„Ich glaube an die Kraft des Theaters“

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Carole Lorang wird neue Direktorin des Escher Schauspielhauses.

Fast jeder kennt den Partykracher, der häufiger mal als „Reise nach Jerusalem“ bezeichnet wird (obwohl dieser Titel wohl im Moment eher weniger einladend klingt). Daher sei nun stellvertretend der Terminus „Stuhl-Polonaise“ gewählt und auf eben jenes Gesellschaftsspiel verwiesen, bei dem um einen Stuhlkreis herum getanzt wird, bis die Musik ausgeht. Wer dann nicht sitzt, ist raus. Im Laufe des Spiels verschwinden immer mehr Stühle und es muss darauf geachtet, dass niemand einem die Sitzgelegenheit unter dem Gesäß wegschnappt. All dies ruft bestimmte Bilder der vergangenen Gemeindewahlen in Esch wach. Ebenso fühlt man sich aber auch an das derzeitige belebte Stühlerücken in der Kulturszene der Minettemetropole erinnert. Die Hintergrundmusik hat sich geändert und es werden neue Töne angeschlagen.

Im Rahmen dieser teilweise noch ungewissen Zukunftsmusik wurde gestern bekannt gegeben, dass Carole Lorang neue Direktorin des Escher Theaters wird, also einer wichtigen Kulturinstitution, die seit 1962 besteht. Gleichermaßen verkündete man freudig, dass somit ein wichtiger Eckpfeiler für das Kulturjahr 2022 gesetzt sei, da man dem Theater in diesem Kontext eine wichtige Rolle zugestehe. Ein großer Vertrauensvorschuss für die langjährige national wie international aktive Regisseurin, welche die Unruhen um Esch 2022 in den letzten Wochen in den Medien mitverfolgt hat.

Gelassene Theaterchefin

Trotz Kenntnis der Sachlage befürchtet Carole Lorang nicht, bald über glühende Kohlen schreiten zu müssen: „Ich sehe das eigentlich ziemlich gelassen. Dass ich gerade jetzt dazustoße, kann Chancen bieten, denn ich bin nicht vorbelastet und war bisher nicht in diese Prozesse impliziert. Nun habe ich die Möglichkeit, Vorschläge zu machen und vielleicht auch eine gewisse Ruhe mit einzubringen.“

Letztere vermittelt die erfahrene Künstlerin definitiv, denn sie gab sich weder Uto- noch Dystopien hin, während sie die Pläne für jenes Haus präsentierte, in dem vor ihr Joseph Wampach, Guy Wagner, dann Philippe Noesen und zuletzt Charles Müller die Geschicke leiteten. Der Schöffenrat der Gemeinde Esch betonte bei der Bekanntgabe mehrfach, dass nun mit Lorang die erste Frau die Leitung im Escher Theater übernehme. Bereits im vergangenen Jahr hatte die junge Luxemburgerin die Nachfolge einiger Männer, als neue Präsidentin der „Theaterfederatioun“, angetreten; Grund für diese Wahl war aber sicherlich nicht ihr Geschlecht: „Als die Stelle am Theater ausgeschrieben wurde, sah ich mir an, welche Kompetenzen erforderlich waren und welche Bedingungen erfüllt werden mussten. Ich stellte fest, dass ich dem gerecht wurde.“ Und dies hat sich wohl bestätigt. Einstimmig.

Eine Begegnungsstätte

Carole Lorang möchte künftig Menschen bespielen, die sonst eher selten den Weg ins Theater finden. Dies klingt nach einem frommen, vor allem aber nicht selten gehörten Wunsch. Luftschlösser gehören jedoch nicht zu Lorangs Expertise. Sie bringt einen Erfahrungsschatz mit, der vor Naivität schützt und Handlungsgeschick beinhaltet. Carole Lorang lebte und arbeitete nicht nur zehn Jahre in südlichen Gefilden, sondern hatte im Rahmen mehrerer künstlerischer Projekte auch schon mit Akteuren aus ganz unterschiedlichen sozialen Milieus zu tun. Unabhängig von deren Herkunft stellte sie fest: „Es hat immer etwas mit den Menschen gemacht.“

„Es“ ist natürlich das Theater und diesem ist sie nicht etwa verfallen, sondern sie hält es für ein wichtiges Fundament: „Ich glaube an die Kraft des Theaters und bin davon überzeugt, dass es ein wichtiges Werkzeug ist, um die Kreativität eines Menschen zu fördern.“ Carole Lorang erscheint es daher sehr wichtig, die Jüngsten in der Gesellschaft frühestmöglich an diese Kunstform heranzuführen. In Esch soll nun auch verstärkt in diese Richtung gearbeitet werden: „Ich weiß, dass wenn Kinder das von Anfang an mit auf den Weg bekommen – an Kursen teilnehmen, lernen, sich auszudrücken und solidarisch zu sein sowie Verantwortung zu übernehmen –, das auch für ihr späteres Leben und ihre berufliche Laufbahn eine große Bedeutung haben kann.“

Kinder in Kontakt mit Künstlern bringen

Carole Lorang ist davon überzeugt, dass dies die persönliche Entwicklung nachhaltig beeinflussen kann: „Denn wenn man als Kind in Kontakt mit Künstlern war, selbst bei einem Theaterstück mitmachen konnte oder Theaterstücke gesehen hat, dann ist man sensibilisiert. Wenn sich das etabliert in der Kindheit und der Jugend, dann geht man selbstverständlich weiter ins Theater als Erwachsener, deswegen ist es sehr wichtig, dass wir dort anfangen.“

Um das Theater aber nicht nur für die Kleinen zugänglich zu machen, schöpft Carole Lorang unter anderem aus dem, was sie als Studentin und junge Regisseurin in Belgien erleben durfte: „Die Theater, in denen ich dort arbeitete oder mich aufhielt, waren, ob groß oder klein, keine schönen Kulturpaläste. Es handelte sich um einfache Orte, bei denen sich jeder trauen durfte, sie zu betreten. Man kam in seiner Alltagskleidung rein, konnte etwas essen oder trinken und einfach Zeit dort verbringen. Wir müssen auch hier in Esch versuchen, das Theater nicht zu einer Burg werden zu lassen. Es soll ein offener, gemütlicher Raum sein, in dem man sich wohlfühlen kann, der zu einem normalen Bestandteil des Alltags wird.“

Grenzüberschreitung

Den Standort Esch hält Lorang nicht zuletzt auch wegen der Grenznähe für geeignet: „Denn wo Grenzen sind, können auch welche überschritten werden.“ Sie hält nicht nur die Großregion für ein spannendes Arbeitsfeld, sondern möchte auch innerhalb des Landes Grenzen aufbrechen. Allzu oft verfahre man laut der neuen Theaterdirektorin nach einem bestimmten Schema X, ohne es zu hinterfragen: „Wir haben uns daran gewöhnt, immer wieder das gleiche Rezept anzuwenden: Wir haben ein bestimmtes Budget, proben sechs Wochen, haben drei Personen auf der Bühne und dann spielen wir dreimal.“ Gerade in dieser sich immer wiederholenden Vorgehensweise liegt für Carole Lorang die Krux: „Mir ist wichtig, dass wir hier in Esch gemeinsam überlegen, wie wir anders produzieren können, sodass Projekte ein längeres Leben haben können, vielleicht sogar über ein Jahr bestehen und dann auch ins Ausland exportiert werden können.“

Ihrer Auffassung nach würde sich dies ebenfalls positiv auf die Künstler und Künstlerinnen auswirken: „Den Künstlern oder dem Kollektiv geben wir so auch die Möglichkeit, Dinge auszuprobieren. Dadurch, dass sie anders produzieren, arbeiten sie auch anders.“ Ebenfalls möchte sich Carole Lorang verstärkt für Professionalisierung einsetzen, um einen professionellen Rahmen für professionelles Arbeiten zu schaffen.

Rahmenbedingungen auf kommunaler Ebene

Diese Rahmenbedingungen müssen aber auch auf kommunaler Ebene gegeben sein. Pim Knaff betonte bei der gestrigen Pressekonferenz, dass Lorang unter anderem dadurch überzeugte, dass sie bestimmte Probleme sofort erkannt habe.

Nun hätte es weder den Kulturschöffen noch eine neue Direktorin gebraucht, um herauszufinden, dass das Escher Theater zum Beispiel darunter leidet, dass der Kommunikationsposten inexistent ist. Carole Lorang möchte hier Abhilfe schaffen und hat klargestellt, dass es ohne einfach nicht gehen wird: „Es müssen auch noch ganz andere Ideen her. Nur Marketing und Public Relations reichen nicht. Ebenso zählt auch eine bestimmte Art von Mediation, und das verlangt kreative Köpfe und ein funktionierendes Team.“

Ab März wird Lorang einerseits mit Charles Muller zusammenarbeiten, der seine volle Unterstützung zugesagt hat. Andererseits wird die neue Direktorin verschiedene Akteure aus der Region, der Gemeinde sowie diverser Institutionen aufsuchen, um herauszufinden, wo Synergien möglich sind. Wenn sie das potenzielle Publikum erst mal kennen gelernt habe, gehe es vor allem darum, „auf der Bühne in Esch auch das zu verhandeln, was in Esch passiert.“

Zu guter Letzt dürfe nicht vergessen werden, dass „Theater ein Ort ist, an dem experimentiert werden soll. Davor dürfen wir keine Angst haben.“