Crash-Theater

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Es geht um menschliche Schwächen, um seelische Abgründe und Provokation. Statt Theatersprache gibt es Alltagssprache, treffsichere Pointen in stechenden Dialogen.

Theo van Gogh liefert mit seinem Film „Blinddate“ von 1986 die Vorlage zu der ersten französischsprachigen Theateradaptation, die Myriam Muller nun auf die Studiobühne des Grand Théâtre bringt.

Dass sich die Filme des niederländischen Filmregisseurs, der vor ziemlich genau zehn Jahren von einem islamistischen Fundamentalisten ermordet wurde, gut dazu eignen, sie auf die Theaterbühne zu bringen, haben schon andere Theater gezeigt. Im April 2013 zum Beispiel war im Kasemattentheater „Das Interview“ in einer Inszenierung von Pol Cruchten zu sehen. Und auch „Blinddate“ wurde schon an verschiedenen, vor allem deutschen Theatern gespielt.

„Für die Zuschauer ist solch ein Stück eine Abwechslung“, erklärt Myriam Muller, „durch die direkte Alltagssprache fühlt man sich dem Paar auf der Bühne sofort nahe.“ Was für den Zuschauer eine Erleichterung sein mag, entpuppt sich jedoch für die Schauspieler und die Regie als große Herausforderung. „Bei Klassikern kannst du dich auf den Text verlassen“, meint Jules Werner, der klinge einfach toll. Van Goghs Text jedoch sei schwach, schön, aber schwach. Da ist der Schauspieler gefordert, alles aus ihm herauszuholen, zwischen den Zeilen zu lesen und vor allem auch das Nichtgesagte auf die Bühne zu bringen.

Seelisch existentiell

Das Stück sei zwar nicht literarisch reich, dafür aber psychologisch. „Van Gogh hatte ein unglaubliches Gefühl für zwischenmenschliche Abgründe, „Blinddate“ ist seelisch existentiell“, sagt Sascha Ley, die sich freut, nun endlich einmal mit Myriam Muller und Jules Werner zusammenzuarbeiten. „In diesem Team habe ich keine Chance, die einfache Lösung zu wählen“, sagt sie und lächelt.

Sascha Ley und Jules Werner spielen ein Paar, das nach einer gemeinsam erlebten Tragödie versucht, Verlorenes zu retten. Beide haben Schuldgefühle, fühlen sich verantwortlich, machen sich aber auch gegenseitig Vorwürfe und brauchen den anderen als Projektionsfläche. „Es geht um Schwächen des Paarseins, darum, dass Introspektion über den anderen stattfindet und nicht über einen selbst“, sagt Sascha Ley. „Wenn du die Verantwortung, gerettet zu werden, an den anderen abgibst, dann kannst du nur enttäuscht werden.“
Genau das passiert dem Paar auf der Bühne, das sich immer und immer wieder in derselben Bar zu einem inszenierten „Blinddate“ verabredet.

Vor den Augen des Barkeepers (Sébastien Schmit) starten sie einen Anlauf nach dem nächsten, um sich am Ende doch immer noch ein Stückchen mehr zu verletzen und zu verlieren. Sie können nicht ohne, doch noch weniger miteinander. Der Barkeeper ist ihr Zeuge und gleichzeitig der Verbündete des Zuschauers. Als Beobachter ist er immer nahe dabei, so wie „wenn man im Restaurant sitzt, das Pärchen am Nachbartisch sich streitet und man mit hineingezogen wird, obwohl man dies überhaupt nicht will“, erklärt Myriam Muller.

Eine Art „moderner Strindberg“ erwartet den Zuschauer, meint Muller. Viel Gewalt, viel Provokation, viel Leid. Und doch auch immer eigenwilligen Humor. Warum man sich das Stück anschauen soll? Um sich darauf zurückzubesinnen, dass man nur ein Leben hat und dass man, ob man will oder nicht, selbst dafür verantwortlich ist. Sascha Ley und Jules Werner werden uns das sicherlich überzeugend vorspielen.