Die „Neon-Nazis“

Die „Neon-Nazis“
(Alain Rischard/editpress)

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Rechte Gewalt vor 25 Jahren und heute.

In Sachsen hat die rechte Gewalt am Wochenende wieder einen traurigen Höhepunkt erreicht. In Bautzen wurde ein geplantes Flüchtlingsheim unter jubelndem Applaus angezündet, in Clausnitz versuchten am Donnerstagabend rund hundert Menschen, die Ankunft eines Busses mit Bewohnern eines neuen Asylbewerberheims zu verhindern. Nun sucht ganz Deutschland nach Erklärungen. In Sachsen sei so etwas möglich, weil dort Politik und Behörden seit Jahren nicht entschieden genug gegen Rechtsextremismus vorgingen, hieß es gestern auf Spiegel online. So hätten sich erhebliche rechte Strukturen etablieren können.

Luc Laboulle
llaboulle@tageblatt.lu

Die Szenen vom Wochenende erinnern an die Vorfälle im September 1991, als Rechte im sächsischen Hoyerswerda ein Arbeiterwohnheim und eine Flüchtlingsunterkunft mit Steinen und Molotow-Cocktails beworfen und angezündet hatten. Auch damals hatte es in ganz Deutschland eine Welle der Empörung gegeben.

Die politische Stimmung in Europa Anfang der 1990er-Jahre war ähnlich wie heute. Der Krieg auf dem Balkan und Bürgerkriege in Teilen Afrikas sorgten für einen Anstieg der Flüchtlingszahlen. In mehreren europäischen Staaten hatten rechte Parteien Aufwind. In Frankreich entwickelte sich der „Front national“ zu einer ernst zu nehmenden Kraft.

Im September 1991 gab es auch in Luxemburg eine kleine, aber aggressive Neonazi-Szene, die im Dunstkreis der rechtsextremen Partei „National-Bewegong“ entstanden war. Im September 1991 marschierten rechte Skinheads durch die Straßen von Esch/Alzette. Sie schwenkten rot-weiß-blaue Fahnen, grölten gehässige Slogans, pöbelten Passanten an und fielen in Cafés ein, wie die Wochenzeitung Lëtzebuerger Land damals berichtete. Im November 1991 wurde das Rümelinger Kulturzentrum mit Hakenkreuz, Nazi-Parolen und einem „Front national“-Schriftzug beschmiert. Schon damals war die Rechtschreibung des Rechtsextremen größter Feind, denn statt „Neo-Nazi“ hatte er „Neon-Nazi“ neben die Sieg-Heil-Parole gesprüht.

Und heute?

Das Rechtschreibproblem besteht immer noch. Auch ein Hakenkreuz wurde im November 2015 an einem brennenden Haus in Münschecker bei Grevenmacher entdeckt. So wie damals versucht die Polizei auch heute noch, die Schandtaten von Rechtsextremen zu vertuschen.

Nur würde ein Neonazi sich heute wohl kaum noch trauen, an einem Samstagnachmittag mit Glatze, Bomberjacke und Springerstiefeln durch Esch/Alzette zu marschieren, ausländerfeindliche Parolen zu skandieren und Passanten anzupöbeln. Vermutlich würde er kurze Zeit später geteert und gefedert aus der Stadt gejagt.

Luxemburg ist ein offenes Land. Im öffentlichen Raum, in den Medien und auch in der Politik haben Rassismus und Fremdenfeindlichkeit derzeit kaum Platz. Das bedeutet aber nicht, dass solche Tendenzen nicht existieren.
Heute spielt sich vieles davon hinter verschlossenen Türen ab.

Die neuen Rechten geben sich diskret, nicht nur in ihrem Aussehen. Manche von ihnen sind gebildet, haben einen Doktortitel. In der Kneipe, beim Familienessen, im Internet hetzen sie gegen die „linksliberale Gutmenschen-Ideologie“. In den sicheren vier Wänden wird die rassistische Botschaft vom Computer aus in die Welt hinausposaunt. Rezente Gerichtsurteile gegen fremdenfeindliche Äußerungen auf Flyern und auf Facebook haben aber sicherlich dazu beigetragen, dass mittlerweile so mancher Vorsicht walten lässt und lieber mit seiner Meinung hinter dem Berg hält.

Gespannt darf man auf den Auftritt von Thilo Sarrazin im Echternacher Trifolion sein. Die Leitung des Kulturzentrums gibt sich derzeit Mühe, in groß angelegten Werbekampagnen in der Presse und insbesondere auf RTL Radio ihren durch die vielen Proteste geschädigten Ruf wiederherzustellen. Es bleibt abzuwarten, ob die Rechten am 20. April aus ihren Löchern kriechen werden. Eine Gegendemonstration wurde jedenfalls schon beantragt.