Irgendwo im Nirgendwo

Irgendwo im Nirgendwo

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Tageblatt-Praktikantin Isabelle Greisch verbringt nach der Première ein Jahr mit ihrer Freundin in Australien. In regelmäßigen Abständen berichtet sie auf Tageblatt.lu über ihre Erfahrungen dort.

Die Busreise nach Brisbane verlief ruhig. Das Hostel war schrecklich (feuchte Bettlaken, kein Platz), aber zum Glück ging es am Samstagmorgen früh los zum Flughafen. Wieder verabschieden. Benneth, Nils und Annicka flogen mit mir nach Sydney. Übers Wochende wohnten wir in einem Hostel in Pyrmont (dieses Mal ein sehr schönes und sauberes Hostel!). Ich sah Elena am Sonntag, bevor es dann am Montag mit dem Zug nach Yass ging. Nils, Benneth und Annicka gingen in andere Richtungen weiter und es hieß noch einmal Lebewohl sagen.

Wieder nach Sydney zu fliegen ließ mich melancholisch werden und nach Coogee zu gehen kam mir in den Sinn, aber ich entschied mich dagegen, da ich einen weiteren Abschied von diesem Ort und den mit ihm verbundenen Leuten nicht gut hingenommen hätte. Einmal Trennung reichte. Meine sechsstündige Zugfahrt verging schnell, da ich fast nur schlief und mich von der anstrengenden Woche bei VisitOz erholte.

Am Bahnhof wurde ich von Sergey abgeholt. Sergey kommt ursprünglich aus der Ukraine, arbeitet aber seit zwei Jahren auf Newhaven Park. Wir gingen Lebensmittel einkaufen und redeten ein wenig, bis mir wieder die Augen zufielen (unterhaltsame Gesellschaft sieht leider anders aus…). Als wir das Grundstück erreichten, rüttelte Sergey an meiner Schulter und teilte mir mit, dass wir da sind. Alles, was ich sah, waren Felder, Felder, Felder und Felder. Kein Anzeichen von Zivilisation. Sogar die Straße war nicht wirklich eine Straße. Ein kleiner Anflug von Panik überkam mich. Der Gedanke daran, drei Monate dermaßen isoliert zu leben, raubte mir den Atem und ich fühlte mich leicht klaustrophobisch, auch wenn um mich herum alles offen war. Ich fragte mich, ob ich das aushalten würde und schloss wieder die Augen. Ich vermisste alles und jeden so sehr.

Wunderschöne Wildnis

Ich war zu aufgekratzt und öffnete die Augen wieder. Anstatt mir Sorgen zu machen, beschloss ich, den Anblick zu bewundern. Es war tatsächlich nur Wildnis, aber es war wunderschön. Es würde auf jeden Fall ein Abenteuer werden, dachte ich mir.
Wir fuhren und fuhren, doch keine Häuser oder Ställe kamen in Sicht. Das Erste, was ich sah, waren Kühe. Wenigstens etwas. Nach fast 30 Minuten kamen wir an. Wenn man schon eine halbe Stunde fahren muss, nur um auf eine Hauptstraße zu gelangen…

Bei meinem Haus angekommen traf ich auf meine Mitbewohnerin, die aus dem Wuppertal kommt. Becci erzählte mir ein wenig, wie alles funktioniert. Jede zwei Wochen geht man einkaufen (an den freien Wochenenden). Sie setzte mich ins Bild über die verschiedenen Arbeiter und was alles auf dem Programm steht. Ich bezog mein Zimmer und nachdem das erledigt war, schlug diese Welle der Einsamkeit wieder voll zu. Schon witzig, wie man Veränderung will und auch braucht, aber trotzdem irgendwie stets damit zu kämpfen hat (am Anfang jedenfalls).

Böser Virus

Abends wurde mir übel, Bauchkrämpfe und Würgen quälten mich. Ich dachte mir nur, na toll, das ist jetzt genau das, was ich brauche. Ich schlief überhaupt nicht. Morgens klopfte ich an Beccis Zimmertür und erklärte ihr meine Situation. John Kelly kam zu unserem Haus und sagte mir, dass, wenn es bis Mittag nicht besser sei, er jemanden schickt, der mit mir ins Krankenhaus fahren würde. Ich quälte mich weiter bis Mittag, und als Becci wieder da war, bat ich sie, jemanden zu rufen. Ich hielt die Schmerzen nicht mehr aus. Liane kam und packte mich ins Auto. Ich konnte mich kaum auf den Beinen halten. Nach einer fast einstündigen Fahrt (bis nach Cowra, wo wir auch stets einkaufen gehen) waren wir ENDLICH da. Ich hatte mir wohl einen ziemlich bösen Virus eingefangen. Ich bekam Infusionen, die gegen die Dehydrierung helfen sollen. Sobald ich etwas aß oder trank, rebellierte mein Magen (Was für ein super Start!).

Wieder auf der Farm, ging es mir ein wenig besser. Ich ruhte mich noch einen Tag aus und dann konnte es losgehen. Wie ich Bauchkrämpfe hasse!

„Yearling-Prep“

Mein Alltag besteht aus Boxen misten, Pferde putzen, Pferde führen, füttern, Hufschmied, usw…
Ich bekam eine zweite Mitbewohnerin, Anna aus dem Osten Deutschlands. Wir (Becci, Anna und ich) verstanden uns super gut, was viel geholfen hat, um die Arbeit „auszuhalten“. Es ist eine harte Arbeit. Am Anfang tat mir alles weh und nach der Arbeit fiel ich ins Bett wie ein Toter. Viele unbezahlte Überstunden, Muskelkater und staubige Atemwege. Manche Streitereien gab es auch. Es ist nicht immer schön, der Niedrigste in der Hierarchie zu sein. Bis Ende März hatten wir wertvolle Jährlinge in den Boxen stehen, die jeden Tag eine halbe Stunde (!) gegroomt werden mussten. Die „Yearling-Prep“ war definitiv die schwierigste und anstrengendste Zeit. Die „Inglis Easter Sales“ in Randwick, Sydney bieten nur die Besten an. Demnach wurden unsere Jährlinge auch mit Samthandschuhen angefasst. Als sie endlich weg zu den Sales fuhren (am 25. März), war jeder froh.

„Spellers“, „Weanlings“ und „Nannies“

Zurück im Stall blieben Lina (sie arbeitet seit sechs Jahren auf Newhaven), Anna und ich. Beccis Zeit hier war vorbei und für sie ging es auf Reisen. Bellymina (unser Stall) war also fast leer (es gibt immer kranke, lahme oder verletzte Pferde) und die Arbeit war weitaus weniger stressig. Mit Lina kamen wir auch super klar. Die Feedruns machten immer am meisten Spaß. Dann kommt man vom Stall weg und kann mit dem Buggy über die Farm flitzen und die verschiedenen Paddocks füttern. Man ist auch ziemlich lange unterwegs, da es so viele Pferde sind und demnach auch viele Paddocks. Diese sind außerdem riesengroß. Vom Naturschauspiel her ist es hier wunderschön! Die Pferde, die bei uns die Paddocks besetzten, sind „Spellers“, d.h. Rennpferde, die gerade Pause haben vom Rennen, oder Nannys mit Fohlen. Im Newhaven Stall (circa 15 Minuten mit dem Auto von Bellymina entfernt) halten sie die Stuten mit den Fohlen, bis die Fohlen von der Mutter entwöhnt werden. Die „Weanlings“ kommen dann zu uns auf die Paddocks und jedes Paddock beinhaltet ein erfahrenes, ruhiges und älteres Pferd: die Nanny. Die Nanny übernimmt die restliche Erziehung und ist im besten Fall einfach einzufangen. Wenn die Fohlen zum Hufschmied oder wegen irgendwas behandelt werden müssen, fängt man die Nanny ein und die Babys folgen.

Was noch zum Alltag gehört, ist Spellers, die mit dem Truck ankommen, in ihre Paddocks zu führen, oder Spellers, deren Urlaubszeit abgelaufen ist, vom Paddock in den Truck zu führen. Das hört sich einfach an, aber wir befinden uns hier auf einer schier endlos großen Farm. Pferde bewegen, aus welchem Grund auch immer, dauert mindestens 20 Minuten. Außerdem geht es nicht nur immer schön geradeaus. Es geht Hügel rauf und runter, durch Bäche, usw. Ist manchmal schon wie Bootcamp. Futter mixen dauert auch eine Ewigkeit.
Fast täglich kommt der Truck, um Pferde abzuladen oder mitzunehmen. Industrie pur.

Wie gesagt, harte Arbeit, riesige Farm, viel zu viele Pferde, wunderschöne Natur, pingeliger Umgang mit den Pferden.

Anna ist mittlerweile nicht mehr da, d.h. ich wohne alleine in einem Haus für drei Personen. Auf einer Farm irgendwo im Nirgendwo. Habe jedes Buch gelesen. Zum Glück gibt es noch andere Backpacker im Newhaven Stall.

Wunder-wunderschön

Zusammenfassend kann ich sagen, dass es mir trotz manchen Gegebenheiten gut gefällt. Ich liebe Pferde (auch wenn Rennpferde meist leicht „psycho“ drauf sein können) und das Farmleben gefällt mir auch. Eins der schönsten Gefühle ist, wenn man mit dem Buggy in einem Paddock rumfährt, um die Pferde zu finden (man checkt täglich, ob keines verletzt ist, während man sie füttert) und die Pferde (die den Buggy mit Essen assoziieren) angerannt kommen, und man dann ein Wettrennen mit ihnen veranstaltet. Wunder-wunderschön! Genauso sollten Pferde leben. Auf einer großen Weide in einer Herde. Man muss nur aufpassen, dass keines von ihnen in den Buggy rennt.

Kängurus habe ich schon viele gesehen, leider davon auch viele tot auf der Straße. Die Tiere lieben die Paddocks mit zahlreichen Bäumen am meisten und ich kann nur bestätigen, dass sie ganz schön groß und muskulös sind! Auch hier muss man aufpassen, dass man ihnen nicht zu nahe kommt, sonst riskiert man einen Boxkampf (und ich denke nicht, dass der Mensch gewinnen würde).

Kreaturen

Die Redback Spider habe ich auch schon viel zu oft erblickt. Zum Ausflippen. Unglücklicherweise bevorzugen die tödlichen, kleinen Viecher Schuhe und jegliche warme Nische als Ort zum Leben. Als ich einmal reiten war mit zwei Backpackern, die im Newhaven Park Stall arbeiten, wollte ich einen Helm aufsetzen, sah aber zum Glück rechtzeitig die Redback, die sich dort wohl fühlte. Argh!!! Man kriegt schon leicht Paranoia wegen all diesen Kreaturen, die hier rumkriechen. Wir haben zum Glück Gegengifte auf der Farm. Ich schlafe nicht gut, seit ich hier bin, wohl wissend, dass Spinnen und Co. überall sind. Das werde ich nicht vermissen!

Tiere, für die ich freundliche Gefühle hege, sind Vögel. Hier fliegen keine Tauben herum, sondern Kakadus und andere Papageienarten. Jeden Tag sehe ich sie umherfliegen: farbenfroh und zwitschernd. Richtig cool! Ich brauche keinen Zoo.

Und dann heißt es Freiheit

Was sonst in meinem eintönigen Alltag ansteht, sind Barbecues bei Sergey an Wochenenden und Haushalt in Schuss halten. Mittlerweile plane ich meinen East Coast Trip und freue mich, endlich loszulegen! Die Isolation hat mir gut getan, aber jetzt reicht es auch. Vom 18. bis zum 25. Mai gehe ich mit auf die Gold Coast. Ein anderer Verkauf. Dieses Mal stehen die Jährlinge aber auf Newhaven. In Bellymina haben wir nur drei. Und dann heißt es Freiheit!

Dieser Sale ist auch bekannt, aber nicht in gleichem Maße wie der Easter Sale. Wir hatten einen Jährling im Stall, der für 1,8 Millionen Dollar verkauft wurde. Gute Abstammung und eine erfolgreiche Schwester: English. Aber vom Charakter her konnte niemand das Pferd leiden und keiner wollte sie je groomen. Manchmal teilte sie ein paar Tritte aus, wenn sie Lust hatte.

Aber auch das ist hier keine Seltenheit. Ich wurde schon so oft umgerannt, gebissen und und und. Junge Pferde testen jeden und das nonstop. Narben mit Story. Und Fohlen sind NICHT (mehr) süß.
Also ab dem 26. Mai geht es auf Reisen und ratet mal, wer nicht mehr warten kann! Raues Farmleben adieu.

Ich bin außerdem froh, dass ich zu dieser Zeit des Jahres reisen gehe. Ende März wütete Zyklon Debbie im Nordosten Australiens. Der obere Teil von Queensland musste am meisten leiden. Das Risiko von „Bushfires“ ist auch viel kleiner. Im Herbst/Anfang Winter muss man sich nicht um derlei Naturschauspiele sorgen.

Wünscht mir Safe Travels!

Die bisherigen Einträge:

Australien, wir kommen!

Sydney ist wundervoll!

Seit 28 Tagen in Australien

Erster „Arbeitsunfall“: Check!

Abwarten und „Supermoon“ genießen

Der Sommer ist da!

Ho ho ho, und frohes neues Jahr!

Von der Großstadt auf die Farm