Über Stalins Tod darf nicht gelacht werden

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Das russische Kulturministerium hat Aufführungen des britischen Films „Stalins Tod“ verboten. Die Russland-Premiere wird mindestens um ein halbes Jahr verschoben – bis nach Putins Wiederwahl. Konservative haben in der Komödie „Extremismus“ entdeckt.

Von unserem Korrespondenten Axel Eichholz

Stalin ist im heutigen Russland nichts zum Lachen. Und sein Tod auch nicht. Das russische Kulturministerium hat der britischen Komödie „Stalins Tod“ die Vorführgenehmigung, die es zuvor selber erteilt hatte, wieder entzogen. Der Film sollte an diesem Donnerstag, mehr als ein Jahr nach der Uraufführung im Westen, in russischen Kinos anlaufen.

Nun wird die Russland-Premiere um mindestens ein halbes Jahr verschoben – bis nach Putins Wiederwahl. Auch steht der 75. Jahrestag des russischen Sieges in der Schlacht um Stalingrad kurz bevor. Die Zulassung des Films wäre „nicht zweckdienlich“, heißt es. Denn der sowjetische „Siegesmarschall“ Georgi Schukow kommt darin nicht gerade gut weg.

Kulturminister tritt ins eigene Fettnäpfchen

Kulturminister Wladimir Medinski erklärte, Experten sollten den Streifen noch einmal genau unter die Lupe nehmen. Bisher hatte das Kulturministerium nichts dagegen einzuwenden. Erst einen Tag vor Beginn der Vorführungen ging ihm ein Licht auf.

Regisseur Armando Ianucci sagte dazu, er hoffe, dass sich sein Film am Ende doch auf dem russischen Markt durchsetzen werde. In Russland sieht es freilich nicht danach aus. Eine Sprecherin des Moskauer Kulturministeriums zitierte jene Stelle aus der Zulassungsvorschrift, die besagt, die bereits erteilte Genehmigung könne wieder entzogen werden, falls bei der öffentlichen Vorführung eines Films Informationen entdeckt würden, deren Verbreitung nach russischen Gesetzen verboten sei. Nur war es zu einer öffentlichen Vorführung aber noch gar nicht gekommen.

Verfälschung und Lästerung

Eine Gruppe von konservativen – genau gesagt stockreaktionären – Kulturschaffenden und Politikern behauptete in einem Brief an Minister Medinski, der Film enthalte „extremistische Informationen“. Daraufhin schauten sich Mitglieder des gesellschaftlichen Beirats beim Kulturministerium, dem ebenfalls konservative Kulturschaffende wie der Filmregisseur und Oscar-Gewinner Nikita Michalkow angehören, den Ianucci-Film hinter verschlossenen Türen an.

Ihr Urteil war vernichtend. Der Film verfälsche historische Tatsachen, besitze keinen künstlerischen Wert und sei für Russland beleidigend. Auch könne man unterschiedlicher Auffassung über die Rolle des Ex-Diktators sein, über den Tod sollte man aber nicht lästern.

Nun befasst sich Ianucci gar nicht mit dem Tod Stalins, sondern mit dessen Folgen, und zwar mit dem geradezu grotesken Machtkampf in seiner Umgebung. Dieser ist nun mal eine unumstrittene historische Tatsache, wie auch die Umstände seines Todes. Einer seiner Leibwächter fand Stalin in seiner Datscha in einer Urinlache auf dem Fußboden liegend. Stalin selbst war daran schuld, denn niemand traute sich, das Zimmer des Unberechenbaren zu betreten. Seine Ärzte hatte er als vermeintliche Mörder längst umbringen lassen.

Clowns und Vollidioten

Der angebliche Extremismus wird damit begründet, dass „historische Persönlichkeiten“ der Sowjetgeschichte, deren Verdienste „weltweit anerkannt“ seien, in dem Film als „Clowns und Vollidioten“ dargestellt würden. Leider seien sie es auch gewesen, heißt es in unabhängigen Kommentaren. Man brauche sie nur aufzuzählen.

Über die hanebüchene Ignoranz des Entstalinisierers Nikita Chruschtschow hat die ganze Welt bereits gelacht. Freilich wäre ihr das Lachen vergangen, wenn sein Kuba-Abenteuer in einem Atomkrieg geendet hätte. Außenminister Wjatscheslaw Molotow ist als Unterzeichner der Geheimprotokolle zum Hitler-Stalin-Pakt zur Aufteilung Osteuropas in der Geschichte geblieben. Geheimdienstchef Lawrenti Berija wurde 1953 nicht als Massenmörder, Sadist und Vergewaltiger, sondern als angeblicher japanischer Spion zum Tode verurteilt. Soll man auch darüber nicht lachen dürfen?