Bilanz einer Fehde

Bilanz einer Fehde

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Es sollte keine Fehde werden. Es hatte mit einer friedfertigen Aufforderung zu einem ernsten Dialog über ein höchst wichtiges und brisantes Thema begonnen.

Als Antwort kam der Angriff und der Prozess. Ich wurde also zum Kampf gezwungen, und ich habe gewonnen.

Wie mir darob wäre, wurde ich gefragt. Nun, dieser gewonnene Prozess hat ein Gemisch von Gefühlen und Überlegungen in mir ausgelöst: Erleichterung. Freude, Stolz, Dankbarkeit, aber auch Enttäuschung und Bedauern und schlussendlich etwas lebenserhaltende Hoffnung.

Froh bin ich hauptsächlich, dass die Meinungsfreiheit siegte, erfreut auch, dass so viele Mitbürger mir gratulierten. Sogar RTL hat mich beglückwünscht und zu künftigen „cartes blanches“ eingeladen. Wer hätte das gedacht?

Aber mein Stolz gilt an erster Stelle unserer Justiz, der Garantin unseres Rechtsstaates, ohne den es keine Demokratie gibt.

Mit ihrem ausgewogenen und ernsthaft begründeten Urteil hat sie diese äußerst wichtige Rolle vollends erfüllt.

Ich wäre natürlich enttäuscht gewesen, wenn das erste Urteil bestätigt worden wäre.

Ich hätte mich nämlich dann gezwungen gesehen, nach einer Prozedur beim Kassationsgericht, eine Klage beim Straßburger Menschenrechtsgerichtshof einzureichen.

Außer der persönlichen Belastung, die dies für mich bedeutet hätte, wäre mir sehr unangenehm gewesen, wenn unser Staat wegen der menschenrechtswidrigen Rechtssprechung unserer Justiz verurteilt und vor den gesamten Mitgliedsstaaten bloßgestellt worden wäre. So aber wurde eine Jurisprudenz geschaffen, welche für alle Mitgliedstaaten richtungsweisend ist.

Danken möchte ich vor allem dem Tageblatt und seinem mutigen Direktor. Ohne seine Bereitschaft, meine „carte blanche“ in seiner Zeitung zu publizieren, wäre jede öffentliche Diskussion im Keim erstickt worden. RTL verbot mir die Rede, und keine der gesamten Luxemburger Zeitungen, an die ich mich mit der Bitte einer Veröffentlichung gewandt hatte, wagte, dieser nachzukommen.

Mir scheint dies sehr schwerwiegend, denn das heißt, dass unsere Meinungsfreiheit eine pure Fata Morgana ist, denn was bedeutet theoretische Freiheit, wenn es keine konkrete Möglichkeit sie auszuüben gibt? Desto größer ist das Verdienst des Tageblatt, das sowohl meine Artikel wie auch die von Ben Fayot und den groben Hassbrief des Konsistoriums sowie noch mehrere Pro- und Kontrameinungen brachte.

Das Tageblatt ist somit (leider!) das einzige demokratische Blatt Luxemburgs, ohne das die Zensur faktisch in unserm viel gepriesenen Rechtsstaat perfekt wäre.

Ich bedanke mich jedoch auch bei all den vielen Bekannten und Unbekannten, die mir ihre Sympathie bekundeten, auch als noch nicht feststand, ob ich freigesprochen würde oder nicht.

Wenige bekannten sich öffentlich

Sehr wenige hatten allerdings den Mut, sich öffentlich zu mir zu bekennen, aber denen, die es taten, gelten mein besonderer Dank und meine Anerkennung. Einige wurden mir so zu wertvollen Freunden, was die Belastungen und Unannehmlichkeiten, denen ich während des Prozesses ausgesetzt war, mehr als ausgleicht.

Enttäuscht hat mich vor allem das komplette Scheitern meines Versuchs, einen fairen und konstruktiven Dialog mit den Luxemburger Juden herzustellen. Ich bin entsetzt über die Aggressivität, Bösartigkeit und Grobheit der Mitglieder des Konsistoriums, welche diesen hasserfüllten, gemeinen Leserbrief gegen mich und das Tageblatt veröffentlichten und, ohne Ausnahme, dafür stimmten, mich gerichtlich zu belangen.

Schroffe Abwehr

Ist die Ursache dieser schroffen Abwehr gegen jeden Kontakt mit Nichtjuden in der krankhaften Verfolgungsobsession vieler Juden zu suchen, obschon diese Angst in unserer heutigen Gesellschaft überhaupt nicht mehr begründet ist?

Oder erklärt sich diese Annäherungsverweigerung durch ihre tiefverankerte Abscheu einer eventuell durch den Kontakt mit Nichtjuden begünstigenden Assimilation? Haltung, welche ihnen schon so viel Unglück und Elend eingebracht hat. Oder ist es nur pure Verachtung?

Wie dem auch sei, ich tröste mich damit, dass es auch sehr viele andersdenkende Juden gibt, und auch mit dem Gedanken, dass mein Versuch doch vielleicht einige meiner Gegner zum Nachdenken und zur Infragestellung mancher ihrer bis jetzt unerschütterlichen Überzeugungen brachte.

Bedauert habe ich die fast völlige Abwesenheit jeder Zivilcourage unserer sogenannten Intellektuellen, dieser Professoren, Ärzte, Journalisten, Politiker, Freidenker, Linken, Menschenrechtler aller Couleur, Nationalphilosophen, die sonst so emsig und überall über alles ihnen Bekannte und Unbekannte mitmischen und sich in Szene setzen, vorausgesetzt, es geht um politisch Korrektes.

Haben die grausamen Menschenrechtsverletzungen, derer sich Israel in Gaza schuldig gemacht hat, sie nicht empört? Hat die daraus entstandene Tragödie ihre sonst so delikaten Sinne, wenn es um Euthanasie und Schwangerschaftsabbruch geht, nicht gerührt? Haben sie auch nicht gemerkt, dass es in meinem Prozess nicht um meine Person, sondern um die Meinungsfreiheit ging und sind sie sich nicht bewusst darüber, dass von überall her die Gefahr droht, diesen äußerst wichtigen Pfeiler einer jeden Demokratie ins Wanken zu bringen, und es die Pflicht eines jeden aufgeklärten Bürgers ist, sich dagegen zu wehren? Sind sie zu faul oder zu feige dazu?

Laue Trägheit

Ihre laue Trägheit erinnert mich an den „Brief an einen Freund“, den mein Vater in der Neuen Zeit publizierte, nachdem eine mehrtägige nazistische Judenhetze in Trier und in der Eifel stattgefunden hatte, während der jüdische Geschäfte und Häuser gestürmt und beschädigt und die Einwohner brutalisiert worden waren. Weder die Luxemburger Presse noch sonst jemand hatte darauf reagiert.

Mein Vater schrieb damals: „Ja, mein lieber Freund, das ist das Unglück der Zeit: die Idee von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit; die Toleranz und die Demokratie sind noch nicht einmal verwirklicht … und trotzdem sind ihre angeblichen Vorstreiter und Verteidiger vermorscht und faul bis ins Mark.

Die Unmenschlichkeit triumphiert, weil die Verfechter der Menschlichkeit versumpften und feige wurden. Unsere Gesinnungsgenossen lieben den Champagner zu sehr und die Austern, ihren Geldsack und ihre Ruhe. Unsere Gesinnungsgenossen verstehen sich darauf, hinterm Bierglas zu schimpfen und zu jammern, zum bloßen Mithelfen in dem Kampf, den wir (in der Neuen Zeit z.B.) führen, langt es nicht mehr …

Und doch kann einzig und allein auf diese Weise die Welt vor der Überflutung durch die Barbarei gerettet werden. Auch ich war müde geworden inmitten all dieser Feigheit und Gleichgültigkeit im eigenen Lager … Jedoch der erschreckende Ausdruck der tiefsten Barbarei, den wir dieser Tage erlebten und dem kein wahrer Mensch tatenlos gegenüber stehen darf, solange noch ein Rest von Kraft in seinen Adern pulst, … hat mir die Kraft gegeben, trotz allem, den Kampf nicht aufzugeben.“ (Neue Zeit N. 27, 1. Dezember 1938)

Die Feststellung, dass sich an dieser miesen, faulen, egoistischen Einstellung vieler unserer sogenannten geistig liberalen Mitbürger kaum etwas geändert hat, lädt kaum zu Optimismus ein.

Noch weniger das heutige Wissen darum, wie der Kampf der damaligen Idealisten ihnen gedankt wurde, und einige von ihnen, nach ihrer Rückkehr aus der Naziverbannung, vom hiesigen Staat ihrer politischen Einstellung und ihres Gerechtigkeitskampfes wegen, als Volksfeinde und Verräter diskriminiert und verfolgt wurden.

Und trotzdem! Mir scheint, die Anstrengungen solcher Menschen sind nicht umsonst, denn dank ihres Mutes und trotz vieler Widerstände hat unsere Gesellschaft sich in Richtung einer Verwirklichung der Menschenrechte entwickelt. Eine solche Veränderung tut sich nicht von selbst. Sie bedarf eines freien Dialogs, mutiger Streiter, welche sowohl für neue Rechte kämpfen als auch aufmerksam über die erworbenen wachen.

Und so wage ich, trotz allem, zu hoffen, dass auch meine Anstrengungen nicht umsonst waren, sondern, in bescheidener Weise, zur Wahrung der Menschenrechte beitrugen und andere ermutigen, Gleiches zu tun.