Klangwelten: Keine Scheuklappen

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In unserer Rubrik Klangwelten werden regelmäßig Alben rezensiert. Diese Woche dreht sich alles um Bands, die dieses Jahr beim Out of the Crowd Festival auftreten. 

Vielfalt ist Trumpf: Dieses Jahr setzt das Out of the Crowd, das unabhängig von den Schwankungen und Absagen in der hiesigen Festivalszene standhaft in die 15. Runde geht, weniger auf Post- und Mathrock und bietet dafür ein äußerst vielseitiges Programm, das zeigt: Indierock ist lange nicht tot, man muss nur abseits der Mainstream- langweiler horchen, um vitale, spannende Musik zu hören. Wir haben uns mit Organisator Nicolas Przeor unterhalten und stellen das Festival und die Highlights vor.

Die Playlist

Um euch optimal auf das Festival vorzubereiten, hört ihr am besten in folgende Tracks rein:
Aiming For Enrike – Newspeak
Aiming For Enrike – Billion Year Contract
BRNS – The Rumour
Grooms – The Directory
Metz – Drained Lake
Motorpsycho – The Tower
Napoleon Gold – A New Colour
Porches – Leave the House
Porches – Find Me

„Wenn du dir das Line-up über die Jahre anschaust, kannst du dir den Soundtrack unserer jungen Jahre zusammenstellen. Es geht bei dem Festival um unsere musikalischen Vorlieben – und um musikalische Achterbahnfahrten. In einem Abend passieren wir von den technischen Wundern von Aiming for Enrike über die Sanftheit von Porches bis hin zum brachialen Krach von Metz“, erklärt Nicolas Przeor, Gitarrist von Mutiny on the Bounty und einer der Hauptorganisatoren des OOTC.

Die diesjährige Auflage geht weniger als sonst in Richtung Postrock, da das OOTC „zwar sehr inspiriert von Festivals wie dem belgischen Dunk! oder dem britischen Arc Tangent ist, aber auch dafür steht, sich nicht in Genre-Nischen einzusperren.“ Erstellt hat sich das diesjährige Line-up eigentlich wie alle Jahre: „Im August erstellen wir eine Liste mit Bandwünschen. Ich kontaktiere dann die verschiedenen Agenten, wissend, dass wir ungefähr zwölf Bands unterbringen können (davon drei bis vier lokale). Die Planung erfolgt aber erst richtig, wenn wir die Zusage einer Band bekommen, die wir allesamt schätzen. Dieses Jahr handelte es sich dabei um Metz.“

Die Bands im Überblick

Der erste Song des ersten (selbstbetitelten) Albums der Krachmacher von Metz heißt „Headache“ – und Kopfschmerzen könnte diese Band, die übrigens nicht aus Lothringen, sondern aus Kanada stammt, allen machen, die glauben, Metz würden, wie es vor kurzem in einem Artikel der Luxembourg Times stand, Popmusik machen. Nur so am Rande: Wenn Metz Popmusik macht, dann kann man gleich jede zeitgenössische musikalische Produktion in den Popmantel hüllen – und generische Kategorisierungen ganz weglassen. Metz haben mittlerweile drei Alben veröffentlicht, klingen ein bisschen wie die frühen Pulled Apart By Horses, sind auf ihrem rezenten Album „Strange Peace“ trotz des Namens kein bisschen ruhiger geworden und kombinieren die ungestüme Energie des Punks mit der Dringlichkeit des frühen Grunge – über schnelle Rhythmik und treibende Gitarrenriffs legt sich ein Gesang, der halb melodisch, halb dahingerotzt ist. Die Songs von Metz dauern im Schnitt drei Minuten und kommen sofort zur Sache – der durchschnittliche Metz-Song klingt in etwa so, als hätte die Band zwei Stunden vor dem Start eines lebenswichtigen Fluges kurz noch ein Album aufgenommen.

Aiming for Enrike werden jedem gefallen, der die Musik der lokalen Helden von Mutiny on the Bounty mag. Die Band wartet mit vertrackter Rhythmik, kniffligen, aber verdammt eingängigen Gitarrenläufen, sich nach und nach aufbäumenden Tracks und einer enormen Vielfalt auf: Mal verspielt, mal atmosphärisch, mal tanzbar, sind die abwechslungsreichen Kompositionen sowohl spannend als eingängig. Wen And So I Watch You From Afar seit einiger Zeit langweilen, wird Aiming for Enrike, die die Verschrobenheit von ASIWYFA verdichten und ihr das Substrat von Maserati unterlegen, feiern. Von der norwegischen Band, die bereits letztes Jahr auf dem Sonic Visions aufgetreten war, sollte man sich vor allem die letzten beiden Platten „Segway Nation“ (2016) und „Las Napalmas“ (2017) anhören, wobei Ersteres etwas zugänglicher ist. Songtitel wie „Mad Driver“, „Nakata Johnny Walker“ oder „Lactic Acid Trip“ zeigen auf jeden Fall wo’s langgeht.

Nach dem tanzbaren Remmidemmi von Aiming for Enrike muss der Zuschauer wohl etwas in Watte gepackt werden: BRNS aus Brüssel erinnern teilweise stark an Beach House und andere Dream-Pop-Acts, sind aber weniger verschlafen – und klingen mitunter, als würde sich der Schlafzimmerpop solcher Bands aus dem Kokon heraustrauen, um sich mit den Kanten der Wirklichkeit auseinanderzusetzen: Auf dem Opener „The Rumour“ vom rezenten Album „Sugar High“ (2017) sind es die aufgekratzten Gitarrensoli, auf dem Folgetrack „Pious Platitudes“ der etwas aufgeregte Bass, der die harmonischen Gitarrenfiguren und den schönen Gesang etwas entarten. Der belgische Touch, den man im leichten Akzent und in einer gewissen idiosynkratischen Art und Weise, Indierock zu spielen, heraushört, wird durch Familienähnlichkeiten zu Bands wie Deus oder Girls in Hawaii verstärkt.

In einen ähnlich entspannten, aber elektronischerem Kontext sind die Amerikaner von Porches einzureihen: Der geschliffene Elektropop erinnert teilweise an Bands wie Hot Chip oder Zoot Woman (siehe z.B. den sehr tanzbaren Track „Find Me“), die gleichermaßen ihr fast dandyhaftes, teilweise melancholisches, nerdiges Verständnis von Popmusik mit zeitgenössischer Tanzbarkeit und glasklaren Synthies assoziieren.

Die andere amerikanische Band des Line-ups gilt neben Metz und Aiming for Enrike als einer der persönlichen Favoriten von Nicolas Przeor, der Grooms zu Recht als „Juwel verzerrter, zeitgenössischer Popmusik“ bezeichnet. Wir schließen uns dem an und verweisen auf das sehr empfehlenswerte letzte Album „Exit Index“.

Die deutschen Dana.Plan planen ihren Auftritt auf dem OOTC schon seit einiger Zeit – und organisieren sogar auf Facebook eine Busfahrt zum Festival, um so viele Leute wie möglich mit auf das Festival nehmen zu können: Jeder, der aus der Gegend Limburg eine billige Hin- und Rückfahrt sucht, kann sich bei der Band melden und muss sich weder um Hinreise noch um Bierverschluss Sorgen machen. Diese Art von Engagement ist typisch für die alternative Szene – und verleiht dem Festival zusätzlichen Charme. Der Postrock der deutschen Band klingt auf den bisher anhörbaren Tracks zwar interessant, jedoch nicht sonderlich innovativ.

Motorpsycho aus Norwegen wurde eine Spielzeit von fast zwei Stunden eingeräumt – bedenkt man, dass diese Kultband der progressiven Musik gerne Songs von 20 Minuten schreibt, wird man so vielleicht wenigstens in den Genuss von zehn Tunes kommen. Da die Band auf eine sehr umfangreiche Diskographie zurückblickt, darf man gespannt sein, wie die Setlist ausfallen wird – obwohl sicherlich ein Großteil des Konzerts dem aktuellen Album „The Tower“ gewidmet werden wird. Die Tracks dieses Albums trumpfen wie gewohnt mit schweren Blues-Riffs, progressiven Strukturen und musikalischen Tours de Force, die fast nie streberhaft eingesetzt sind, sondern den Windungen der Songs dienen.

Vor diesen Mastodonten wird mit TTNG eine Band aus England vertreten sein, die auch schon auf dem legendären Arc Tangent Festival aufgetreten ist. TTNGs verspielter Indierock ist zwar durchaus angenehm, irgendwie fehlt den meisten Kompositionen auf ihrem Album „Disappointment Island“ (2016) aber die Dringlichkeit.

Über die luxemburgischen Bands weniger Zeilen zu schreiben, bedeutet nicht, sie als zweitrangig zu handhaben: Nur haben wir in diesen Seiten schon öfters über Napoleon Gold und No Metal in this Battle geschrieben. Auf dem OOTC sind es meist die hiesigen Bands, die das Publikum schon kennt und live gesehen hat – von den noch unbekannteren Seekers mal abgesehen. Nichtsdestotrotz sind einem die Auftritte der drei luxemburgischen Bands ans Herz zu legen – und No Metal in this Battle wurde sogar ein ziemlich prominenter Platz um 20.20 Uhr zwischen BRNS und Metz eingeräumt.

Die Entwicklung der luxemburgischen Festivallandschaft und ihrer momentanen Reduzierung kommentiert Nicolas Przeor, indem er sich fragt, ob die Festivals nicht zu einer mittlerweile archaischen Gattung gehören, da sich der Mensch in den letzten Jahren so sehr an eine beschleunigte Gesellschaft gewöhnt hat, dass man sich keine Zeit mehr für Entdeckungen nimmt. „Das OOTC ist unser kleines Paradies, unser Ventil: Es ist eine Art Super J für Erwachsene, ein Ort, an dem man sich gerne aufhält und Musik genießt. Das OOTC war nie ein kommerzielles Festival, weswegen es wohl andere Trends überdauert hat. In diesem Sinne sind wir auf einer Wellenlänge mit den Jungs vom Food. Ich hoffe wirklich, dass es ihnen gelingen wird, noch weitere Auflagen ihres Festivals zu organisieren. Und auch, dass die Festivallandschaft sich wieder bereichern wird. Denn es fällt mir schon auf, als jemand, der mit Festivals wie dem Mess For Masses groß geworden ist, dass dies in der kulturellen Landschaft momentan wirklich fehlt.“

Einstweilen legen wir Ihnen ans Herz, am Samstag die eklektischen Töne des OOTC zu genießen: Eine bessere Eröffnung der Festivalsaison kann man sich kaum vorstellen.


Der Zeitplan

Da das OOTC ein Festival ist, auf dem man tolle Bands entdecken wird – und da hier hochkarätige Bands auch gerne schon mal sehr früh auf der Bühne stehen, lohnt es sich durchaus, frühzeitig aufzutauchen. Vor drei Jahren stand mit Helms Alee eine fantastische Band auf der Bühne, nur war fast noch niemand da; vor zwei Jahren konnten nur die Frühbesucher Quadrupède erleben – und letztes Jahr spielten Luo, eine der Entdeckungen des Festivals, auch am frühen Nachmittag. Um das Publikum anzuspornen, den Samstagnachmittag nicht mit der Bundesliga oder auf der Terrasse zu Hause zu verbringen, ist das erste Fass Bier umsonst.

  • 16.00-16.25 Seekers (L)
  • 16.30-16.55 Dana.Plan (D)
  • 17.00-17.30 Napoleon Gold (L)
  • 17.35-18.05 Grooms (USA)
  • 18.10-18.50 Porches (USA)
  • 18.55-19.30 Aiming for Enrike (NOR)
  • 19.35-20.15 BRNS (B)
  • 20.20- 20.50 No Metal in this Battle (L)
  • 20.55-21.45 Metz (CAN)
  • 21.50-22.30 TTNG (UK)
  • 22.35-00.30 Motorpsycho (NOR)