Trendbarometer für Hipster

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Exit „Rock-A-Field“, enter „Siren’s Call“: Das Sommerfestival des Atelier hat sich einen urbanen Touch verliehen – und bot mit einem etwas zu homogenen Line-up einen guten Auftakt in die Festivalsaison in Luxemburg. Anstelle der klassischen Berichterstattung hier ein Artikel in Form von kurzen Überlegungen.

Nach dem Konzert von RY X in der Kathedrale 2016 scheinen Kirche und Atelier sich gut zu verstehen. Will die Kirche damit eigentlich ihre Sympathie zur Privatwirtschaft oder zur Musik ausdrücken? Beim Atelier verschwimmt beides ja sehr oft …

Tatsache aber ist, die Sache funktioniert sehr gut und es gibt, wie ich schon woanders vor einiger Zeit schrieb, eine Tradition in Sachen Kirche und Musik: Arcade Fires Kirchenstudio wurde vor kurzem zum Verkauf angeboten, nachdem dort das Album „Neon Bible“ aufgenommen wurde; REM probten damals schon in einer Kirche. Wo z.B. in Schottland die Kirchen längst in Bars und Konzerthallen umgewandelt werden, scheint im traditionell klerikalen Luxemburg endlich ein frischer Wind zu wehen. Weswegen im Laufe des „Siren’s Call“ drei Konzerte (Napoleon Gold, Superpoze und Francesco Tristano) in der Johanneskirche im Grund stattfanden.

Bier muss draußen bleiben

Nur das Bier, das darf noch nicht mit rein, ganz im Sinne von: Lass deine Sünden draußen. Napoleon Gold klangen auch auf einmal viel mystischer als sonst, Francesco Tristano gab zuerst eine halbe Stunde klassische Kompositionen zum Besten, bevor es elektronischer wurde. Leider bildeten sich vor der Kirche lange Warteschlangen und viele verpassten deswegen die Konzerte dort – Sankt Johann war einen solchen Andrang sicherlich seit langem nicht mehr gewohnt.

Programm und Homogenität. Schön, wenn man ein homogenes, einheitliches Line-up anstrebt. Etwas mehr Variation wäre aber schon nett gewesen. So klangen die drei Headliner auf der großen Bühne, genau wie die verschiedenen Bands auf der „Melusina Stage“, eigentlich fast alle ziemlich gleich. Man kann an dem Festival quasi das Trendbarometer musikalischen Hipstertums ablesen.

Also, in ist definitiv: Elektropop, Falsetto, dicht gepflegter Bart. Wir befinden uns eigentlich immer noch in der Radiohead-Post-Kid-A-Ära, nur werden elektronische Elemente hier immer harmloser und immer stumpfer einem glattgebügelten Sound untergeordnet. So hatte Thom Yorke die Kreuzung von Rock und Elektro sicherlich nicht im Sinne. Nichtsdestotrotz: Unterhaltsam waren die meisten Bands allemal, an und für sich gab es keine größeren Aussetzer. Fürs nächste Mal wünschen wir uns aber definitiv: mehr Experimentierfreudigkeit, mehr Risiken, mehr Abwechslung.

 

 

Fritten mit Avocado-Soße

Urban ist Trumpf. Charmanter als das „Rock-A-Field“ war das „Siren’s Call“ definitiv. Aber wieso eigentlich? Es mag wohl nicht nur an den im Vergleich zum Atelier etwas heruntergesetzten Bierpreisen liegen (6 Euro ohne Pfand), am Line-up lag es kaum – so toll war die Programmierung hier nicht, so furchtbar das RAF-Line-up auch wieder nicht.

Hauptaugenmerk des Festivals war sicherlich die wunderbare Lage – von der Kirche bis zum „Melusina“ über den Hof der Abtei Neumünster, von den Laternen entlang der Petruss bis zum Inneren der Johanneskirche war das Festival sicherlich ein kleiner mentaler Denkzettel, dass unsere Hauptstadt zwar manchmal bieder und leer, aber sicher doch sehr pittoresk ist. Und schön, dass das „Melu“ auch wieder mal bei Tageslicht zu sehen ist – man erinnert sich an Zeiten, zu denen Konzerte dort gang und gäbe waren.

The Hipster has taken control. Für Hipsters war das Festival natürlich ein Genuss – Fritten mit Avocadosoße, viele Bärte, viel Leiden. Früher wurden solche Leute Emos genannt, trugen schwarze Shirts und färbten sich die Haare pechschwarz, heute trägt der Hipster, will er sich am Oberhipster – namentlich Ry Cuming alias RY X – orientieren, einen sehr dichten, sehr gepflegten Bart, eine Kappe, ein T-Shirt mit U-Ausschnitt (V-Ausschnitte sind von vorgestern), ein paar Ketten und Ohrringe und eine Art Zelt als Hose. Nichtsdestotrotz war das Konzert von RY X, der nach 2016 erneut den Weg ins Großherzogtum fand, das ganz klare – und leider sehr verfrühte – Festivalhighlight. Auch wenn die Leute bei Oscar and the Wolf (musikalisch gesehen viel mehr Oscar als Wolf) mehr abgingen.

Unverständliche Programmierungsschwächen

Programmierungsschwächen. Vor sehr langer Zeit war ich mal auf dem „Werchter“, und da hatte jemand die selten dämliche Idee, Tool am Nachmittag spielen zu lassen. Stellen Sie sich das mal vor – diese düstere, dunkle Musik, die einem das Konzept der Finsternis in all seiner Semantik quasi klanglich ausmalt, in der prallen Sonne. RY X um 17.30 Uhr war nicht ganz so sehr ein Griff ins Klo, unverständlich war es trotzdem. Viel zu früh, viel zu viel Sonne für diese Musik, die damals in der Kathedrale voll zur Geltung kam.

Und dann auch: ein viel zu schlechter Klang – zeitweise hörte man die fragile Stimme von Ry überhaupt nicht. Schade, denn nachdem ein guter Freund „Howling“ siebenmal fälschlicherweise ankündigte („Jetzt aber, da ist es …“), kam es dann am Ende doch noch – und bewegte trotz des durchwachsenen Klanges.