Realität absurder als die Satire

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Howard Jacobson hat „Pussy“ geschrieben, die erste große Satire auf Donald Trump. Es geht um den Fürstensohn Fracassus. Die Eltern haben ihre liebe Not mit ihm, weil der vorgibt, alles schon zu wissen.

Howard Jacobson hat „Pussy“ geschrieben, die erste große Satire auf Donald Trump. Es geht um den Fürstensohn Fracassus. Die Eltern haben ihre liebe Not mit ihm, weil der vorgibt, alles schon zu wissen.

Von unserem Korrespondenten Roland Mischke

Es war einmal ein Fürstensohn, der von Urbs-Ludus, der lebte im von Mauern umschlossenen Amerika. Seine Eltern gaben ihm den Namen Fracassus, haben aber auch ihre liebe Not mit dem Nachwuchs, weil der vorgibt, alles schon zu wissen. Sogar noch mehr als das, was über die Pornofilme hinausgeht, die er regelmäßig konsumiert.

Sie entscheiden, dass Fracassus besser erzogen werden soll, weil sein Sprachschatz unbedingt erweitert werden muss. Auch sein Allgemeinwissen über Zeitgenossen, denn fällt irgendwann der Begriff „Frau“, hat Fracassus sofort das P-Wort parat. Etwas anderes scheint ihm dazu nicht einzufallen als „grab them by the pussy“.

Die Eltern bekommen ihre Sorgen nicht los. Der Junge hängt am liebsten vor dem Fernseher, seine Lieblingssendungen sind Kriege und Reality-Shows, am meisten aber Wrestling, weil da so viel gebrüllt wird. Trotz seiner Lehrer, der eine davon ist ein Professor, ist der Wortschatz des Aufwachsenden karg, genau besehen begrenzt auf 140 Zeichen. Das zeigt sich, als er mit 18 anfangen darf zu twittern.

Die „Fähigkeit, Aufsehen zu erregen“

Die Eltern glauben, dass sich der Horizont des Sohnes erheblich erweitern ließe, wenn er auf Reisen geht. Begleitet wird er von der schönen Dr. Cobalt, das gefällt Fracassus, er hat eine tolle Pussy neben sich! Das Flugzeug bringt sie nach Cholm, dessen Herrscher ist Vozzek Spravckick, der sich bevorzugt mit seinem nackten und rasierten Oberkörper in der Öffentlichkeit zeigt.

Die beiden verstehen sich ausgezeichnet, denn sie teilen die „Fähigkeit, Aufsehen zu erregen“. Fracassus bleibt, der er ist: einer, der sagt, was er denkt. Gefällt ihm etwas, twittert er „Schön heute“. Verspürt er Hunger, verlangt er „Cheeseburger zu Mittag“. Es macht ihm großen Spaß, vor Firmenbossen mal die Sau rauszulassen und auf Schönheitswettbewerben gafft er die Frauen an und lässt sich ansehen, was ihm dabei alles so durch den Kopf geht.

Ein angesehener Autor

Die erste große Satire auf Donald Trump hat ein höchst angesehener Schriftsteller verfasst, der 75 Jahre alte Howard Jacobson aus Manchester, der schon den renommierten Booker-Preis erhalten hat. Er ist bekannt als scharfzüngiger Autor und geistreicher Spötter, doch diesmal kämpft er wie ein betagter mittelalterlicher Ritter mit einem verrosteten Schwert.

Man kann lachen über seine Hiebe, sich amüsieren, aber mehr nicht. Denn alles, was Jacobson satirisch auf den Punkt zu bringen versucht, ist längst bekannt. Das bedeutet: Die Realität Trump ist so absurd, dass die Satire ihr nicht beikommen kann. Das schmale Buch ist seit letztem Wochenende im Handel.

Jacobson ist entsetzt

Jacobsons Problem ist, dass er sich rächen will an der Tatsache, dass einer wie Trump Präsident der USA werden konnte. Deshalb haut er in Serie drauf, denn es grämt ihn, dass „diese dümmste Person es fertigbrachte, die Aufmerksamkeit der ganzen Welt zu erregen“. Ein Idiot ist der mächtigste Mann der Welt. Man spürt, wie Jacobson in seinem Sessel hockt und es nicht fassen kann. Und die Leute amüsieren sich darüber und schalten den Fernseher ein, wenn Trump zu hören und zu sehen ist. Seine Frisur, seine fuchtelnden Hände, sein perfides Lächeln, sein dümmlicher Blick, wenn er etwas nicht verstanden hat und das weggrinsen will. Zu viel für einen Intellektuellen. Jacobson graut es – deshalb ist auch er Trump verfallen, kommt nicht von ihm los.

Dabei ist manches treffend beschrieben. „In der Zone, in der Fracassus sich bewegte, schienen weder Worte noch Intentionen irgendein Gewicht zu haben“, heißt es. „Man konnte einfach etwas sagen und es dann widerrufen, ohne dass es einen etwas kostete.“ Der Autor ist fasziniert: Sexismus, Rassismus, Größenwahn – alles geht. Howard Jacobson ist entsetzt.

Howard Jacobson: „Pussy“. Aus dem Englischen von Johann Christoph Maas. Klett-Cotta, Stuttgart, 272 S., 16 Euro