Auf dem Weg ins wahre Leben

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Heute beginnen im technischen und im klassischen Sekundarunterricht die Abschlussexamen.

In diesem Jahr sind insgesamt 3.856 Jungen und Mädchen für das „Abi“ eingeschrieben. Das sind 5 Prozent mehr als im Vorjahr, als man ebenfalls über der Zahl von 2012 lag.

Roger Infalt.

Reifeprüfung, Matura oder Maturität sind Begriffe, die man auch heute noch anstelle von Abitur lesen kann, die Rede geht aber auch vom „Ritterschlag der bürgerlichen Bildung“ oder vom „Wisch fürs Studium“. Letztere Begriffe findet man vor allem in Kommentaren zum heutigen Bildungsniveau, in denen das Abitur von anno damals mit dem von anno heute verglichen wird.

Einst war das Abitur – oder wie es in Luxemburg heißt: „Premièresexamen“ oder „13e-Examen“ – ein Privileg für junge Männer aus der Oberschicht. Heute stellen Mädchen weit mehr als 50 Prozent der Kandidaten zum Abschlussexamen und sie haben im Durchschnitt bessere Noten als die Jungen. Mitte des letzten Jahrhunderts hatten rund sieben Prozent eines Jahrgangs das Privileg, ihr Abitur abzulegen. Heute hat jeder Zweite die Chance, den „Wisch fürs Studium“ zu erhalten. Dieses Diplom ist heute nichts anderes mehr ist als die Freikarte für das weitere Studium. Früher, ja, früher standen dem Inhaber eines „Premièresdiplom“ die Türen bei Verwaltungen und Unternehmen hierzulande weit offen. Man war schon „quelqu’un“, hatte man diese Abschlussprüfung in der Tasche. Angesehen wurde man als jemand, der reif fürs Leben war, man hatte anscheinend von einem Tag zum anderen das Zeug zum erwachsenen, ernsthaften und ernst zu nehmenden Menschen.

Weg vom „warmen Nest“

Davon kann heute nicht mehr die Rede sein. Es geht nicht mehr darum, sich nach alter Tradition reif fürs Leben zu zeigen, es geht darum, die Schwelle zu dem Lebensabschnitt überschreiten zu können, wo man als Jugendlicher das Leben erst so richtig erfährt, weg von zu Hause, weg von den gewohnten Strukturen, weg von den bis dahin stets beschützenden und alles in die Wege leitenden Eltern, weg vom Lernmodus „à la luxembourgeoise“, weg vom „warmen Nest“.

Es ist aber ein Trugschluss, zu glauben, dass einem der „Wisch“ alle Türen der Hochschulen öffnen würde, denn mit der stetig ansteigenden Zahl von Abiturienten wird das Gedränge an den Unis von Jahr zu Jahr größer. Nach dem Examensdruck und der tagelangen Party in Lloret de Mar stehen die Abschlussschüler also gleich wieder unter massivem Druck, wenn es heißt, einen Studienplatz zu ergattern.

Dass die ganze weite Welt des Studiums nach der bestandenen „Première“ offensteht, gilt nur noch für die Abiturienten mit einem sehr guten Durchschnitt. Diese Notenkonkurrenz sorgt mitunter dafür, dass die Schüler heute viel mehr als noch vor 20 Jahren eine gute Note als echten Wert betrachten, also nicht mehr nur allein den „Wisch“ anpeilen.

Und das wiederum bringt mit sich, dass die Lehrer heute versuchen, ihre Schüler möglichst alle das Abitur bestehen zu lassen und dazu suchen sie regelrecht nach Bewertungspunkten. Sie sind sich heute sehr bewusst, welche Bedeutung Noten für ihre Schüler haben. Außerdem können es sich Schulen gar nicht mehr erlauben, auszusieben, denn auch da gibt es ja heute eine gewisse Konkurrenz.

Und damit sind die besten Voraussetzungen geschaffen, damit das erwähnte Gedränge an den Hochschulen von Jahr zu Jahr noch enormer wird und sich gleichzeitig die Chancen der Jugendlichen auf eine ordentliche berufliche Zukunft verringern.

Roger Infalt