„Friedinger“: Vom Autor zum Protagonisten

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Sommerlektüre (2): Zehn alternative Vorschläge für den Strandurlaub

Von Elisa Leclerc

In unserer diesjährigen Sommerserie stellen wir zehn Bücher vor, die die Langeweile am Strand vertreiben sollen, ohne dabei anspruchslos zu sein. Weg von schnöden Liebesromanen und Pseudothrillern!

Stefan Kutzenberger, gebürtiger Linzer, schreibt einen Roman über Stefan Kutzenberger, ebenso gebürtiger Linzer, aber nicht über sich selbst: In seinem Debütroman „Friedinger“ wird der Kunstgriff der biografischen Illusion gekonnt auf die Spitze getrieben. Schaut man sich den Werdegang des österreichischen Autors an, so finden sich zahlreiche Parallelen zu seinem Romanhelden, dessen Namensverwandtschaft nur eine von vielen ist: Beide als Kurator und Universitätsprofessor in Wien tätig, beide verbunden durch eine Affinität zur Literatur, die vielleicht auch DAS große Hauptthema des Romans ist.

Die Berufung zum Schreiben möchte Kutzenberger, der Protagonist, nach unzähligen gescheiterten Versuchen zum Beruf erheben: Um sich den Ausflüchten in die Prokrastination zu entziehen, bekommt er von seiner Frau zum 45. Geburtstag einen Schreiburlaub auf Kreta geschenkt. Mit im Gepäck hat Kutzenberger drei unvollendete Romanideen, darunter auch die literarische Aufarbeitung des inzestuösen Josef Fritzl, die jedoch – zum Glück der fiktionalen Leserschaft– schnell wieder verworfen wird. Waren es in Wien jedoch der ständige Arbeitsstress oder das Familienleben, die Kutzenberger als Gründe für die schriftstellerische Unproduktivität verantwortlich machen konnte, so bleibt ihm in der Idylle der griechischen Insel nicht viel übrig, als zu schreiben – er tut es letztendlich trotzdem nicht. Neben der langbeinigen Französin Clelia, die Kutzenberger in der griechischen Pension kennenlernt, und deren Name, um das Thema der Literatur wieder einzubringen, von Stendhals „La Chartreuse de Parme“ inspiriert ist, trifft er dort auch auf die Romanfigur Friedinger, „unglücklicherweise“, wie Kutzenberger schreibt, auch ein Österreicher, schließlich gäbe es im Urlaub nichts Schlimmeres, den Spiegel der eigenen Nation vorgehalten zu bekommen.

Literatur und Totschlag

Dieser erzählt Kutzenberger in nächtlicher Trunkenheit von einem österreichischen Politskandal der 70er Jahre, welcher diesen nun wieder einholt. Am Ende kehrt Kutzenberger nach Wien zurück, zwar ohne Roman, dafür aber kurz vor dem Ehebruch stehend, und verwickelt sich dabei in den Politeklats Friedingers, welcher mit verbotenen Waffenlieferungen beginnt und mit einem unverhofften Kunstskandal endetMit sehr viel Selbstironie stellt Kutzenberger seinen Romanhelden im Verlauf der Handlung bloß und drückt diesen letztendlich auch ganz zu Boden, was durch ein Fäkalunterfangen symbolisch untermalt wird. Die Erzählebenen befinden sich im ständigen Wechsel zwischen Gegenwart und Vergangenheit, zwischen Friedingers wirrer 70er-Jahre-Erzählung mit brisantem Mordfall und Kutzenbergers ebenso wirren Reflexionen über das Leben und die Literatur. Ob es sich bei dem Roman um einen Krimi handelt, steht letztendlich offen – es ist die Verbindung verschiedener Genreelemente und Handlungsstränge, die das Debütwerk letztendlich so unvorhersehbar machen. Trotz des ständigen Hin und Her liest sich der Roman leicht und flüssig, ohne dadurch jedoch an Spannung oder Niveau zu verlieren. Der Kretaurlaub wird mit Lobgesängen auf Kutzenbergers Lieblingsautoren kombiniert, was eine durchaus unterhaltsame Abwechslung ergibt.

„Friedinger“ beweist dabei wieder einmal, dass die österreichische Gegenwartsliteratur der deutschen in nichts nachsteht – auf die ehemalige Überlegenheit muss hier, mit Autoren wie Kafka, Schnitzler oder Bernhard nicht näher eingegangen werden. Was in der Filmindustrie mit Regisseuren wie Haneke oder Seidl jedoch mittlerweile längst anerkannt ist, dafür muss im Literaturwesen noch ein Bewusstsein geschaffen werden: Ein Grund mehr, dem anderen, kleineren und bergigeren deutschsprachigen EU-Mitglied, das aktuell eher aufgrund seiner politischen Annäherung an autoritär regierte Länder auffällt, auf der literarischen Bühne eine Chance zu geben.

Warum gehört der Roman mit ins Reisegepäck?

  • Weil der Roman durch wechselnde Erzählstränge nie langweilig wird: Mal findet man sich inmitten illegaler Waffenlieferungen und einem Mord wieder, mal auf den FKK-Stränden Griechenlands, mal in den Abhandlungen Kutzenbergers über das Wesen der Literatur.
  • Weil der Romanheld großes Identifikationspotenzial bietet: Er will Schriftsteller werden und fürchtet sich gleichzeitig vor dem Blatt Papier, hegt einen Traum, den er selbst ständig aufschiebt und ist somit gefangen zwischen Wollen und Tun. Kutzenberger kriegt von Kutzenberger das Fett weg, könnte man fast sagen, und dadurch, dass die Grenzen zwischen Fiktion und Realität verschwimmen, liest sich das Buch wie Nolans „Inception“: Ist „Friedinger“ am Ende das Ergebnis des Schreiburlaubs in Griechenland?
  • Weil das Buch mit Selbstironie und Galgenhumor auch ernstere Themen anspricht und auflockert.
  • Weil der Handlungsort Kreta Lust auf Urlaub, Ouzo und Strandwanderungen macht, und es schnell ersichtlich wird, dass die griechische Idylle nicht für einen produktiven Schreiburlaub taugt, dafür aber für spannende Lagerfeuergeschichten. Vielleicht wäre Kutzenberger in der Einöde einer deutschen Kleinstadt besser geholfen gewesen, aber wer würde das letztendlich lesen wollen?