Erzeugt Kultur Geld?

Erzeugt Kultur Geld?
(Tageblatt/Tania Feller)

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Erzeugt Kultur Geld? Um dieser Frage nachzugehen, lud die Deutsch-Luxemburgische Wirtschaftsinitiative (DLWI) am Donnerstag auf eine Konferenz ein. Redner war Stephan Gehmacher, Generaldirektor der Philharmonie.

Anliegen der Deutsch-Luxemburgischen Wirtschaftsinitiative ist es, im Allgemeinen über die Grenzen hinaus einen wirtschaftlichen Informationsaustausch anzukurbeln sowie wirtschaftliche Beziehungen anhand eines Networks aufzubauen. Dabei geht es eben hauptsächlich um Wirtschaft. Doch inwiefern erwirtschaftet Kultur Geld? Welchen ökonomischen Mehrwert stellt die Kultur für ein Land wie Luxemburg und seine Grenzregion dar? Oder belastet Kultur nur die öffentlichen Haushalte? Um diese interessanten Fragen in einen angemessenen Kontext zu bringen, trug eingangs der Staatssekretär für die Kultur, Guy Arendt, sein Keyword vor.

Ihm zufolge erlebte Luxemburg seinen kulturellen Big Bang im Jahre 1995 und bis heute wächst das kulturelle Angebot als Ergänzung zum Finanzplatz ständig an. Einerseits ist die Kultur an sich eher von immateriellem Nutzen. Da jedoch ein Bild oft mehr aussagt als tausend Worte, erlangt die Kultur andererseits einen unschätzbaren Wert. So gesehen zieht unsere kulturelle Strahlkraft zusätzliche und sehr qualifizierte Arbeitskräfte aus dem Ausland an. Kultur bedeutet ein Plus an Attraktivität und garantiert ein besseres soziales Miteinanderleben, so die Worte des Staatssekretärs.

„Weltmeister“ Deutschland

Stephan Gehmacher ergänzte in lockerem Stil diese Ausführung mit einer gezielten Analyse des Luxusobjektes „Kultur“. Studien sowie Erfahrungswerte belegen demnach, dass Kultur in Deutschland, dem Land, das weltweit den höchsten Prozentsatz seines Haushaltes der Kultur widmet, einen ökonomischen Gewinn darstellt. Kulturförderung kommt somit einem strategischen Element der Staat-, Stadt- und Standortförderung gleich.

Ein Beweis hierfür sind die Salzburger Festspiele: Diese erbringen mehr Einnahmen als die erhaltene Subvention. Linz, die Kulturhauptstadt Europas 2009, erwirtschaftete an die 470 Mio. Euro, viel mehr als die Gesamtkosten, welche über vier Jahre verteilt waren. Insbesondere belegen zwei Studien diese Tatsache: die Hummel/Berger-Studie von 1988 sowie die Studie der Handelsschule Leipzig über das Gewandhaus Leipzig aus dem Jahre 2015. Demnach erzeugt die Leipziger Institution direkte, indirekte, fiskalische, nicht greifbare, imagebildende und bildungsökonomische Effekte. Das Haus verwandelt so rund 16 Mio. Euro öffentliche Zuschüsse in rund 40 Mio. Euro Effekte … Aus einem Euro werden 2,50!

Das Beispiel Philharmonie

Stephan Gehmacher betonte daraufhin, dass er leider für sein Haus keinen ganz genauen Multiplikationsfaktor angeben kann. Seines Erachtens liege letzterer sehr wohl über 1, jedoch deutlich unter 2,5. Anhand von 384 jährlich stattfindenden Events, anhand der zahlreichen Workshops, welche von 12.000 Kindern aus 99 Schulen besucht wurden, anhand der gezählten 191.000 Besucher pro Jahr, die zu 22 Prozent aus der Großregion anfahren, lässt sich sehr wohl ein deutliches wirtschaftliches Plus belegen.

„Echo“, eine vernetzte Zusammenarbeit des Hauses mit 21 europäischen Opern aus 12 Ländern, verstärkt zudem die ökonomische Effizienz des Hauses. Demnach kann man im Falle der Philharmonie eher von einer rentablen Investition reden als von einer öffentlichen Ausgabe. Von seinem Gebäude sichtlich überzeugt, rundete der Direktor mit einem gelassenen und kurzweiligen Rundgang durch die Philharmonie die Konferenz für die Anwesenden ab.

Viele Fragen bleiben offen

Der aufgeschlossene Redner bot eine interessante und konkrete Konferenz, welche jedoch etwas zu kurz und undifferenziert war. In der Tat lässt eine Philharmonie sich leichter vermarkten als ein Casino, ein Mudam oder eine Villa Vauban. Sammlungen anlegen, verwalten und aufbewahren ergibt zusätzlich hohe Unkosten. Kunstausstellungen bedeuten auch hohe Versicherungs- und Transportkosten, Umbaumehrausgaben inklusive … Mozart spricht im Allgemeinen mehr Menschen an, als dies ein Wim Delvoye oder eine Sylvie Blocher tun. Zudem eckt eine Cloaca im Flydoscope stark an, Stravinsky hingegen kaum. All diesen und vielen anderen Aspekten wurde kaum Rechnung getragen.

Herr Arendt hat zudem folgende ungewollt zynische Aussage in puncto Denkmalschutz gemacht: „In Luxemburg pflegen wir unsere historische Bausubstanz, und dies ergibt einen Mehrwert für unser Land …“ Die Realität ist zum Teil eine ganz andere: Kein Land in Europa hat offiziell prozentual so wenig Bausubstanz unter Schutz gestellt wie unser Land. Wenn die „Cosimo-Kommission“ von „Sites et Monuments“ aufgrund solider wissenschaftlicher und kunsthistorischer Argumente dem Kulturminister vorschlägt, präzise Objekte zu schützen, so wird dies seit Jahren viel zu oft nicht getan. Kein Land hat einzigartige Patrizierhäuser, Jugendstil-Villen, Bauhaus-Objekte, historizistische Architekturen, Art-Déco-Häuser oder auch Jean-Prouvé-Bauten so sorglos dem Abriss freigegeben wie Luxemburg. Ein Umdenken in dieser Frage würde dem Land nicht nur wirtschaftlich guttun!

Eine Frage des Müssens?

Interessant und unbeantwortet blieb auch die Frage, ob Kultur überhaupt wirtschaftliche Effekte erzeugen muss. Falls die Antwort ja ist, dann in welcher Höhe? Und welches kulturelle Institut sollte undifferenziert wie viel Prozent Ertrag erbringen? Oder sollte je nach Sparte differenziert werden? Wäre dieses Vorgehen überhaupt sinnvoll? Kann überhaupt unbequeme Kunst Geld erwirtschaften? Soll deshalb nur Mainstream-Kultur wegen ihrer höheren Rendite gepflegt werden?

Und wie verhält es sich mit dem Glücksgefühl, welches Kunst beim Empfänger auslöst? In der Tat: Kunst kann heilen. Kunst kann auch ärgern, aufklären, aufwühlen, Kreativität auslösen, Ängste dämpfen, blinden Konsum ersetzen, vom tristen Alltag ablenken, Gefühle und Spiritualität beinhalten und, und, und. Ist all dies überhaupt messbar?

Das Plus der Kritik

Zeitgenössische Kunst stellt Fragen, ohne eine Antwort zu liefern. Dadurch stört sie, dadurch eckt sie an, weil der moderne, zivilisierte Mensch bitteschön immer eine Antwort auf eine Frage erwartet. In der aktuellen Kunst soll er jedoch oft selbst die Antwort suchen, da dies zum Wesen des Werkes gehört. Und keiner wird ihm sagen, ob seine Antwort richtig ist …

Kunst kritisiert oft. Ergeben Kritik oder kritische „Kunstkonsumenten“ nicht auch ein Plus für eine Gesellschaft? Darin liegen die einzigartigen Aspekte von Kunst und Kultur! Den wahren Wert davon wird man wohl nie errechnen können. Die Rechenkriterien dazu sowie die Frage der Messbarkeit all dieser zusätzlichen Effekte werden wohl eher für weiteren Diskussionsstoff sorgen – oder für eine weitere Konferenz.