Schwuler Tanzpionier ist unerwünscht

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Das Bolschoi Theater ist bereits seit Jahren nur noch für Skandale gut. Am 11. Juli sollte dort die Uraufführung des Balletts „Nurejew“ stattfinden. Drei Tage vor dem Ereignis wurde es abgesagt. Der Generaldirektor des Bolschoi, Wladimir Urin, erklärte, die Aufführung sei noch nicht fertig. Die Premiere werde auf 2018 verschoben. Gerüchteweise heißt es, Kulturminister Wladimir Medinski habe die Verschiebung gefordert.

Das Bolschoi Theater in Moskau (Foto: dpa)

Das Ministerium bestätigte zwar das Telefonat zwischen dem Theaterdirektor und dem Minister, stritt aber die Verbotsweisung ab. Die Beamten machten keine Zensur, hieß es. Das Theater bezeichnete die entsprechende Meldung als „Provokation“. Nun war sie aber von der amtlichen Nachrichtenagentur TASS verbreitet worden. „Provokation der TASS“ wäre ein absolutes Novum gewesen. Die Meldung wurde zurückgezogen.

Stehender Beifall

„Nurejew“ verschwand aus dem Programm am 8. Juli. Am 7. Juli hatte die Generalprobe im Bolschoi stattgefunden, zu der Ballettliebhaber aus der ganzen Welt gekommen waren. Sie spendeten zum Schluss sieben Minuten lang stehenden Beifall. Einer von ihnen, der Oligarch Roman Abramowitsch, ein passionierter Ballettfan, versuchte, die Aufführung unter Einsatz seines Vermögens zu retten.

Bolshoi-Generaldirektor Wladimir Urin (Foto: dpa)

Generaldirektor Urin sucht nun die Wogen zu glätten. „Nurejew“ werde nicht um ein ganzes Jahr auf die Spielzeit 2018/2019, sondern auf kommenden Mai verschoben. Von einer Streichung sei keine Rede. Urin weiß, wie groß der Eklat dann wäre. In der russischen Ballettgeschichte hatte es so etwas nur zweimal gegeben, 1931 in Leningrad und 1969 in Moskau.

 

Einflussreiche Kräfte in den Streit verwickelt

Die politisch-ideologische Version des Skandals erscheint viel glaubwürdiger als Urins technische Begründung mit der angeblich halbfertigen Choreographie. „Nurejew“ wurde vom Enfant Terrible Moskaus, dem Regisseur Kyrill Serebrennikow aufgeführt. Im April 2017 begann eine Attacke auf ihn und sein Gogol-Zentrum – mit strafrechtlichen Anklagen und Hausdurchsuchungen.

Regisseur Kyrill Serebrennikow

Urin hatte seinen Regisseur damals erfolgreich verteidigt. Jetzt kann er aber offenbar nichts dagegen ausrichten – ein Zeichen dafür, dass sehr einflussreiche Kräfte in den Konflikt verwickelt wurden. Als ideologische Grundlage dient die Bekämpfung der „homosexuellen Propaganda“. Aus diesem Grunde erhielt das Ballett die Freigabe ab 18.

Nacktfoto auf der Bühne

Rudolf Nurejew

Die Figur des großen Tänzers ist für den Kreml von vornherein anstößig. Rudolf Nurejew war schwul und starb 1993 an AIDS. Seine Geschichte fing damit an, dass er sich bei einem Gastspiel des Kirow-Balletts in den Westen absetzte. Die Handlung spielt sich vor dem Hintergrund eines bekannten Nacktfotos von Nurejew ab. Kritiker schreiben, dass „nackte Mannsbilder“ auf der Bühne herumhopsen. Das stimmt nicht, weil die Darsteller mit hautfarbenen Trikots bekleidet sind.

Der Chefchoreograph Juri Possochow gilt als unnachgiebiger Anhänger des klassischen Balletts. Damit wären Kabarett, Porno und schlechter Geschmack in „Nurejew“ ausgeschlossen. Er hatte zusammen mit Serebrennikow und dem Komponisten Ilja Demuzki bereits mehrere erfolgreiche Ballettaufführungen hinter sich.

Das „Beste des 21. Jahrhunderts“

Experten sagen, die Choreographie des „Nurejew“ sei „das Beste, was das Welttheater bisher im 21. Jahrhundert hervorgebracht hat“. Über kurz oder lang werde das Bolschoi die Aufführung zeigen müssen. Denn sonst werde es jemand anders stattdessen tun, wenn alle Rechte auf Serebrennikow, Possochow und Demuzki übergehen.

Laut Urin wendet sich das Theater diesem Ballett in neun Monaten wieder zu. Deshalb stellt sich die Frage, was die Beamten mit der jetzigen Verschiebung bezwecken. Man muss annehmen, dass sie die Handlung in ihrem Sinne zu ändern hoffen.

– Axel Eichholz –