Letzte Chance im Tierasyl – Wie Listenhunde adoptiert werden

Letzte Chance im Tierasyl –  Wie Listenhunde adoptiert werden

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Listenhunde sind von Natur aus keine „Kampfmaschinen“. Ihre Halter tragen die größte Verantwortung bei der Erziehung. Misslingt sie, bedeutet das für die Tiere nichts Gutes. Daisy Schengen hat einige von ihnen im nationalen Tierasyl in Gasperich besucht.

Früher Vormittag, draußen ist es noch kühl, die Herbstsonne erleuchtet Gasperich. Der Parkplatz vor der Tür des nationalen Tierasyls ist nahezu vollständig belegt, vor dem Eingangsbereich ist keine Menschenseele in Sicht. Nur ein Schäferhund in einem großen Gehege empfängt still die Besucher.

Ich klingele an der Tür. Zwei groß gewachsene Frauen, Pascale Sax, die Verantwortliche für das „Déierenasyl“, und Liliane Ferron, zuständig für Öffentlichkeitsarbeit, empfangen gut gelaunt die Besucher. Sofort geht es zu den Gehegen der sogenannten Listenhunde. Unterwegs erleben wir den Alltag im Tierheim: Fütterung, Gehege säubern, Gassi gehen. Den Besucher begrüßen die Hunde mit lautem Gebell: „Das ist normal“, sagt Pascale Sax lächelnd, „wenn einer bellt, bellen alle.“

Inzwischen haben wir den Bereich der sogenannten Listenhunde erreicht. Auch sie bellen, sind neugierig, verhalten sich auf dem ersten Blick nicht anders als die Hunde, an denen wir gerade vorbeigegangen sind. Nur ihr Aussehen löst, zugegeben, ein mulmiges Gefühl aus. Ihre Statur ist kräftig – „stämmig“ würde man beim Menschen sagen –, ihr Kiefer beeindruckend.

Liliane Ferron (r.) und Pascale Sax stellen Hündin Dina vor

Keine Widerrede geduldet

Während wir uns die Tiere anschauen, wird aus einem der Gehege Dina hinausgeführt. Kurzes braunes Fell, große dunkle Augen, etwa oberschenkelhoch. Pascale Sax nimmt sie an der Leine, die Hündin geht brav mit, ist leicht aufgeregt, dreht sich aber immer wieder zu Sax – später erfahre ich, dass sie ein Leckerli erwartete und sich gleichzeitig auf den Ausgang freute. Die Verantwortliche ermahnt Dina immer wieder mit kurzen, aber bestimmten Kommandos, in einem Ton, der keine Widerrede duldet, stets die Leine fest im Griff. Die Hündin befolgt die Anweisungen und lässt sich führen. Bis hierher zeigt sie kein auffälliges, geschweige denn aggressives Verhalten.

Aus Dinas Sicht ist der Ausflug ziemlich kurz. Ein paar Fotos für die Presse – sie posiert übrigens wie ein Profi –, und schon geht es zurück in ihr Gehege. Dina hat sich nicht anders als andere Artgenossen verhalten. Auch ein Schäferhund ist groß und hat ein Respekt einflößendes Gebiss. Warum steht der American Staffordshire Terrier auf der Liste im Hundegesetz von 2008 und andere Rassen nicht? Neben American Staffordshire Terrier stehen außerdem Mastiff, Tosa und Bullterrier auf der Liste im Hundegesetz von 2008. Diese Listen sind für jedes Land unterschiedlich, in Deutschland führt jedes Bundesland seine eigene“, führt Pascale Sax aus.

In Belgien existiert eine solche Liste nicht, während in Frankreich sehr strenge Bestimmungen herrschen. Die luxemburgische Liste sei eine Mischung aus mehreren Regelungen verschiedener Staaten.

Genaue Untersuchung ist Pflicht

Wer legt sich einen solchen Listenhund zu, will ich von den Tierexpertinnen wissen. Pascale Sax spricht Klartext: „Leider tragen die Tiere den Titel ‚Kampfhund‘ und werden oft von Menschen ‚adoptiert‘, die sich profilieren wollen.“ Diese Halter hätten außerdem „keine Ahnung von Gesetz“ und besäßen nicht die notwendigen Dokumente, die für die Haltung von Listenhunden erforderlich seien. Werden Besitzer und Tier kontrolliert oder auffällig, werden die Hunde beschlagnahmt und kommen ins Tierasyl. „Der Großteil unserer American Staffordshire wurde beschlagnahmt“, beschreibt die Verantwortliche.

Aber wo bekommt man einen Listenhund, ohne die nötigen Papiere und Wissen – der Hundeführerschein ist bei uns obligatorisch – vorzuweisen? Es gäbe viele Wege, sagt Liliane Ferron. Beim Züchter, über Facebook oder auch im Geschäft, zum Beispiel in Belgien.
Adoptiert man einen Listenhund aus dem „Déierenasyl“, werden der potenzielle Halter und dessen Papiere genauer unter die Lupe genommen. „Wir dürfen keinen Hund herausgeben, der seinen Wesenstest nicht bestanden hat und dessen künftiger Halter keinen Hundeführerschein hat“, so Ferron. Neben den gesetzlichen Auflagen muss der künftige Besitzer, unabhängig von der Rasse des Hundes, auch dem „Test“ der Mitarbeiter des Tierheims standhalten, berichtet Pascale Sax. Hierbei wird geprüft, ob der Hund zur Familie passt.

Generell interessieren sich jüngere Menschen für Listenhunde, „die Mehrheit von ihnen ohne bösen Hintergedanken, wo es fantastisch läuft“, unterstreicht Ferron. Seltener würden ältere erfahrene Hundeliebhaber einen solchen Vierbeiner adoptieren. Als Halter eines Listenhundes muss man wissen, dass man mit dem Tier nicht überall in den Urlaub fahren kann und meistens in der Öffentlichkeit misstrauisch beäugt wird. „Unsere Bestimmungen hierzulande sind relativ kulant: Ein Listenhund hat in der Öffentlichkeit Leinen-, aber keinen Maulkorbzwang, während er im Ausland einen Maulkorb tragen muss.“ Listenhunde, die eine zusätzliche Prüfung erfolgreich bestanden haben, bekommen eine Ausnahmegenehmigung und dürfen auch ohne Leine spazieren gehen, ergänzt Pascale Sax.


„Kein Gnadenhof“

Werden beschlagnahmte Tiere ins Asyl gebracht, kann es sein, dass sie sich verändern. „Schlägt das Wesen eines Hundes allerdings in Aggressivität um, behalten wir ihn nicht. Unsere Aufgabe besteht nicht darin, die Tiere bis an ihr Lebensende zu behalten“, erklärt Pascale Sax, Verantwortliche im „Déierenasyl Gaasperech“.

Ihre Mission sei, Tiere aufzunehmen, die nicht mehr in der Familie bleiben könnten, und ihnen eine neue Unterkunft zu suchen, so die Verantwortlichen. „Wenn sich ein Listenhund oder ein anderes Tier uns gegenüber über Wochen aggressiv verhält, wird es eingeschläfert. Nicht vermittelt“, weist Sax hin. Die Verantwortung eines potenziellen Angriffs können und wollen die Mitarbeiter im „Déierenasyl“ verständlicherweise nicht tragen.

Als Regel gilt: Ist es im Vorfeld bekannt, dass es sich um aggressive Hunde handelt, werden sie nicht ins Tierasyl angenommen. Die Expertinnen sind kategorisch: „Waren die Besitzer nicht in der Lage, ihren Hund adäquat zu erziehen, und haben dabei ‚Dummheiten‘ gemacht, müssen sie auch den letzten Schritt gehen und ihre Haustiere selbst zum Veterinär zum Einschläfern bringen.“


Was ist ein „Kampfhund“?

Die Bezeichnung leitet sich teilweise aus der Morphologie bestimmter Rassen ab, erklärt Pascale Sax vom Gaspericher Tierasyl. Die Tiere haben einen „extrem ausgeprägten Kiefer. Sobald sie zubeißen, lassen sie nicht mehr los.“

Gleichzeitig haben diese Tiere auch eine geringere Reizschwelle für Aggressivität. Das bedeutet nicht, dass es sich per se um aggressivere Hunde handelt, sondern dass sie „aufgeregter“ sind als andere Rassen. „Ein gemütlicher Labrador ist schwieriger aus der Ruhe zu bringen als ein Tier, das von Natur aus mehr unter Spannung steht“, stellt die Expertin klar.

Das Gleiche gelte auch für Schäferhunde oder Malinois, die ebenfalls eine niedrige Reizschwelle haben und beispielsweise von der Polizei speziell aufgrund dieser Qualitäten ausgebildet werden. „Das Zubeißen findet nur statt, wenn der Mensch die Tiere darauf abrichtet. Von Natur aus tun sie es nicht“, ist man sich im nationalen Tierasyl einig.

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