„Ein Tornado entfesselter Gewalten“

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Kulturministerin Maggy Nagel und Claude Conter, Direktor des Centre national de littérature, eröffneten am Donnerstagabend die Ausstellung „Luxemburg und der Erste Weltkrieg. Literaturgeschichte(n)“. Sie wird noch bis zum 18. September 2015 in den Räumen des CNL zu sehen sein.

Mehr als 250 zeitgenössische literarische und historische Dokumente haben die Kuratoren Daniela Lieb, Pierre Marson und Josiane Weber zusammengetragen und ausgewertet. Tagebücher sind darunter, Briefe, Chroniken, Fotos und Objekte. Sie zeigen, wie präsent der Krieg in Luxemburg war.

Luxemburg und der Erste Weltkrieg – Literaturgeschichte(n)
Ausstellung noch bis zum 18. September 2015, zu sehen im Centre national de
littérature
2, rue Emmanuel Servais
L-7565 Mersch
cnl.public.lu

Begleitkatalog
von Daniela Lieb, Pierre Marson und Josiane Weber
ISBN: 978-2-919903-41-2

Claude Conter beschreibt die Ausstellung als „Literaturgeschichte des Ersten Weltkriegs“. Verschiedene Aspekte des Krieges werden zu einer Geschichte zusammengefügt. Literatur kann aus Sicht der Zeitgenossen die Kriegszeit real machen, durch sie werden historische Momente erfahrbar. Die Ausstellung mache aber auch sichtbar, wie der Zweite Weltkrieg den Ersten überlagert habe.
Thematisch gegliedert, erstreckt sich die Expo über fünf Räume. „Wie ein Tornado entfesselter Gewalten“ – Die deutsche Invasion Luxemburgs am 2. August 1914 und ihre Folgen“ bildet den ersten Schwerpunkt. Bücher, Bilder, Tagebuchaufzeichnungen illustrieren, wie traumatisch die Luxemburger Kriegsbeginn und Okkupation innerhalb eines einzigen Tages erlebt haben. Als Einbruch in ein Idyll wurde das Ereignis empfunden, das einige Schriftsteller mit Metaphern von Naturgewalten beschrieben haben.

Nicht mehr Meister im eigenen Haus

Der zweite Schwerpunkt der Ausstellung trägt die Überschrift „Mir sinn net méi Här a Meeschter am eegenen Haus – Luxemburg unter deutscher Okkupation“. Er befasst sich mit der rechtlichen und moralischen Zwangslage Luxemburgs und seiner Bürger während der vierjährigen Besatzungszeit, dem Gefühl einer „großen Schmach“, Resignation, Scham und Kollaboration, aber auch mit Widerstand und Spionage und den sich daraus ergebenden Konsequenzen.

Schriftsteller und Journalisten wurden zensiert und verfolgt, einige wurden ins Exil gezwungen. Die Ausstellungsstücke illustrieren Einzelschicksale oder Meinungen, aus denen die gespaltene Lage des Landes und seiner Bürger anschaulich wird. Der dritte Schwerpunkt beschreibt den Luxemburger Alltag in der Zeit von 1914 bis 1918. „Unsägliche Mühen in einer trostlosen Zeit“ illustriert die Versorgungslage anhand zweier ernährungsphysiologisch essentieller Grundnahrungsmittel: Brot und Kartoffeln. Mit Hunger und Wucher kann man die beiden Pole beschreiben, mit denen die Luxemburger tagtäglich zu kämpfen hatten. Auch die Anfänge der organisierten Arbeiterbewegung haben ihren Ursprung im Protest gegen die Lebensmittelverknappung und nicht in den Forderungen nach besseren Arbeitsbedingungen.

Soziale Auswirkungen

Die sozialen Auswirkungen des Krieges werden in diesem Teil der Ausstellung spürbar. Mit seinem Ausspruch „Im Wartezimmer des Krieges“ hatte Batty Weber die untätige Haltung der meisten seiner Zeitgenossen beschrieben.
Der vierte Teil der Ausstellung, der diese Überschrift trägt, beschäftigt sich mit dem Kampfgeschehen und der Kriegswirklichkeit in der Luxemburger Literatur.

Die drei Kuratoren führen mit großem Engagement und spürbarem Vergnügen durch die Ausstellung, so auch Pierre Marson, der anschaulich die Kriegswirklichkeit abseits der Kämpfe beschreibt, seien es die Flüchtlinge, die nach Luxemburg kamen, die Verwundeten, die hier gepflegt wurden, oder die Leichen, die durch das Land transportiert wurden. Er weist auf die Fremdenlegionäre hin, die in vielen Theaterstücken, in Gedichten und Prosa zum Thema wurden und in der Nachkriegszeit eine Aufwertung erhalten hatten.

So leitet er geschickt über zum letzen Ausstellungsteil, der sich mit den unmittelbaren Konsequenzen des Krieges beschäftigt, wie beispielsweise der Herrschaft der Großherzogin Marie Adelheid und der Präsenz US-amerikanischer Truppen. Begleitend zur absolut sehenswerten Ausstellung ist ein Katalog erschienen, der noch tiefer einsteigt in die Frage „Was war denn eigentlich der Krieg?“ aus der Perspektive der Literatur.