Gedanken-Tango und Ideen-Walzer

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Das „collectif Dadofonic“ läd zum kreativen Tanz

In einer offenen Probe präsentierte das künstlerische Projekt der Ligue HMC am Freitagabend das sich in der Entwicklung befindende clowneske Musikstück „Häerzgeflüster am Tangoschrëtt“ und verlangte ehrliches Feedback. Das es dann auch bekam.

Unverhofft kommt oft. So zumindest beim „collectif Dadofonic“, also den derzeitigen Hausherrinnen und -herren der Künstlerresidenz im Merscher Kulturhaus. Dort wurde nämlich die Bühne zu einer „Bambu-Bar“ umgewandelt, in der das Publikum schnabulierend, ähnlich wie bei einem Thé dansant, das Geschehen aus nächster Nähe beobachten konnte.
Wie die Konvention es vorsieht, waren die neugierigen Blicke der Zuschauer zu Beginn der Veranstaltung nach vorne gerichtet. Es sollte sich jedoch schnell herausstellen, dass bei den Dadofonicern Konventionen da sind, um gebrochen zu werden, und somit wurde ein Perspektivwechsel erforderlich. Denn die verschiedenen Künstler betraten das Geschehen nacheinander, aus der hinteren Ecke des Saals kommend, und zwar jeder auf seine Art, in seinem Tempo und mit seiner ganz persönlichen Note.

E Stéck iwwert d'anescht sinn: WATT ELO from collectif DADOFONIC on Vimeo.

Während die Rolle des einen implizierte, galant Handküsse im Publikum zu verteilen, würdigte die Diva in Puffrock und Sneakern (beide in einem fabelhaft indezenten Pink gehalten) ihr Umfeld keines Blickes. Ein weiterer Künstler nahm einen Gehstock zur Hand, um als absolut überzeugendes Fred-Astaire-Double hineinzutanzen. Ebenfalls glaubwürdig war ein junger Herr, der in seinem zärtlichen Umgang mit seinem Schal an Xavier Bettel erinnerte.

Allein schon diese Eingangssequenz brachte zwei von vielen Stärken des Künstlerkollektivs auf den Punkt: Die Dadofonicer, ihrerseits Experten für unterschiedlichste Felder im Bereich der bildenden Künste, verstehen es, mit einer ordentlichen Portion Humor darauf aufmerksam zu machen, dass ein regelmäßiger Positionswechsel dem Kopf guttut und die Sichtweise nachhaltig verändern kann. Gleichermaßen bringen die Künstler es immer wieder fertig, raffinierte gesellschaftliche Porträts im Rahmen ihrer Performances zu zeichnen, in denen das Anderssein stets als Trumpf und nicht etwa als Schwäche dargestellt wird. Das Publikum wird auf die Tatsache gestoßen, dass der Begriff „normal“ reine Auslegungs- und Ansichtssache ist und somit hinterfragt werden sollte. Die scharfe Analyse kommt jedoch nicht todernst daher, sondern die Realität wird mit einem verschmitzten Grinsen in Angriff genommen. Diese Haltung zieht sich wie ein roter Faden, über den die Profis zu keinem Moment stolpern, durch das ganze Stück sowie die Arbeit des „collectif Dadofonic“ im Allgemeinen.

Nicht nur Liebeslieder

Bei „Häerzgeflüster am Tangoschrëtt“, das in Zukunft unter anderem unter freiem Himmel aufgeführt werden soll, fliegen Kuchen in Gesichter, während die Klobürste im Takt auf die Trommel schlägt. Neue Liebschaften werden herbeigesungen und alte Liebe verklingt. Es wird geneckt und geliebt, häufig singend, fast immer tanzend.

Der junge Fräncki Friederich lässt in seiner Rolle als Sänger und Bandleader Francesco Frissimo Olio Galanti ganz schön alt aussehen. Mit stolz geschwellter Brust und aus voller Kehle singt er beispielsweise zur Melodie des Dschungelbuch-Hits „Ich wär so gern wie du“: „Wëlls du wëssen, wien ech sinn, ech kann dir sou villes ginn, ech sinn e Mënsch, sou e Mënsch wéi s du.“ Schon diese wenigen Zeilen zeigen, dass das Kollektiv nie nur unterhalten, sondern auch zum Nachdenken anregen möchte.

Gleiches gilt für das Lied „Natascha“, seinerzeit als Fastnachtssong von Fausti interpretiert. Fräncki singt hier von seiner neuen Flamme, die dem Alkohol leider stärker verfallen ist als ihm und folglich mehr Zeit in der Bambu-Bar als zu Hause verbringt. Der Text ist witzig und sorgte am Freitag beim Publikum für viele laute Lacher, und doch ist die erzählte Geschichte aufgrund ihrer Realitätsnähe traurig.

Genretechnisch ist dieser besondere Tanztee breit aufgestellt, da neben Swing auch Walzer, Tango und Salsa aufs Tanzparkett gebracht wird. Das Publikum ist stets mittendrin, statt nur dabei. Nicht zuletzt auch, weil die Dadofonicer auf die Zuschauer zugehen und zum gemeinsamen Tanz auffordern.

Gekonnt aus der Reihe getanzt

Die dargebotene Hand ist ein helfende. Denn bei diesem Kennenlerntanz führen eben die Menschen, die von anderen als „behindert“ bezeichnet werden. Durch ihre sehr offene und herzliche Art machen sie gekonnt klar, dass man nicht behindert ist, sondern behindert wird. Eric Falchero ist als Musiker mit auf der Bühne und hat für sich festgestellt, dass sogenannte „Einschränkungen“ keine Rolle spielen, wenn ihnen schlicht und ergreifend keine zuspricht: „Beim collectif Dadofonic sind einige Künstler dabei, bei denen ich mich frage, worin ihre angebliche Behinderung eigentlich bestehen soll. Ich kenne Menschen, denen dieses Etikett nicht aufgezwungen wird, die sozusagen als normal bezeichnet werden, die jedoch vielleicht besser in einem ‚atelier protégé‘ aufgehoben wären als die Personen, mit denen ich hier zusammenarbeite.“

Zudem verschwimmen laut Falchero auf der Bühne ohnehin unnötige Grenzen: „Im Stück sind drei Personen dabei, die keinen Behindertenstatus haben. Aber spielt dieser Unterschied überhaupt eine Rolle fürs Publikum?“ Außerdem stört sich der Musiker an der blinden Kategorisierungswut mancher Mitmenschen: „Behinderung findet in erster Linie im Kopf statt. Ich kann nicht nachvollziehen, dass nach bestimmten Skalen gemessen werden soll, ob jemand behindert ist oder nicht. Ich für meinen Teil sehe die Mitglieder des collectif Dadofonic einfach als Arbeitskollegen.“

Zu diesen Kollegen gehört auch Cristiano Dias Andrade, er hört nicht, aber das tut hier nichts zur Sache, denn man tanzt schließlich nicht mit den Ohren. Cristiano ist ein begnadeter Tänzer und lässt dementsprechend seine Bewegungen für sich sprechen. Frei nach dem Motto des bereits erwähnten Fred Astaire: „Tanz ist Esperanto mit dem ganzen Körper.“

Zukunftsmusik

Wer das Projekt, das seit 2010 besteht, schon länger begleitet, stellt spannende Entwicklungen und Veränderungen bei den einzelnen Künstlern fest. Jede neue Performance fördert auch neue Talente zutage. Hier sind wahre Profis am Werk, und zwar nicht nur im übertragenen Sinne. Während, gerade im Bereich der bildenden Künste, viele Künstlerinnen und Künstler in Luxemburg freischaffend unterwegs sind und nicht selten mit schwierigen, unsicheren Arbeitsbedingungen zu kämpfen haben, ist das Kollektiv Dadofonic die einzige in Vollzeit tätige professionelle Künstlertruppe im Großherzogtum.

Das lange Training scheint sich gelohnt zu haben, denn das vom Publikum gewünschte Feedback fiel sehr positiv aus. Schon während der Vorführung hatte das Team viel Applaus und Lacher kassiert, aber auch beim Gespräch nach dem Stück gab es reichlich Lob. Neben vielen anderen Gästen unterschiedlichster Couleur waren auch zwei Gruppen aus Wohnprojekten der Ligue HMC gekommen, um ihre Freunde zu sehen. Bei der Feedback-Runde ließen sie ihrer Begeisterung freien Lauf. So zum Beispiel Fernand aus dem „Millebaacher Haus“, der als erfahrener Tänzer keine Berührungsängste hatte: „Wenn sie zum Tanz baten, habe ich mich immer wieder mitreißen lassen.“ Auch Anni ging voll mit: „Mir hat die Musik besonders gut gefallen, häufig habe ich auch mitgeklatscht.“ Joëlle wollte nicht tanzen, bewies jedoch vollen Körpereinsatz beim Schunkeln. Sandra fasste den gelungenen Abend kurz und bündig mit einem „wierklech tiptop“ zusammen. Das neue Stück kann sich also durchaus zeigen lassen.

Nun gilt es nur noch, dem Kollektiv Dadofonic „bonne merde“ zu wünschen. Für künftige Projekte, aber auch weil mit Dagmar Weitze eine langjährige wichtige Begleiterin und kompetente künstlerische Leiterin das Projekt verlassen musste. Das Coaching des Teams obliegt derzeit also nur dem Erzieher Claude Englebert, der von der spanischen Freiwilligen Jessica Frutos unterstützt wird. Aber die Dados haben schon mehr als einmal Durchhaltevermögen und Mut bewiesen, deswegen werden sie sicher auch diese Herausforderung meistern.

Borruto Brigitte
14. November 2017 - 21.21

Bonjour. Je suis maman d un jeune artiste du Collectif Dadofonic. J ai vu votre article,qui paraît il est bien écrit, mais malheureusement je ne le comprends pas car je parle français. Y a t il moyen d avoir une traduction.? Merci beaucoup