Im Orkan

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Marc Schonckert fuhr den Lamborghini Huracan Spyder und muss jetzt aus Selbstfindungsgründen in eine Entziehungskur.

„Huracan“ war der Gott des Windes und des Feuers in der Mythologie eines Maya-Stammes in Mittelamerika, wie mir Kollege EN von der „Autorevue“ erklärte. Was da bedeutet, erfuhr ich bei meiner Jungfernfahrt im Huracan, denn er brüllte los wie ein Orkan und entfachte ein Feuerwerk von Emotionen, die eigentlich nur von der fatalen Erkenntnis einer zeitweiligen Alltagstauglichkeit getrübt wurden.

Wenn man morgens beim Anlassen des Huracan einmal voll aufs Gas geht, wird das ganze Viertel aus den Betten fallen und vorsorglich schon mal die Pumpen im Keller anlassen, in der Annahme eines ausgewachsenen Unwetters das sich über ihnen zusammenbraut. Nach dieser guten Tat entschwindet man gelassen und vergnügt pfeifend in den Alltag.

Alltag? Ja schon, nur anders…

Normalerweise ist das Wort „Alltag“ bei einem Supersportwagen fehl am Platz, dennoch kann man dem Huracan mit seiner Handlichkeit durchaus Alltagstauglichkeit attestieren, ohne dabei seine Gefühle zu verletzen. Es kommt natürlich darauf an, wie Ihr Alltag aussieht, so etwa: „9.30 Uhr Aufstehen und Frühstück, dann deutsche Autobahn, danach Rennkurs, wieder Autobahn, schnell ein Abstecher zum Golf-Club, Cocktail, Umziehen, Paula abholen beim Fitness, Restaurant, Essen, Bussi, Paula zurück, einen Kilometer vor der Wohnung rauslassen, damit ihr Freund vom Krach des Lambos bei der Fussballübertragung nicht gestört wird.“ Wenn Ihr Alltag anders aussieht, haben Sie wahrscheinlich keinen Lamborghini, machen Sie sich nichts draus, geht mir ebenso.

Nicht spartanisch

Zum Auto: rasanter Look, tief abfallende Schnauze, massives Heck, dazwischen ein Interieur mit edlen Ledersitzen, die man verstellen kann und in denen man sich bis 1,85m recht bequem vorkommt. Der Startknopf liegt unter einem aufklappbaren Hebel, so wie in einem Kampfflugzeug der Knopf zum Abfeuern einer Rakete auf ein, sagen wir mal, feindliches Flugzeug.

Die Schalter sind übersichtlich angeordnet, die wichtigsten in unmittelbarer Reichweite an der Mittelkonsole, Blinker und Wischer werden am Lenkrad bedient, niemand wird Ihnen übel nehmen, wenn sie bei komplettem Einschlag den Wischer anstelle des Blinkers betätigen, bei hohem Tempo werden Sie das Lenkrad ohnehin nur wenig bewegen müssen, die Lenkung ist präzise und ein Genuss. Wie mein Beifahrer mir erklärte handelte es sich hier um das optionale „Lamborghini Dynamic Steering“ mit variabler Übersetzung, man fährt durch Kurven wie auf Schienen, der Allrad tut sein Übriges. Huracan mag der Gott des Windes und des Feuers sein, bei uns musste er sich mit der Tristesse eines verregneten Tags auseinandersetzen, tat dies souverän, sicher und unbeirrbar auch bei hohem Tempo auf regennasser Autobahn.

V10 und 610 PS

Schaltwippen am Lenkrad ermöglichen manuelles Schalten der sieben Gänge, die Automatik erledigt das allerdings viel besser und schneller. Passt wie die Faust aufs Auge zum 5,2 Liter V10, der keinen Turbo braucht und 610 PS leistet, ein Drehmoment von 560 Nm hat und über 320 km/h läuft. Drei Fahrprogramme „Strada“, „Sport“ und „Corsa“ sind vorwählbar über Knopfdruck am Lenkrad.

Bei „Strada“ geht es einigermassen gesittet zu, es reichte für zügiges Vorankommen bei ungünstigen Wetterverhältnissen, man ist schnell aber niemals überfordert. Bei „Sport“ wird es lauter, hecklastiger und rasanter, bei „Corsa“ brüllt der Huracan sein Temperament durch die Gegend als gelte es, den Jüngsten Tag anzukündigen. „Corsa“ ist für die Piste gedacht, beim Gedanken an den Gesamtpreis von 271.000.- Euro für unser Testobjekt blieb ich schön brav bei „Strada“ und ab und zu etwas „Sport.“ In diesem Auto stimmte alles, bis auf die Entzugserscheinungen die einen nach der Abgabe des Testwagens befallen.