Klangwelten: Away from the roots

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SEED TO TREE – Proportions

Die letzte EP ließ es bereits erahnen: Seed to Tree entfernen sich langsam, aber sicher vom Indie-Folk ihres Debüts – und kontern die Stagnation mit melancholischen Tracks, leichten elektronischen Einsprengseln und einer tiefgründigen Produktion.

Nach ihrer letzten EP, „Unconcerned“, die das Bindeglied zwischen der ersten Platte „Wandering“ und dem neuen Album darstellt, veröffentlicht die Luxemburger Indie-Folk-Band ihre zweite Platte „Proportions“. Seed To Tree, deren Sänger Georges Goerens sich in letzter Zeit mit dem Soloprojekt Bartleby Delicate ein zweites musikalisches Standbein aufgebaut hat, sind eine der bekannteren Bands der jungen Luxemburger Indie-Rock-Generation, zu der außerdem Gruppen wie Tuys oder auch Austinn gehören. Dass diese jungen Musiker professioneller aufgestellt sind als viele Bands der vorherigen Generationen, mag durchaus an den Bemühungen des Exportbüros music:LX und dem Rocklab liegen – wenn die Qualität der Songs nicht folgt, nutzt auch die strukturelle Professionalisierung wenig. Weswegen es guttut, zu sehen, dass Seed To Tree nach einer etwas unausgeglichenen EP ein weitaus stärkeres Album nachlegen.

Auf „Proportions“ entfernen sich Seed To Tree etwas von ihren folkigen Wurzeln – die zehn neuen Songs klingen nicht nur reifer, sondern auch gesättigter, die Instrumentierung birgt mehr Abwechslungsreichtum, neben Indie-Folk trifft man hier auf viele Ideen, die man in den letzten zehn Jahren im Indie-Rock gehört hat und die die Band auf ganz eigene Art in ihrem Sound verwebt. Auf „Comfort Me“ findet man die verspielten Gitarren, mit denen die Foals vor zehn Jahren eine gewisse Form des Math-Rocks salontauglich machten, auf „I Wouldn’t Mind“ und auch dem schönen „Within Me“ wird die klassische Instrumentierung aus Bass, Gitarre und Schlagzeug durch Beats und Synthies ergänzt, sodass man sich manchmal an gelassene funkige Neo-Wave-Acts wie Metronomy, MGMT, aber auch hippe Electro-Acts wie Hot Chip, Caribou (die Marimba-Samples auf „All Night Long“) erinnert fühlt.

Die Synthies, das elektronische Flirren und der Hall sorgen aber vor allem für eine ganz eigene Atmosphäre, die beispielsweise den Track „Lack Of Proportion“ aufwertet – die instrumentale Passage hier ist deutlich vom instrumentalen Genre des Post-Rocks geprägt, die Gitarren seufzen in der Einsamkeit der Reverbs. Wo es notwendig ist, lassen sich die Songs Zeit und sprengen auch mal die Fünf-Minuten-Grenze – diese Abwesenheit von Dringlichkeit tut der Platte meistens gut. Georges Goerens’ markante Stimme gehört mittlerweile zum Markenzeichen der Band – dies könnte irgendwann, weil man ebendiese Stimme auch mittlerweile mit Bartleby Delicate assoziiert, zu Ermüdungserscheinungen führen. Gut also, dass Goerens’ Stimme auf dieser Platte subtile Entwicklungen wagt (das Falsetto auf „I Wouldn’t Mind“). Durch die glasklare Produktion – ganz im Gegensatz zu den verschwommenen Bandfotos, die das Artwork prägen – hört man die feinsinnig gespielten Gitarrenriffs, den oftmals funkig-präzisen Bass, die abwechslungsreichen Schlagzeugmuster.

Wahnsinnig innovativ ist dies weiterhin kaum, bei einigen Songs macht sich ein Déjà-Entendu-Gefühl bereit und nicht jedem Track bekommt die neue stilistische Evolution – die flächigen Synthies auf „Integrity (You Don’t Owe Nothing To Me)“ unterstreichen den kitschigen Charakter des Chorus etwas zu sehr. Trotz dieser Abstriche ist das zweite Album von Seed To Tree – toutes proportions gardées – definitiv ein Schritt in die richtige Richtung.

Von Jeff Schinker

Wertung: Sieben von Zehn 

Anspieltipps: Apart, I Wouldn’t Mind, Lack Of Proportion, All Night Long


3 Fragen an Georges Goerens, Sänger von Seed To Tree

Tageblatt: Wie trennen Sie die Ideen für Ihr Soloprojekt von jenen für Seed To Tree?

Georges Goerens: Die Trennung ist mittlerweile manchmal ein bisschen willkürlich. Viele Ideen könnten eigentlich für beide Projekte funktionieren. Erst im weiteren Entwicklungsprozess nehmen sie dann eine Form an, die sich entweder mehr für das Soloprojekt oder eher für den Bandkontext eignet. In den Lyrics gibt es autobiografische Themen, die einfach passender fürs Soloprojekt sind. Es gilt aber folgende Faustregel: Ein Song, der im Probesaal entsteht, bleibt dann auch in unserem Probesaal.

Welche Rolle hat die EP „Unconcerned“ gespielt?

Die EP zwischen den beiden Alben spiegelt die Phase wider, in der wir bereits wussten, dass wir etwas anderes probieren wollten – ohne aber eine konkrete Vorstellung davon zu haben, wie wir das bewerkstelligen sollten. Ursprünglich gingen wir ins Studio, um unsere neue Platte aufzunehmen – die Songs waren aber noch nicht ausgereift genug. Wir haben uns dann für vier Songs entschieden, die uns zufriedenstellten und im EP-Kontext schlüssig waren. Rückblickend finde ich, dass die EP als Brücke zwischen Alt und Neu überraschend gut funktioniert.

Wie unterscheidet sich „Proportions“ vom Debüt?

Die Instrumentierung ist anders. Es gibt weniger Gitarren, dafür mehr Synthies und elektronische Elemente. In dem Sinne folgen wir dem Zeitgeist heutiger Indie-Musik. Die alten Songs waren akustischer, der Roots Folk deutlicher erkennbar. Die neuen Tracks sind weniger naiv und erwachsener, sie sind experimenteller und beinhalten düstere Harmonien. Das Gleiche gilt für die Texte. Die Themen sind ähnlich – es geht um Identität und existenzielle Fragen –, aber ich finde, es ist mir gelungen, diese Fragen in ein anderes Licht zu rücken und im Zusammenspiel mit der Musik der thematischen Komplexität gerecht zu werden.