The (not so) Great Dictator

The (not so) Great Dictator
(Christian Charisius)

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John Malkovich war zurück in Luxemburg mit „Just Call Me God“. Obschon er den bedrohlich-lustigen Diktator solide verkörpert und der Text Machtstrukturen sowohl rhetorisch konzeptualisiert als auch szenisch widerspiegelt, sorgen Schwächen in der Besetzung, der Regie, der Dramaturgie und der narrativen Struktur für ein teils unentschlossenes Stück.

Ein Knarzen, ein Knacken. Plötzlich erhellt sich ein grobkörniger Schirm, der über der Bühne hängt, man sieht eine Reihe von GIs, die im Einsatz sind und ein Gebäude stürmen. Kurz darauf sind sie sowohl auf dem Schirm als auch in den Zuschauerreihen zu sehen – Darstellung und Realität vermischen sich und überlappen ganz im Sinne der späten, digitalen Postmodernität.

Das gestürmte Gebäude entpuppt sich nämlich als die städtische Philharmonie, die kurzerhand zum Unterschlupf des Diktators Satur Diman Cha umgewandelt wird: Die ganze Halle wird zur fiktionalen Requisite. Das Durchbrechen der vierten Wand in Zeiten des Terrors erzeugt anfänglich einen interessanten Effekt, der allerdings mehr dadurch entsteht, dass das Auftauchen von bewaffneten Personen während kultureller Veranstaltungen in Post-Bataclan-Zeiten einen unangenehmen Erinnerungseffekt auslöst. Zurück zur Handlung: Diktator Satur Diman Cha ist so kunstverliebt, dass er eine unterirdische Konzerthalle hat einrichten lassen.

Rein zufällig

Ganz zufällig ist die Konzerthalle mit einer exzellent klingenden Orgel ausgestattet. Rein zufällig ist mit Reverend Lee Dunklewood auch ein begnadeter Organist unter den GIs. Und noch zufälliger liegt ein vergilbter Bach-Notentext herum.

Irgendwie musste ja die meist sehr willkürlich wirkende Mischung aus Orgelkonzert und Theaterstück narrativ zusammengebraut werden. Und genauso wenig, wie es plausibel ist, dass es die Figuren in Musicals ständig juckt, in gesangliche Exkurse auszubrechen, genauso aufgesetzt wirkt hier manchmal die Verknüpfung von Orgeleinlagen und Text. Was uns daran erinnert, wieso sich das aus der Romantik stammende ästhetische Konzept des Gesamtkunstwerks, welches die Vermischung der Künste pries, nicht durchgesetzt hat.

Vielversprechender Anfang

Dabei wirkt anfänglich alles vielversprechend: Nach erstem, spaßigem Improvisieren auf der Orgel hört man Bachs „Toccata“ und Wagners „Walkürenritt“. Coppola-Fans bzw. jedermann, dessen filmische Kenntnisse sich ein klein wenig abseits des Popcorn-Mainstream-Kinos bewegen, wissen, dass letzteres Stück in „Apocalypse Now“ verwendet wurde.
Eine mehr oder weniger subtile Ankündigung dessen, was folgt: Eine Maschinenpistolensalve, einige Körper, die sich zum letzten Bühnenballett aufbäumen, bevor sie leblos zu Boden gehen und ein als Putzfrau verkleideter Diktator.
Vom Massaker verschont bleiben nur TV-Journalistin Caroline Thomas (Sophie von Kessel) und der Organist (Martin Haselböck), der prompt mithilfe von Klebeband an seine Orgel gefesselt wird und fortan, halb Mensch, halb Instrument, auf Forderung des Demagogen musizieren und zum Großteil improvisieren wird, während Malkovich sich in einer Art erotisiertem Katz-und-Maus-Spiel mit der Journalistin amüsiert.

Toll ist, dass die narrative Konstellation Malkovich viel Raum lässt, um seine schauspielerischen Talente an den Tag zu legen. Malkovich verführt, jammert, fleht, herrscht, droht, befiehlt und tötet. Er gibt den schizophrenen Demagogen, den überzeugten Diktator, den Feind der (nach und nach einstürzenden) westlichen Demokratie, hinterfragt bestehende Machtverhältnisse und reproduziert in szenischen Effekten dieselben rhetorischen Kniffe beim Publikum, die er auch in seinem Diskurs belegt.

Machiavelli und Regieschwächen

Ganz wie in Forest Whitakers Verkörperung vom Tyrannen Idi Amin (das Stück ist nach einem Zitat von Amin benannt) wird der Diktator hier als kranker Spaßvogel, dessen Witze immer wieder ins Bedrohliche schlittern, porträtiert. Satur Diman Cha ist ein von jeder empathischen Veranlagung befreites Kleinkind, das die Welt als Kriegsfeld betrachtet, ein Solipsist, dessen homogene, abstruse Weltsicht sich wie ein Parasit in der Realität verbreitet, ein Mythoman, dessen Lügen durch Machtnetzwerke zu Realitäten werden.

Verschiedene Oneliner sind effizient („I’m not standing on the shoulder of giants. I am the giant.“), anderswo philosophiert Satur Diman Cha über die Wichtigkeit der Gründungsmythen, erzählt, wie er sich an einem Schulkind, das ihn gehänselt hat, rächte, indem er es unter einen Bus schubste, und spinnt anschließend eine alternative Version derselben Geschichte, bevor er zugibt, alles erfunden zu haben. Der Diktator gibt folgerichtig zu bemerken, dass Politik und Macht auf simplen, meist fiktiven Storys basieren.

Unpräzise Regie

Leider lässt die sehr unpräzise Regie zu wünschen übrig: Die Choreografie der Schauspieler ist willkürlich, das Ausloten der räumlichen Tiefe sowie des Schallraums der Philharmonie unpassend und hölzern. Schlimmer noch ist die Besetzung: Sophie von Kessel scheint bloß da zu sein, um Malkovichs Monologe rhythmisch zu begleiten – sie wirkt ein bisschen wie dieser Hausherr, der sein Kaminfeuer immer wieder mit neuen Holzblöcken füttert. Das Stück verkommt so manchmal zu einem unausgeglichenen verbalen Wettstreit: Malkovichs ausschweifende Reden über Macht werden mit banalen, voraussehbaren Gegenargumenten und aufgesetzten, empörten Schluchzern nur kurz unterbrochen.

Wenn Malkovichs Stimme sich mit der aufgeblähten Orgel und den Soundeffekten von Franz Danksagmüller verbindet und zu einer kakofonischen Endzeitstimmung hochschwingt, ist dies gleichermaßen aussagekräftig und lächerlich.
Natürlich kann man jede dieser Inszenierungsentscheidungen als formale Begleitung der semantischen Machtisotopie interpretieren – und z.B. behaupten, dass Sophie von Kessel bewusst nicht zur Rede gelassen wird. Dies entschuldigt aber kaum die Unbeholfenheit der Schauspielerin, die narrative Nichtigkeit ihrer Figur und das viel zu plakative Zusammenspiel von Form und Inhalt.