Teure Schallplatten-Liebe

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Wer das Studio von Pete Hutchison im angesagten Londoner Stadtteil Notting Hill betritt, fühlt sich wie auf einer Zeitreise. Die historisch anmutende Ausstattung mit den sperrigen grauen Maschinen könnte auch in einem Museum stehen. Statt auf hochmodernes Studio-Equipment setzt der Schallplatten-Produzent mit den langen Haaren und dem Zottelbart auf die Technik der 50er und 60er Jahre. Nur damit, insistiert Hutchison, könne er die gewünschte hohe Tonqualität erzielen.

Mit seiner Electric Recording Company produziert der Unternehmer Neuauflagen seltener Klassik- und Jazz-Platten. Die günstigste Schallplatte im Online-Shop kostet umgerechnet rund 330 Euro. Andere liegen bei 500 Euro oder mehr. Dafür verspricht Hutchison eine authentische Reproduktion der Originalpressungen.

Anlass für dieses Geschäft war Hutchisons eigene Leidenschaft für die LPs der 50er und 60er Jahre. „Ich war sehr enttäuscht von den anderen Neuauflagen auf dem Markt“, erklärt er im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. „Deshalb habe ich immer die Erstpressungen gesammelt, die Originale.“ Doch das ging ins Geld. In einem einzigen Jahr habe er einmal umgerechnet knapp 45.000 Euro für klassische Musik ausgegeben.

Unternehmer Pete Hutchison steht im Studio seiner Electric Recording Company in London.

Das teure Hobby brachte den Briten, der seit den frühen 90er Jahren das Label Peace Frog für elektronische Musik betreibt, auf die Idee. „Wir hatten zu dieser Zeit schon eine Mastering-Anlage hier und haben Vinyl-Schallplattenschnitt gemacht. Da dachte ich, es wäre doch eine gute Idee, die Platten aus dieser Epoche selbst neu aufzulegen.“

Als praktisch erwies sich, dass Peace Frog ein Vertriebsabkommen mit der Plattenfirma EMI hatte. Deren Tochterlabel Columbia hatte die Rechte an vielen der seltenen und gefragten Sammlerstücke. „Die hatten die Originalbänder in ihrer Fabrik“, erzählt Hutchison. „Da hab ich mich gefragt, ob es die Möglichkeit gibt, diese Platten neu zu produzieren, und zwar exakt genauso, wie sie damals produziert wurden.“

Phasenverschiebungen

Doch zunächst gab es ein gravierendes Hindernis: „Das Problem war, dass das Equipment, das damals zum Remastern verwendet wurde, nicht mehr erhältlich war“, erinnert er sich. „All die großen Tonstudios wie Abbey Road haben das Equipment weggeworfen. In den 70ern wurde alles entsorgt. Das heißt, dass jede Neuauflage, die nach 1975 rauskam, anders gemastert wurde als das Original und auch anders klingt. Und dieser Klang war für mich nicht so gut, wie die Schallplatten damals klangen.“

Während Hutchison CDs verachtet und auf das Klangspektrum von Vinyl schwört, beurteilt Audio-Experte Nicolay Ketterer vom Fachmagazin Sound & Recording die Schallplatte etwas anders. „Im Ergebnis kann Vinyl aufgrund der vielen Variablen nie so gut klingen wie ein digitales Abbild der Quelle“, sagt Ketterer. „Vinyl bringt als Medium grundsätzlich eine Klangveränderung mit ein.“

In seinem Studio produziert der Unternehmer Neuauflagen seltener Klassik- und Jazz-Platten.

So entstünden zum Beispiel beim Erstellen des Rohlings und später beim Abtasten durch den Plattenspieler Phasenverschiebungen, die im Original nicht vorhanden sind. Allerdings würden Faktoren wie diese die subjektiv empfundene „Wärme“ beim Vinyl mit ausmachen. „Wenn die Klangveränderungen der Schallplatte besser gefallen, stellt sich die Frage, ob die ursprüngliche Mischung harmoniert“, findet Ketterer.

Auf der Suche nach altem Equipment wurde Hutchison in Cheshunt fündig. In dem kleinen Ort nördlich von London hatte jemand in seiner Garage eine Maschine der dänischen Firma Lyrec gelagert, bestehend aus einer Bandkonsole und einem mit Elektronenröhren betriebenen Schneidgerät aus dem Jahr 1965. Mehr als 11.000 Euro musste Hutchison dafür bezahlen. Sie zu restaurieren, sei zehnmal so teuer gewesen, sagt er. Fast drei Jahre werkelte Toningenieur Sean Davis, der schon in den 50er Jahren in Londons ABC-Studios mit einer Lyrec gearbeitet hatte, an der Instandsetzung.

Metallbuchstaben

Mit dem Schallplattenschnitt allein ist die Arbeit für Hutchisons Team aber noch nicht getan. „Es geht um das ganzheitliche Produkt, nicht um Kompromisse“, stellt der Perfektionist klar. „Wenn man sich die Original-Schallplatten anschaut, dann bieten die auch was fürs Auge. Die sehen ganz anders aus als spätere Neuauflagen, deren Artwork total flach und linear ist.“

Einfach ein altes Plattencover zu scannen und zu drucken, wie es bei vielen Neuauflagen üblich ist, kam für Hutchison also nicht infrage. Wie bei den Originalen sollte es der klassische, fühlbare Letterpress-Druck sein. Dafür müssen sämtliche Texte neu getippt und dann in Metallbuchstaben gesetzt werden, ein Verfahren, das laut Hutchison nur noch eine einzige Firma in London anbietet. „Es geht viel Zeit und Mühe für Korrekturlesen und Überprüfung drauf. Das sind vier oder fünf Stufen, ein sehr langer Prozess.“

Ein Schallplatten-Schneidgerät.

Auch das Material musste originalgetreu sein. Für das Artwork wurde das gleiche Papier, der gleiche Karton und in einigen Fällen sogar Holz, Leder „und ein wenig Gold“ verwendet. Die Verpackung sei „genauso zeitaufwendig und mühselig wie die Restaurierung des Audio-Equipments“, sagt Hutchison. „Aber am Ende hatten wir ein Produkt, mit dem ich zufrieden war, das genauso schön war, genauso gut klang und genauso gut aussah und sich anfühlte wie das Original.“

Die aufwendige Produktion schlägt sich in den Preisen nieder. Das teuerste Produkt im Katalog ist die 7-LP-Box „Mozart A Paris“ für knapp 3.100 Euro, was etwa ein Viertel dessen ist, was man heute für die seltene Original-Box bezahlen müsste. Trotz dieser hohen Preise sind laut Hutchison viele Neuauflagen schon vor ihrer Veröffentlichung ausverkauft.

Die Stückzahl ist in der Regel auf 300 Exemplare oder weniger limitiert, einerseits weil es laut Hutchison nur ein begrenztes Publikum für die Musik gibt, andererseits wegen des außergewöhnlichen Aufwands: „Bei uns wird jede Platte handverpackt und von Hand geklebt. Wir würden keinen Gewinn erzielen, wenn wir die Stückzahl erhöhen, und müssen deshalb aufpassen, dass wir nicht zu viele produzieren.“