Mut zur Hoffnung

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Hunderte von Besuchern verließen am Montagabend die Abtei Neumünster mit einem Gefühl von Mut. Stéphane Hessel hat ihnen sein Bedürfnis nach mehr Solidarität weitergegeben.

In grauem Anzug, mit strahlend roter Krawatte und einem verschmitzten Grinsen betritt Stéphane Hessel gegen 20 Uhr die Bühne des Saals „Robert Krieps“. Er zwinkert den sechs Schülern aus dem „Athénée“ zu, die rechts von ihm Platz genommen haben, und lässt die Begrüßungsansprache von Claude Frisoni, in der Lob, Bewunderung und Dank sich gegenseitig übertrumpfen, über sich ergehen. Doch nicht, ohne bereits in diesen wenigen Minuten ganz ohne Worte die Sympathie des Publikums für sich zu gewinnen. Mit kleinen Gesten und noch kleineren Mimiken kommentiert er die Worte Frisonis und stiehlt dem sonst die Blicke auf sich ziehenden Frisoni sofort die Show.

30-Seiten-Büchlein „Indignez-vous!“
Es ist gerade einmal ein gutes Jahr her, dass Stéphane Hessel auf Einladung des „Comité pour une paix juste au Proche-Orient“ in Luxemburg zu Gast war. Schon damals überzeugte er mit seiner Persönlichkeit, seinen Ideen, seinen Überzeugungen und seinem Optimismus. Doch Hessels Popularität ist im vergangenen Jahr durch die Veröffentlichung seines 30-Seiten-Büchleins „Indignez-vous!“ („Empört Euch!“) rasant gestiegen. Er ist nicht mehr nur eine Referenz in intellektuellen Kreisen oder internationalen Gremien, sondern seine Aussagen werden auf Schulhöfen, in Betrieben und sonntags beim Familienkaffee diskutiert.

„Moralische Instanz“

Hessel sei, so Frisoni, eine „moralische Instanz für Millionen“. Auch wenn sich Stéphane Hessel gegen diese hochtrabende Etikette wehrt – er sei doch nur ein alter Mann von 94 (!) Jahren –, begründet er seine „raison d’être“ damit, dass vor allem die Jugend ihm zuhöre und an seinen Erfahrungen während eines gesamten Jahrhunderts voller Kriege, Konflikte und Auseinandersetzungen teilhaben wolle. Wäre dem nicht so, hätte er auf dieser alten Erde nichts mehr zu suchen.

Sein Glaube an die Jugend und ihr Potenzial ist in Zeiten, in denen gerne an den ach so ungebildeten und sich für nichts richtig interessierenden Jugendlichen herumgemeckert wird, erfrischend und ermutigend. Besonders als Hessel auf Fragen der sechs internationalen Vorzeige-Schüler des „Athénée“ weitsichtig und bürgernah antwortet, wünscht man sich, die Lehrer an unseren Schulen würden sich eine Scheibe von seinem Umgang mit den Jugendlichen abschneiden. Von gleich zu gleich unterhält er sich mit ihnen über die schwierigen Herausforderungen, denen sich die Weltgemeinschaft zu stellen hat. Egal über welches Thema er redet, niemals verliert er sich im Detail, vielmehr schafft er es immer, die Perspektive zu öffnen und Sätze zu sagen, die an sich wahr sind.

Die richtige Antwort

So kommt er in der Diskussion um die richtige Art der Entwicklungshilfe in Afrika zu der einfachen Erkenntnis: „Wir müssen lernen, zuzuhören. Die Antwort auf Probleme muss immer von jenen kommen, die direkt betroffen sind.“

Immer wieder verweist Hessel auf Buchtitel und Autoren, verdeutlicht, auf welch großes Wissen zukünftige Generationen bei der Gestaltung einer gerechteren Welt – denn um nichts Geringeres geht es ihm – zurückgreifen können. Es gebe viele gute Gedanken und Ideen, doch der schwierigste Schritt sei, vom Denken ins Handeln überzugehen. Als die Frage nach Barack Obama und seiner ablehnenden Haltung zur UNO-Anerkennung eines palästinensischen Staates aufkommt, erklärt er an dem Titel von Obamas Buch „The Audacity of Hope“ (dt.: Hoffnung wagen), was seiner Meinung nach mit Obama geschehen sei. Nach seiner Wahl habe Obama an Mut verloren, er suche eher nach Konsens und Kompromissen, anstatt ein Wagnis einzugehen. Das sei menschlich, sei doch Mut die wichtigste und gleichzeitig schwierigste Eigenschaft, die man zur Verbesserung der Welt brauche.

Differenzierte Analyse

Seine differenzierte Analyse des Nahost-Konflikts und seine daraus resultierende bedingungslose Unterstützung für die Gründung und internationale Anerkennung eines palästinensischen Staates hat vielleicht am klarsten vor Augen geführt, auf welches Erfahrungsgerüst Stéphane Hessel zurückgreift. Er zitiert aus Gesetzestexten, kommt immer wieder auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte zurück, an deren Ausarbeitung er mitgearbeitet hat, und springt zwischen den Jahrzehnten hin und her. Jeder einzelne Satz wird von 90 Jahren Erfahrung getragen. Das gibt seinen Ausführungen Glaubwürdigkeit und Tiefe.

Als er dann auch noch völlig frei und mit kleiner versteckter Hommage an seine Frau das Gedicht „Sensation“ von Arthur Rimbaud rezitiert, hat er, wie es die Rhetorik-Lehrbücher der alten Römer und Griechen vorschreiben, sein Publikum nicht nur belehrt und erfreut, sondern wirklich bewegt.

Es passt zu diesem großen Mann, der zwei Stunden lang vollkommen konzentriert und dennoch leichtfüßig spricht, dass ihm an diesem Abend ein einziger Versprecher unterläuft: Er sprach von unserem Land Europa: „Notre pays Europe“. Ein Versprecher, der nicht vielversprechender hätte sein können.