Wenn Hunde Leben retten

Wenn Hunde Leben retten
Mit dem Überstreifen der sogenannten Erkennungsdecke wissen die Hunde, dass es zum Einsatz ins Gelände kommt.

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Termin bei der „Groupe Cynotechnique“ der nationalen Rettungsdienste der „Administration des Services de Secours“, die älteste Staffel in Luxemburg, auf ihrem Trainingsgelände in Altwies ist nichts für schwache Nerven. Seit einem einschneidenden Erlebnis mit einem Hund in meiner Kindheit wechsele ich bei Begegnungen mit Artgenossen dieser Tierart stets die Straßenseite. Und ausgerechnet ich berichte nun über die Arbeit von Rettungshunden und ihren Führern. Mehr noch: Ehe ich mich umsehen kann, bin ich sogar ein Teil einer Übung, aber mehr dazu später. Am Trainingsort angekommen werde ich von Gwen Daufeld, einer sympathischen, bei der Feuerwehr- und dem Rettungsdienst engagierten jungen Frau, empfangen. Von ihr lerne ich an diesem Abend nicht nur den Ablauf der Trainingseinheit, sondern ich bekomme auch eine Menge Fachwissen vermittelt.

Um als Rettungshund „arbeiten“ zu können, muss der tierische Helfer eine spezielle Ausbildung durchlaufen. Innerhalb von zwei Jahren lernen die Hunde verschiedene Techniken kennen und anwenden – unter anderem die Personensuche im sogenannten „Trümmerfeld“ oder auf einem weitläufigen Gebiet wie ein Wald oder ein Feld (im Fachjargon: Flächen). Bevor er losgeschickt werden kann, muss der Hund den richtigen Suchablauf erlernen. „Man kann das Anfangstraining mit einem Kaugummi vergleichen, der immer weiter auseinandergezogen wird. Zunächst beginnt die Suche auf kurzen Distanzen, das vermeintliche ‚Opfer‘ ist immer in Sichtweite. Später wird die Entfernung größer und die gesuchte Person ist nicht mehr für den Hund sofort ersichtlich. Dann muss er sich auf seine Nase verlassen“, erklärt Natascha Hoffmann, die in zweiter Generation als Rettungshundführerin in dieser Staffel engagiert ist.

In der Übung, die ich begleite, werden die Hunde und ihre Führer nach diesen zwei Suchumgebungen aufgeteilt. Außerdem gehört ein sogenannter „Mantrailer“-Hund zum Team, welcher die Polizei bei Sucheinsätzen nach vermissten Personen unterstützt und an diesem Abend eine andere Spur abläuft. Anders als seine „Kollegen“ im Trümmerfeld oder im Gelände nimmt dieser Vierbeiner zunächst den Geruch der gesuchten Person von einem Kleidungsstück oder Auto auf, bevor er mit seiner Arbeit beginnt. Der Hund sucht in der Luft nach Molekülen, welche dem Ursprungsgeruch entsprechen. Wo der Vierbeiner mit seiner Suche beginnt oder wie seine Route verläuft, hängt maßgeblich von dem Vorkommen der Geruchsspuren in der Luft ab – so, wie der Wind sie verteilt hat, erklärt Serge Garidel, Leiter und Ausbilder der „Groupe Cynotechnique“.

Ein Suchteam besteht immer aus einem Rettungshund und einem Führer. Vierbeiner und Mensch müssen die Körpersprache des Anderen wie ein offenes Buch lesen lernen. Jedes Rümpfen der Nase, jede Neigung des Kopfes, jede Augenbewegung, jede Pause beim Suchen muss der Hundeführer richtig deuten können. Umgekehrt muss der Hund seinen „Meeschter“ genau beobachten und sowohl seine Kommandos als auch seine Körpersprache „lesen“ und unmittelbar umsetzen können. Aufs Wort hören ist dabei Pflicht. Mensch und Tier müssen sich im Notfall blind vertrauen können. Eine enge Beziehung aufzubauen ist in diesem Fall die wichtigste Bedingung, um als Team funktionieren zu können. Ständiges Üben außerhalb der Trainingseinheiten mit dem Team gehört dazu, ebenfalls das Versorgen des vierbeinigen Partners. Die wichtigste Voraussetzung, um diesen Job zu machen, ist, „ein Hundenarr zu sein“, lächeln Natascha Hoffmann und Gwen Daufeld. „Ich wollte mit meinem Hund etwas Sinnvolles tun“, schildert Daufeld ihre Beweggründe. Die Einsatzkräfte, die ich kennenlerne, engagieren sich ehrenamtlich in ihrer Freizeit voller Herzblut für diese Art Rettungsarbeit. Sie haben ihre Hunde von klein auf großgezogen, sie gehören praktisch zur Familie. „Jeder von uns kauft sich seinen Hund selbst und übernimmt aus eigener Tasche die Kosten für Tierarzt und Futter“, erklärt Daufeld.

Nicht aus jedem Tier wird ein Rettungshund

Aber nicht jede Rasse ist für den Einsatz als Rettungshund geeignet. „Ein Mops würde hier nicht angenommen werden, allein wegen der ‚fehlenden‘ Nase, da er nicht so gut riechen kann“, erklärt die Fachfrau. In dieser Rettungsgruppe sind Malinois, Border Collies, Labradore, Deutsche oder Holländische Schäferhunde Teil des Teams. „Allzu klein oder zu groß darf der Hund aber nicht sein“, so die Hundeführerin, „besonders beim Einsatz im Trümmerfeld besteht Einsturzgefahr durch das Eigengewicht des Hundes.“

Während dieser Einführung ist die Übung in vollem Gange. „Auf unserem Trainingsgelände im Bereich der Trümmer sind rund 95 sogenannte ‚Caches‘ (Verstecke) verteilt. Dort verstecken wir uns, um so realitätsnah wie möglich die Situation von u.a. Erdbebenopfern zu simulieren“, führt Daufeld aus. Damit sich kein Gewöhnungseffekt auf dem 2.500 Quadratmeter großen Gelände – weder für die Hunde noch für ihre Führer – einstellt, werden die Standorte und die Art der „Caches“ immer wieder verändert. Mal ist es ein Abfallcontainer, mal ist es eine Lücke unter dem Schutt. Im Wald kann es eine Fußgängerbrücke oder ein verstecktes Plätzchen im Dickicht sein. „Je abwechslungsreicher das Gelände, umso interessanter und desto motivierender ist das für das Tier“, so Gérard Hoffmann, Hundeführer und Vater von Natascha.

Zart besaitet dürfen Rettungshunde nicht sein. Um sie an die Geräusche, die in einem realen Einsatz vorkommen, zu gewöhnen und sie gleichzeitig dafür unempfänglich zu machen, kann es während der Übungen ziemlich laut werden. Andere Teammitglieder schlagen mit leeren Plastikflaschen auf die Trümmerteile, rufen den Hund, mehrere Vierbeiner bellen, manchmal brennt irgendwo ein Feuer. Nicht nur gegen Lärm oder Wasser, auch gegen Gerüche müssen die Tiere unempfindlich werden und sich auf ihren Job konzentrieren können – insbesondere, wenn es um Einsätze in Erdbebengebieten mit vielen Verschütteten geht, erläutert einer der Hundeführer.

„Such und sprich!“

Bevor sich das Zweier-Rettungsteam auf die Suche macht, muss sich das vermeintliche Opfer ziemlich gut verstecken. Hund und Führer dürfen nicht erfahren, wo sich die vermisste Person befindet, sonst ist der Trainingseffekt gleich null. Kurz vor dem Start der Übung bekommt der Führer die Information über die Zahl der Vermissten auf seinem Gebiet. In unserem Fall sind es „null bis zwei Personen“.

Sobald diese Hinweise übermittelt sind, wird der Hund von „seinem“ Menschen „motiviert“, so die Fachsprache. Herrchen oder Frauchen lobt ausgiebig, streichelt und spielt mit dem Hund. Erteilt der Führer seinem tierischen Partner das Kommando „Such und sprich!“, heißt es volle Konzentration. „Der Hund muss jetzt seine Arbeit tun, der Mensch folgt ihm etwas weiter entfernt. Das Tier sucht größtenteils selbstständig, es darf sich nicht allein auf die Hilfestellungen des Hundeführers verlassen“, erklärt mir Gwen Daufeld. Letzterer lässt den Hund nicht aus den Augen und versucht, durch seine Körpersprache und Mimik den genauen Standort der Vermissten herauszufinden. Wo sie sich tatsächlich befinden und um wie viele Opfer es sich in Wirklichkeit handelt, wissen Hund und Herrchen respektive Frauchen nicht. Sie müssen es bei der Übung selbst herausfinden. Wann das Gebiet „freigegeben“, also die Aufgabe erfolgreich gelöst und der Suchvorgang beendet wird, legt der Mensch fest. „Das ist die schwierigste Entscheidung“, sagt Gwen Daufeld. Denn das Risiko und die Angst, möglicherweise jemanden in den Trümmern übersehen zu haben, schwingen immer mit. Als Absicherung wird daher im Anschluss der ersten Suchaktion stets ein zweites Team auf das gleiche Gebiet geschickt.

Wenn der Hund in der Übung bei der gesuchten Person anschlägt und zu „sprechen“ – in diesem Fall laut und pausenlos zu bellen – beginnt, hat er seine Aufgabe erfolgreich gemeistert. Bis zum Eintreffen seines Führers muss der tierische Helfer beim „Opfer“ bleiben. In der Übung werden die Tiere von den vermeintlichen „Victimes“ belohnt. „Das ist ein Spiel. Die jungen Hunde und auch ihre erfahrenen Artgenossen werden in der Übung immer belohnt. Denn in der Realität sind die Menschen verletzt und Lob gibt es dort nicht. Das ausgiebige Spielen nach einem erfolgreichen Übungseinsatz ist die beste Motivation für das Tier. Die Hunde warten auf das anschließende Spiel“, beschreibt Daufeld die Situation, die wir gerade beobachten.

Selbsversuch als „Victime“

Nach einem Ausflug auf dem Übungsplatz und einer beeindruckenden Demonstration von Twix, dem Labrador von Gwen Daufeld, wird es ernst für mich. Da die Hunde meinen Geruch nicht kennen, eigne ich mich bestens als vermisste Person für die nächste Übung. Als ich gefragt werde, ob ich mitmachen möchte, schlägt mir mein Herz bereits bis zum Hals, mein Puls erreicht in diesem Moment das Niveau eines Hochleistungsathleten. Ich bin selbst von meinem plötzlichen Mutanfall überrascht, als ich zusage. Und auch bei Hundeführerin Marie-Ange und Hund Nanou steigt die Anspannung.

Vor jedem Einsatz oder jeder Übung im Gelände bekommen die Hunde eine „Weste“ , in der Fachsprache eine sogenannte Erkennungsdecke übergestreift; eine Art kleiner dreieckiger Umhang mit lichtreflektierenden Streifen, einem Glöckchen und abends ein kleines Licht zur besseren Erkennung im weitläufigen Suchgebiet. Durch das Klingeln werden auch Wildtiere, die durch den Wald streifen, vor dem herannahenden Hund gewarnt. Manche Führer befestigen daran einen GPS-Sender, mit dem sie die Tiere genau verfolgen können.

Test bestanden

Glücklicherweise bin ich in diesem Moment nicht allein im Gebüsch, der mir durch die beginnende Dämmerung noch bedrohlicher erscheint. Mit meinem Trainingspartner … mache ich mich auf den Weg zu unserem Versteck. Marie-Ange und Nanou warten unterdessen am Ausgangspunkt. Per Funk bekommen sie das Startsignal. Wenige Minuten später hören wir von weitem das klingelnde Glöckchen.

„Opfer“ und Rettungshund reagieren vorbildlich. Sobald er den Vermissten gefunden hat, „spricht“ Nanou und wartet sehnsüchtig auf sein Spielzeug. Alle gehen zurück zum Ausgangspunkt, wo Staffelleiter Serge Garidel sofort Bericht erstattet bekommt und mein Einsatz bei der Rettungshundestaffel beendet ist. Für Marie-Ange, Gwen , Natascha, Gérard, Serge und alle anderen freiwilligen Rettungskräfte geht es weiter zu den nächsten Übungen und Einsätzen. Mit dem gleichen Herzblut wie an diesem Abend.