Rentier-Geschnetzeltes und Klischees

Rentier-Geschnetzeltes und Klischees
(Frankfurter Buchmesse)

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Finnland: Da denkt man zwangsläufig an dunkle Landschaften, von Nebel behängte Seen und Inseln, heiße Saunen und viel Wodka.

Die Finnen, das sind schräge Vögel und große Schweiger, eben Menschen wie die Protagonisten in den Filmen von Aki Kaurismäki. Beim Besuch des Pavillons des diesjährigen Gastlandes der Frankfurter Buchmesse kann die Suche nach Klischees beginnen.

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Zu essen gibt es Silli Salaatti (Heringssalat mit Fleischwurst) und Poronkäristys (Rentiergeschnetzeltes). Neben Bier oder Cola kann man auch Wodka dazu haben. Echten finnischen Wodka. An einem der Tische in der Cafeteria steht eine Flasche davon auf dem Tisch. Es ist elf Uhr morgens. Drei Männer sitzen an dem Tisch und unterhalten sich sehr angeregt.
Man könnte meinen, sie streiten. Der eine schüttelt den Kopf, der andere fuchtelt mit den Händen, der dritte brüllt. Er sieht sehr wütend aus. Dann aber trinkt er sein Glas leer und klopft seinem linken Tischnachbar auf die Schulter. Daraufhin brechen alle drei in schallendes Gelächter aus. Es wird nachgeschenkt. Und weiter gelacht.

Alles in Schneeweiß

„Cool“ ist das Motto des Pavillons. Und tatsächlich, beim Eintritt in die große Halle schlägt einem Kühlheit entgegen: spiegelnde Böden, alles in Schneeweiß, endlos wirkende Flächen. Da kann etwas Wärme von innen nicht schaden. Nicht einmal die Mühe hat man sich gemacht, hier etwas Gemütliches aufzubauen. „Der Pavillon soll den Geist Finnlands transportieren, den Schnee, die Weite“, erklärt eine der drei Designstudenten, die den Pavillon konzipiert haben. Es war der erste Großauftrag ihrer kleinen Agentur, zuvor hatten die drei einen Bibliotheksbus für Kinder entworfen. Davon gibt es in Finnland übrigens eine ganze Menge.

In den dünn besiedelten Gebieten des großen Landes mit seinen fünfeinhalb Millionen Einwohnern gibt es Tausende dieser mobilen Bibliotheken. Finnland gilt wohl zu Recht als ein Land der Lesenden. Im Jahr werden 20 Millionen Bücher verkauft. Jede Gemeinde hat mindestens eine Bibliothek, die Nutzung ist selbstverständlich kostenlos. 40 Prozent der Bevölkerung nutzen diese Bibliotheken, Kinder können dort, in den Bibliotheken im Pisa-Musterland, unter Betreuung ihre Hausaufgaben machen. Schriftsteller sind in Finnland sehr angesehen, wenn sie sich zu Wort melden, dann hört man ihnen zu.

Das Problem der Finnen scheint jedoch, dass nur wenige ihrer Autoren im Ausland so richtig bekannt sind. Hier bei uns kennt man vielleicht die satirisch schreibenden Autoren Tuomas Kyrö oder Arto Paasilinna, aber was ist mit Ulla-Lena Lundberg, Leena Lander oder Juha Itkonen? Natürlich soll Finnlands Gastauftritt auf der größten Bücherschau der Welt hier nun helfen.

Allein 130 Belletristik-Titel wurden zum Messebeginn extra ins Deutsche übersetzt, mehr als 50 finnische Autoren sind angereist, um ihre Literatur vorzustellen. Sie reden viel über Russland und über die Vergangenheit, blicken zurück auf die Kriege, in denen Finnland für seine Unabhängigkeit kämpfte.

„Brain Poetry“

Sie gedenken Tove Jansson, der Erfinderin der Mumins, die in diesem Jahr hundert Jahre alt geworden wäre. Sie reden über Bildung, über das Lesen von Romanen und Gedichten. Und sie sind stolz darauf, dass sie vieles anders anpacken als
ihre europäischen Nachbarn. Mit der Installation „Brain Poetry“ etwa soll die Hemmschwelle, die viele Leser immer noch gegenüber Lyrik empfinden, überwunden werden. Man sollte den Pavillon auch wirklich nicht verlassen, ohne die Künstler und Wissenschaftler von „Brains On Art“ zu besuchen und sich auf ihr Spiel einlassen. Sie setzen dem Besucher ein Gerät auf den Kopf, das Gehirnströme misst und dann ein Gedicht ausspuckt, das diese Gehirnströme erzeugt haben sollen. Wie? Mit Algorithmen natürlich. Und während man sich fragt, wie das nun wieder funktionieren soll, fühlt man sich plötzlich – quasi als Flucht – zur Lyrik hingezogen. Und ein bisschen auch zum Wodka …