„Jedes Haus braucht mal einen neuen Anstrich“

„Jedes Haus braucht mal einen neuen Anstrich“

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Am Dienstag wird Parov Stelar, der DJ und Produzent aus Österreich, mit seiner Band in der Rockhal auftreten.

Von Delia Pifarotti

Am Dienstag wird Parov Stelar, der DJ und Produzent aus Österreich, mit seiner Band in der Rockhal auftreten. Bereits im April 2015 hatte er die Main Hall mit seinem mitreißenden Elektro-Swing zum Beben gebracht und dem Publikum gute Laune bereitet. Diesmal bereichert Parov Stelar die Power des Elektro-Swings mit der feinfühligen Dimension des Blues. Ausgelassener Tanz und Blues … kann man beides denn kombinieren?

Tageblatt: Sie sind gerade auf „Burning Spider“-Welttournee. Was versteckt sich hinter der Metapher der brennenden Spinne?
Parov Stelar: In unserer heutigen Zeit kann es sehr leicht geschehen, dass man sich im eigenen Netz verfängt, ob es jetzt das World Wide Web ist oder das Netz, das jeder Mensch sich aufgebaut hat. Bevor man darin kleben bleibt, muss man es einfach mal abbrennen! Für mich war das der Fall mit meinem neuen Album. Ich wollte diesen Elektro-Swing erst mal zurückschrauben und etwas anderes machen. Die Metapher deutet auf eine gründliche Reinigung im eigenen Stall hin. Wichtig dabei war mir aber, dass meine Handschrift bei der neuen Kreation immer noch erkennbar sein sollte.

Sie haben also die Magie des Blues für sich entdeckt. Aber die typische Gefühlsregung beim Blues ist doch Melancholie. Wie kann man denn darauf tanzen?
Gerade darin bestand die Herausforderung für mich. Ich habe beispielsweise Muddy Waters gehört und „Mojo Hand“ von Lightnin’ Hopkins und gedacht: „Da kommt ja richtig was rüber!“ Ich musste sofort versuchen, die Songs zu sampeln. Ich habe natürlich gemerkt, dass Blues das Gegenteil von Tanzmusik ist. Hier geht’s um Frau weg, Geld weg, Gefängnis, oder so ähnlich. „Aber vielleicht schaffe ich es, diese depressive Stimmung in eine positive Melancholie umzuwandeln!“, habe ich gedacht. Das war meine Herangehensweise und ich merkte, dass das gut funktionierte, weil ich die Leute bei Lightnin’ Hopkins tanzen sah! Es ist erfreulich, wenn man aus etwas grundsätzlich Traurigem neue Energie und Lebensmut gewinnen kann.

Sie verpassen der Musik aus vergangenen Zeiten einen zeitgemäßen Schliff. Sehen Sie sich als eine Art Musikhistoriker?
Ich sehe das folgendermaßen: Jedes Haus braucht auch mal einen neuen Anstrich. Man muss ja nicht sofort das ganze Haus abreißen. Ich liebe Architektur. Ich versuche aber, den Charme des Alten zu bewahren und ihn mit den Ansprüchen der modernen Welt in Einklang zu bringen. Genauso ist es mit der Musik. Es gibt verborgene Schätze, von denen junge Generationen nichts wissen. Es gibt aber die Möglichkeit, diese Schätze in die heutige Welt zu transportieren.

Sie mögen es auch, mit Künstlern zusammenzuarbeiten. Gerade heute, am 16. März, ist die neue Single „Taking Over“ veröffentlicht worden. Wie kam es zur Zusammenarbeit mit Krysta Youngs?
Sie hat genau das, was ich wertschätze: Zum einen ist sie eine seriöse Musikerin und hat Humor. Zum anderen ist sie auch ein bisschen durchgeknallt, also „out of the box“, wie man zu sagen pflegt. Sie hat Ecken und Kanten, das liebe ich.
Man soll eben nicht immer so sein, wie alle anderen.

Der Songtext verherrlicht Reichtum und materielle Gier. Ist das ironisch zu verstehen?
Ja, sicher. Es geht darum, Leute darzustellen, bei denen es nur um Kohle geht. In unserer Gesellschaft, wo Konsum und Geld zur Religion geworden sind, fragt man sich als Künstler, ob es im Beruf nur um Fakten, Zahlen und Bankkontos geht oder ob da noch Platz für nicht-materielle Werte ist. Am besten geht man diese Probleme mit Humor an.

Der Song „State of the Union“, den Sie mit Anduze produziert haben, ist ein Protestsong. Ist das ein Zufall oder ist Ihre Kunst gesellschaftskritisch geworden?
Ich sehe mich nicht als Gesellschaftskritiker, aber es ist die Aufgabe des Künstlers, Missstände sichtbar zu machen. Zum einen möchte ich unterhalten, zum anderen nicht nur Songs über Liebeskummer schreiben, auch wenn es Gefühle anspricht, die jeder kennt. Es geht mir auch um andere Themen. Umso mehr dies auch bei anderen Künstlern, wie z.B. Anduze, der Fall ist. Er kommt aus Los Angeles, hat den Text geschrieben, erzählt von seinen Erfahrungen und wir arbeiten zusammen an der Umsetzung davon. Das finde ich bei Kooperationen spannend.

Sie haben vom letzten Album auch eine „Strictly Limited Art Edition“ rausgebracht. Sie haben dazu ein sympathisches Video veröffentlicht, wo man Sie im Kunstatelier Ihrer Mutter beim Basteln, Malen und Beschriften der einzelnen Platten sieht. „Back to the roots“ also?
Ja, denn ich habe meine Karriere nicht mit Musik, sondern mit bildender Kunst begonnen. Folglich: Erst kommt die Musik und dann verpack ich die Musik! Eigentlich liegt darin etwas Gesellschaftskritisches verborgen, denn eine manuell aufbereitete „Art Edition“ ist der komplette Gegenentwurf zu unserer Massenkonsumgesellschaft. Plattformen wie Spotify sind super, aber man soll die haptische Seite der Dinge nicht vergessen. Wenn man solch eine Platte kauft, dann will man sie nicht einfach wegwerfen oder von der Festplatte löschen.

Ihre Live-Auftritte sind immer ein tolles Erlebnis und Sie sind ein begehrter Gast auf großen Festivals und in bekannten internationalen Konzerthallen. Was denken Sie, wenn Sie hoch oben auf Ihrem DJ-Desk auf die Tausenden von Zuschauern runterschauen?
Ehrlich gesagt, sehe ich sie nicht alle, aber ich bin immer aufgeregt! Ja, ich habe eine große Verantwortung, denn die Leute haben Tickets gekauft, haben eine Erwartung und ich will sie nicht enttäuschen. Wenn dann neue Songs ins Spiel kommen, bei denen man noch nicht weiß, ob sie dem Publikum gefallen werden, dann ist man aufgeregt. Ich habe mir auch immer gewünscht, dass jemand, der zu meinem Konzert kommt, beim nächsten Mal wiederkommt und andere Leute mitbringt. Von Jahr zu Jahr sind es immer mehr geworden und darauf bin ich stolz. Vor allem, weil man als Independent-Künstler keine Unterstützung von den Major-Labels hat und nur auf die eigene Qualität und die Mundpropaganda zählen kann sowie auf fachkundige Berichterstattung. Bisher hat es ja super geklappt! Dafür bin ich dankbar.

Interview Parov Stelar 2018
19. März 2018 - 13.13

Hallo