmachten, so als ob sie sich banal für den Schutz des Bengal-Tigers einsetzen würden. Die Liste wurde ordnungsgemäß hinterlegt. Nichts hätte mehr eine zünftige Wahlkampagne der Liste Nr. 9, auf Facebook und Co. natürlich, verhindern können. Wären da nicht Kandidaten, die plötzlich keine mehr sein wollten.

Für die Initiatoren der Liste war das kein Problem. Zwei Tage nach der Hinterlegung der Listen mit 23 Kandidaten im Süden wurde einem Medienhaus eine revidierte Liste zugestellt, mit nunmehr 19 Namen. Man kennt das ja bei Facebook. Falls etwas nicht stimmt: Button „Beitrag bearbeiten“ drücken, und schon wird die Botschaft angepasst. Da auch dies die Gemüter nicht beruhigen konnte, griff die Sprecherin von „Demokratie“ zur ultimativen FB-Waffe: „Löschen“. Man ziehe die Listen zurück, beschloss sie am Montag. Bloß, was bei einem sozialen Netzwerk funktioniert, tut es in der realen Welt nicht. Die Kandidatenlisten können nicht mehr geändert werden, wenn die gesetzlich vorgesehene Frist verstrichen ist. Punkt, Schluss.

Als guten Demokraten hätten derlei Details auch den Liste-9-Machern bekannt sein müssen. Doch das 121 Seiten starke Wahlgesetz zu lesen, ist anstrengend, vermutlich auch langweilig. Wer hat schon die allgemeinen Geschäftsbedingungen bei den sozialen Netzwerken gelesen, bevor er/sie seine/ihre Zustimmung gab und sich damit den Weg in die Welt der Follower und Freunde freischalten konnte?

Welche Verantwortung für diese Schmierenkomödie die sich überrumpelt fühlenden Bürger tragen, steht hier nicht zur Debatte. Erstaunlich ist bloß, dass derlei Betrug noch möglich ist in Zeiten, da sich jeder bei der ULC einen Sticker mit „Colportage – Nee Merci“ bestellen und an die Haustür kleben kann, die Polizei permanent vor dem Falsche-Neffen-Trick und anderen Gaunereien warnt. Sie erlagen wohl sympathischen Bittstellern und deren einleuchtend klingenden Argumenten. Schließlich „likt“ man oftmals schnell diesen oder jenen Post, ohne sich besonders Gedanken zu machen.

Den Initiatoren dieser kurzlebigen Gruppierung wird man derzeit nicht unterstellen können, Menschen bewusst in die Irre geführt zu haben. Nicht ausgeschlossen ist, dass sie selbst Opfer des heutigen medialen Umfelds geworden sind, ihre Kunstwelt in den sozialen Medien mit der Realität verwechselt haben und dabei der Illusion erlagen, Demokratie spielen sei nun mal nicht so kompliziert. – Doch, ist es.

Allein ein paar Gesinnungsgenossen via Facebook-Gruppe virtuell mobilisieren, mal schnell eine Unterschrift unter einen Aufruf setzen, das mag für kurze Zeit das Gefühl vermitteln, man sei endlich politisch aktiv, man rede, ja man entscheide mit. Doch Politik machen ist mehr als kurze oder längere Posts auf Twitter und FB absenden. Komplexe Zusammenhänge diskutieren und darüber entscheiden kann man damit nicht.
Andererseits: Wer derlei „Demokraten“ hat, braucht keine russischen Hacker, um dem demokratischen System zu schaden.

Le Républicain
27. August 2018 - 7.52

Zumindest sollte aber auch das Wahlgesetz umgeändert werden damit es möglich ist vor der Wahl eine Liste oder einen Kandidaten zurückzuziehen, es ist lächerlich das so etwas vorkommt aber noch mehr lächerlich dass es nicht möglich ist...Schilda lässt da grüssen..

Clemi
24. August 2018 - 12.08

Jaja, im internet/auf (a)sozialen medien scheint vieles einfach, ein knopfdruck und schon ist es erledigt, zudem ist alles (vieles) gratis, und jeder kann sich seine welt so zurechtlegen wie es ihm in den kram passt. Es müsste wieder mehr allgemeine geschäftsbedingungen geben, v.a. in der politik, z.bsp. wahlprogramme die etwas taugen und nicht bloss mit floskeln daher kommen, und der umgang mit (a)sozialen medien sollte gelehrt und gelernt werden. Realität, wahrnehmung, manipulation, etc. sind wörter die wieder erklärt werden müssen. So wie in diesem guten editorial erklärt müssen (a)soziale medien (resp. der umgang damit) auch mal als regelrechtes gesellschaftspolitisches problem diskutiert werden können.

Grober J-P.
24. August 2018 - 10.42

Richtige Demokratie funktioniert nicht über Facebook oder Twitter, leider haben viele unserer Politiker das noch nicht mitbekommen oder lassen sich "verführen". Demokratie à la Trump ist das.