Schüchtern ist anders

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Nach dem minimalistischen „Coexist“ und dem Soloalbum von Jamie xx war es ungewiss um die Zukunft der Band. Das dritte Album ist ein erster Schritt in eine andere Richtung.

Und trotzdem ist das Album eine logische Weiterentwicklung, bei der die Introspektion von gestern gekonnt mit dem Club von morgen gekreuzt wird.

Als die Indie-Pop-Ikonen The xx auf ihrem Zweitwerk „Coexist“ ihr Klanggerüst noch minimalistischer aufbauten, hatte man den Eindruck, hier würden Bass, Gitarre und Gesang aus dem Hintergrund einer nur skizzierten Song-Architektur herausragen, einer Stille entrinnen, zu der Stimmen und Instrumente unausweichlich zurückgerufen wurden.
Und irgendwie fragte man sich, trotz der wunderbar behutsamen Art und Weise, wie hier diskret eine Marimba, dort ein vertrackter elektronischer Klang eingesetzt wurden, wie und ob sich die Klangwelten dieser Band dauerhaft weiterentwickeln würden.

Auf „Coexist“ war weniger definitiv mehr, aber irgendwann wäre wohl der Punkt gekommen, an dem weniger einfach nur weniger gewesen wäre.

Programmatisches Cover

Darauf folgte, sozusagen als mögliche Antwort auf diese Frage, „In Colour“, das Soloalbum von Bandmitglied und Produzent Jamie xx. Auf diesem bunten Werk fanden sich vor allem Tracks, die verstärkt auf das Einsetzen diverser Samples setzten. Jamie xx war hier sowohl Komponist als auch Archivar eines musikalischen Erbguts.

Das Cover vom gestern erschienenen „I See You“ ist eigentlich programmatisch, fasst es doch überdeutlich zusammen, in welche Richtung die Band gehen wollte. Einerseits führt sie die minimalistische Ästhetik der Vorgänger fort – ein schlichtes, leicht ausgestanztes „x“ –, andererseits zieht das spiegelnde Cover den Zuhörer in die Welt der Scheibe – und lässt so zeitgleich das Album in die Welt hinein.

Der Opener „Dangerous“ verkündet genau dies: Mit Bläsern, tanzbarem Beat und funkigem Bass zeigt die Band ganz eindeutig, dass „In Colour“ kein Exkurs, sondern determinierend für die Entwicklung war.

Weniger Introspektion

Auf „I See You“ wird die Collagetechnik des Soloalbums durchgehend weiter verwertet, sie durchzieht das gesamte Album, wie auf der ersten Single „On Hold“, dem Beginn des berührenden „Say Something Loving“ und dem polyphonen „Lips“ festgestellt werden kann.

Der Raum, den die spärliche Instrumentierung der Band früher ließ und der sonst exklusiv von Stille durchtränkt war, wird hier oft demokratisch zwischen Samples, Synthies (das hervorragende „A Violent Noise“) und Streichern (das bewegende „Performance“) aufgeteilt.

Selbstsicher

Auffällig ist auch, dass auf diesem Album alles viel selbstsicherer klingt. „I See You“ stellt wohl das dar, was man in dem zurückhaltenden Universum der Band unter „Balls Out“ versteht: Die zahlreichen Samples verleihen den Songs eine nie da gewesene Komplexität, rauben sie ihrer Zeitlosigkeit und verankern sie im hippen Klang der zeitgenössischen elektronischen Musik. Manchmal ist aber eben dieser Reichtum vielleicht zu viel des Guten, und man vermisst teilweise die Tiefe, die dem Minimalismus der vergangenen Scheiben innewohnte.

Stellvertretend für diese Entwicklung sind wohl die Gesangparts – sowohl Oliver Sim als auch Romy Madley Croft singen hier mit mehr Präzision, mehr Form, mehr Kraft. Auch hier gilt: Meist dient diese neugewonnene Selbstsicherheit dem neuen Gewand der Band, man vermisst aber manchmal das Zaghafte, dieses Unbeholfene, das doch das Markenzeichen der Band war, ja sie sogar zu dieser Gruppe werden ließ, die eine gewisse Manifestation des Zeitgeistes einfing. Denn mit ihrem introvertierten Minimalismus, ihrer DIY-Haltung verkörpern The xx das Unbehagen einer Generation, deren Gefühlshemmungen ein Überbleibsel des postmodernen Zeitalters der Ironie sind und deren Suche nach Authentizität an der Skepsis gegenüber des rücksichtslosen Selbstverwirklichungskredos des späten Kapitalismus aneckt. Jetzt sind The xx erwachsen geworden. Die Zweifel sind nach wie vor da, nur werden sie mit mehr Mut und einem gewissen Stolz besungen.

Was unterm Strich aber zählt, sind die Songs. Und ganz gleich, wie anders instrumentiert sie teilweise sind – die zehn Tracks sind, mit einigen Abstrichen (ironischerweise klingt „Replica“ zu austauschbar, und ausgerechnet „I Dare You“ wagt nicht genug) so gut, dass man die Platte jetzt schon als eine der wichtigen Musikveröffentlichungen des noch jungen Jahres bezeichnen kann.