Zeitreise und Modernitätsverweigerung

Zeitreise und Modernitätsverweigerung

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Seit ihrem letzten halbwegs erfolgreichen Album „Splinter“ (2003) haben The Offspring noch zwei Platten veröffentlicht. Von „Rise and Fall, Rage and Grace“ (2008) und „Days Go By“ (2012) können aber wohl nur die hartgesottensten Fans Songs zitieren. The Offspring selbst scheinen ihre späte Karriere aus der Setlist verbannt zu haben – und konzentrieren sich auf die Hits der frühen Tage.

Wie viel Punk geht eigentlich noch, wenn man seit über 30 Jahren Musik macht und mit beiden Füßen fest im Mainstream steht? Vor knapp zwei Wochen eröffnete in Neimënster eine Ausstellung, über die Kollege Molinaro im gestrigen Tageblatt berichtete und die zeigt, wie verschiedene Paläontologen ihre Entdeckungen mit Namen illustrer Musiker schmücken. Eine davon wurde nach Greg Graffin benannt. Dessen Band Bad Religion gehört mit NOFX, Green Day, Pennywise und The Offspring zu den Urgesteinen klassischer Punkmusik.

Dass Sprösslinge wie Rise Against oder Anti-Flag, die zusammen mit Versus You im Vorprogramm des gestrigen Konzertes fungierten, mittlerweile auch schon fast 20 (Rise Against) respektive 30 (Anti-Flag) Jahre auf dem Buckel haben, zeugt nicht unbedingt von einem Genre, dem es gelungen wäre, sich in der letzten Dekade zu erneuern. Und trägt auch nicht unbedingt dazu bei, dass man sich jünger vorkommt.

Wirksames Publikum-Aufheizen

Demzufolge ist das Publikum, das im Laufe des Auftritts von Anti-Flag in beachtlichen Massen die große Halle der Rockhal stürmt, auch zum größten Teil mit Alben wie „Smash“ (1994), „Ixnay on the Hombre“ (1997), „Americana“ (1998) oder „Conspiracy of One“ (2000) groß geworden. Und nach einem kurzen, klassischen Anti-Flag-Set, bei dem weder die politischen Plattitüden noch das einfallslose, aber wirksame Publikum-Aufheizen oder Klassiker wie „Turncoat“, „Die for Your Government“ oder die Schlagzeugeinlage mitten im Publikum fehlen, beginnen The Offspring ihre nostalgische Reise ins goldene Zeitalter des unbeschwerten Punkrocks auch mit Auszügen aus ebendiesen Alben.

Nach dem Eröffnungstrio („Americana“, „All I Want“ und „Come out and Play“) wird zwar ein neuer Song gespielt, der fügt sich aber nahtlos in die Setlist ein, weil er ganz deutlich versucht, an die frühen Erfolgstage der Band anzuknüpfen. Ob ein weiteres „Americana“ aber im Jahr 2018 überhaupt noch funktionieren könnte, sei jetzt mal dahingestellt.

Millennium-Bug

Mit der Ausnahme von „You’re Gonna Go Far Kid“ (von „Rise and Fall, Rage and Grace“) macht die Setlist mit einigen Auszügen aus „Splinter“ (das schnelle „The Noose“, das poppige „Hit That“) im Jahr 2003 halt – alles, was danach kommt, scheint weder die Band noch das Publikum zu interessieren. So fühlt man sich sehr authentisch zurückversetzt in eine Zeit, in der Leute sich ernsthaft vor dem Millennium-Bug fürchteten.

Musikalisch wie klangtechnisch ist das Konzert grundsolide, auch wenn die visuelle Show je nach Vorliebe entweder als minimalistisch oder als langweilig abgetan werden kann. Das Publikum tut aber sein Bestes, um mithilfe Hunderter Handyschirme die Bühne virtuell zu multiplizieren und einem die Sicht ordentlich zu versperren. Irgendwann sollten sich die Konzerthallen zu einem Foto- und Filmverbot durchringen.

Sänger Dexter Holland scheint anfangs ein klein wenig schlaff – er war am Vorabend des Konzertes durch Luxemburg gezogen und behauptet, sich ordentlich einen hinter die Binde gekippt zu haben.

Ganz im Geiste des Punkrocks

Dass er dies an einem Sonntag in der Provinzstadt Luxemburg hinbekommen hat, zeugt allerdings von einer Willenskraft, die sich dann nach ein paar Songs auch in der Musik widerspiegelt: Während der 18 Songs, die in exakt 70 Minuten ganz im Geiste des Punkrocks zügig und ungestüm heruntergebrettert werden, werden die „Greatest Hits“ allesamt gespielt und die Band kommt immer mehr in Schwung. Keiner der Klassiker fehlt – weder „Pretty Fly (For A White Guy)“, „Original Prankster“, „Staring At The Sun“, „Why Don’t You Get A Job“ noch das abschließende „Self Esteem“.

Irgendwann in den 90ern waren Punk-Rock und New Metal hip. Auf Dorffesten und Super-J-Partys liefen The Offspring, Limp Bizkit oder Rage Against the Machine. 16-jährige Teenies tranken Alkopops und schwangen dazu das unbeholfene Tanzbein. Den Soundtrack zu dieser unbeschwerten Zeit, die einem etwas peinlich in Erinnerung sein dürfte, liefert die Rockhal diese Woche. Richtig gute Musik aus derselben Epoche wird es aber wohl erst am Samstag mit dem Auftritt von A Perfect Circle geben.