„Vom Sterben und Leben des Gustav Mahler“

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LUXEMBURG - Am 18. Mai 1911 starb Gustav Mahler. Hundert Jahre später, auf den Tag genau, publiziert Guy Wagner ein Mahler-Buch, das die eingefahrenen Biografien revolutioniert.

Auf sehr anspruchsvolle Weise wird das Leben des sterbenden Gustav Mahler in Rückblenden, Berichten und Briefen von Zeitzeugen reflektiert.

Guy Wagner
Die Heimkehr.Vom Sterben und Leben des Gustav Mahler

Rombach-Verlag 2011
ISBN: 978-3-7930-9665-www.rombach.de

Lesung mit Bild- und Tondokumenten aus „Die Heimkehr“ mit Guy Wagner am Freitagabendabend um 19 Uhr im Rahmendes Konzertauftritts des San Francisco Symphony in der Philharmonie
www.philharmonie.lu

Von Mahler verwendete Liedtexte werden im Roman „Die Heimkehr“ in einen direkten Bezug zu Mahlers Leben gesetzt, was faszinierende Perspektiven eröffnet und wobei man den Menschen hinter seiner Musik klar erkennt. Auch die einzelnen Werke werden im Buch sowohl im Roman als auch in der Dokumentation behandelt, so dass man sie eigentlich historisch und biografisch sehr gut situieren kann. In diesem Sinne ist „Die Heimkehr“ auch für Leser geeignet, die nicht mit Mahlers Werk vertraut sind. Aber auch die Ausschnitte aus Briefen, Berichten oder Stellungnahmen von Personen, die mit Mahler zu tun hatten – und da gibt es ja eine ungeheure Zahl an Zeitzeugen – sind von Guy Wagner mit Sorgfalt und Kenntnis ausgewählt worden, so dass sie den Verlauf der Geschichte quasi aus dem „off“ heraus kommentieren.

Einfühlsam, doch gnadenlos

Im Gegensatz zu vielen Endlos-Biografien – die wohl umfassendste von Henri Louis de la Grange in drei Bänden steht seit Jahren ungelesen in meinem Regal – bringt Guy Wagner das Kunststück fertig, auf gerade einmal 350 Seiten die wichtigsten Ereignisse in Mahlers Leben auf sehr präzise und prägnante Weise aufleben zu lassen. Wagners Buch beginnt am 8. April 1911, dem Tag, als der schwer kranke Gustav Mahler zu seiner letzten Reise von New York über Paris/Neuilly nach Wien aufbricht. Im dokumentarischen Romanteil, der mit einfühlsamen Worten, einer unwahrscheinlichen Tiefe und Ehrlichkeit, aber auch mit viel Wut und gnadenloser Härte die letzten Wochen des Komponisten beschreibt, berührt der Autor seine Leser tief.

Hier beschreibt er beispielsweise den Aufenthalt in der Klinik bei Dr. Chantemesse, wo Mahler und Alma bange Wochen zwischen teilweiser Genesung und Rückfall erleben. Er, der Leser, klammert sich quasi zusammen mit Wagner und Mahler an die Hoffnung, dass alles gut enden wird, und erlebt hautnah die Höllenqualen dieser Agonie mit. Ja, Wagners Buch ist auch ein Buch über das Sterben und die Endlichkeit. Hier wird nichts verschönt, keine romantischen Heilsgedanken, keine Wunder. Auch die schwierige Beziehung zu der von den Männern begehrten Alma nimmt einen wichtigen Platz in dieser Biographie ein, in der Mahlers Sexualität und seine Beziehungen zu den Frauen auch kein Tabu sind.

Seelische Zerrissenheit

Guy Wagner ist ein viel zu ehrlicher Mahlerianer, als dass er den Komponisten zu verherrlichen versucht. Der Autor beleuchtet die Zwiespältigkeit dieses Charakters ebenso wie seine Sensibilität und innere seelische Zerrissenheit, sein Schwanken zwischen Manie und Depression. Somit werden auch die Schattenseiten dieses musikalischen Genies offengelegt. Vieles erfährt der Leser auch von seiner geliebten Frau Alma, die während Mahlers Sterben hin- und hergerissen ist zwischen ihrer Liebe zu Mahler und dem sexuellen Verlangen nach dem jungen Walter Gropius. Wagner beschreibt seine zwei Hauptprotagonisten als wahrhaftige Menschen, nicht als unantastbare und unverwundbare Helden einer neuen Zeit, nicht als klischeehafte Figuren eines Dreigroschenromans.

Realistisch und menschlich

Es ist beeindruckend, wie der Autor in seiner Erzählung auch den Stil der damaligen Zeit adaptiert, so dass Roman und Realität nahtlos ineinander übergehen. Das Leben in New York, die Intrigen in Wien, der Tod der Tochter, all das erlebt der Leser hautnah mit. Und es ist gerade diese fantastische Erzählkunst, die „Die Heimkehr“ zu einem großen, literarisch wertvollen Buch macht. In der Tat, der Roman könnte Wirklichkeit sein.

Guy Wagner ist in allen Momenten plausibel, die Zeichnung der reellen Charaktere, der zerrissenen Persönlichkeit Mahlers und der äußerst komplizierten Beziehung der beiden Partner ist – soweit ich das aus der mir bekannten Literatur heraus beurteilen kann – absolut realistisch und vor allem zutiefst menschlich. Aber nicht nur die Charaktere, und hier natürlich an allererster Stelle Mahler selbst und seine vergötterte Alma, sind von einer einzigartigen Rodin-ähnlichen Präzision; Wagner schafft es immer wieder, auch die besondere Fin-de-siècle-Stimmung aufleben zu lassen und in seinen Worten und Sätzen sogar die Musik Mahlers hörbar zu machen. Man wird Mahlers Lieder und Symphonien anders hören, wenn man dieses Buch gelesen hat.

„Die Heimkehr“ ist ein Werk, das man nicht nur liest, man sieht, hört und erlebt es. Für mich ist es jedenfalls eines der wertvollsten, faszinierendsten und außergewöhnlichsten Musikbücher, die ich kenne.