Es begann mit sieben Noten …

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Luxemburger E-Geiger Chris Reitz schafft es ins Finale eines internationalen Kompositionswettbewerbs von Serj Tankian

Der Frontmann von System Of A Down, Serj Tankian, veranlasste 2017 die internationale „7 Notes Music Challenge“, an der 2.000 Musikerinnen und Musiker aus 65 Nationen teilnahmen. Auch ein Luxemburger, nämlich der E-Geiger Chris Reitz, reichte eine Komposition ein und rangiert nun unter den Finalisten.

Sie gehören neben Charles Aznavour (Cher und Kim Kardashian verdrängen wir an dieser Stelle lieber) zu den bekanntesten Diaspora-Armeniern der Musikwelt: System Of A Down haben nicht nur weltweit hauptsächlich die Generation Y mit ihrem unverkennbaren, sehr politischen, intelligent-wütenden Sound während der Nullerjahre geprägt, sondern sie gelten bis heute allem voran für junge Armenierinnen und Armenier als wichtige Band, die soziale Missstände nicht nur besingt, sondern die Musik als pazifistische Waffe gegen deren Verursacher richtet.

Die monumentalen Alben „Mezmerize“ und „Hypnotize“ liegen zwar mehr als zehn Jahre zurück, aber ganz ruhig wurde es nicht um die Band. Vor allem ihr Sänger Serj Tankian war mit Soloprojekten unterwegs und engagiert sich bis heute als eine Art poetischer Aktivist politisch.

Im vergangenen Jahr hat Tankian in Zusammenarbeit mit der Plattform „Creative Armenia“ eine internationale Challenge ins Leben gerufen, bei der er sieben Noten vorgab und mutige Musikerinnen und Musiker dazu aufforderte, davon ausgehend ein Lied zu komponieren. Genrebeschränkungen gab es hierbei nicht.

Serj Tankian erklärte in Bezug auf den Impuls für diesen Wettbewerb, dass musikalische Ideen selten in nur einem einzigen Menschen heranwachsen, sondern man es vielmehr mit einer Art kollektivem Bewusstsein für Musik zu tun habe, aus dem geschöpft werden könne. Der junge luxemburgische E-Geiger Chris Reitz (aka All Reitz Reserved) nahm diese spannende Herausforderung an und befindet sich nun unter den ersten 100 Musikerinnen und Musikern, welche die Chance auf weitaus mehr als „nur“ den Gewinn von 5.000 Dollar haben. Das Tageblatt hat mit ihm gesprochen.

Tageblatt: Du komponierst schon seit einer Weile deine eigenen Songs. Wie schwer war es in diesem Fall, mit lediglich sieben Noten als Ausgangsbasis ein Lied entstehen zu lassen?

Chris Reitz: Das Grundgerüst entstand recht schnell. Eigentlich entwickelten sich die meisten musikalischen Ideen aus eben dieser Vorgabe heraus. Ich sammelte anfangs Elemente, die gut mit der Vorgabe funktionieren. Dazu stöbere ich in der Regel gerne in „Sound Libraries“ und picke einzelne „Bausteine“ heraus. Das können einzelne Klänge, perkussive Elemente, Basslinien, Melodien oder Atmosphären sein. Man könnte diesbezüglich eine Analogie zur Malerei ziehen: Diese Elemente sind meine (Klang-)Farben und die Grundlage des Werks.

Natürlich werden diese im Laufe der Komposition aufbereitet und verarbeitet, Stichwort „Resampling“. Ich habe zum Beispiel des Öfteren Melodien rückwärts laufen lassen, um bekannte Klänge „aufzufrischen“. Während des Kompositionsprozesses „jamme“ ich auch immer wieder mit der Violine, nehme Teile auf und nutze sie. Vieles entsteht zufällig. Ich experimentiere sehr gerne, so findet mancher Klangunfall seinen Weg ins spätere Werk.

Der Beginn des Tracks, also die Vorlage, enthält traurigere Klänge. War es dir hier wichtig, die Stimmung zu wenden, oder wolltest du in diesem Modus bleiben?

Das stimmt, die vorgegebene Tonfolge bewegt sich in c-Moll und klingt zwangsläufig eher bedrückt. Ich habe aber bewusst entschieden, mich in der Folge nicht „in Tränen zu verlieren“. Es ist ein wenig wie im echten Leben. Manchmal passieren traurige Dinge – ich flüchte dann gerne in (sehr dunklen) Humor.

Daher habe ich versucht, die Stimmung etwas zu verklären und ein Stück weit ins Absurde zu treiben. Ich muss zugeben, dass das eher Eigeninterpretationen des fertigen Stückes sind. Ich komponiere oft mit wenig Hintergedanken und lasse mich von der Musik treiben, als dass ich versuchen würde, eine konkrete Idee musikalisch umzusetzen.

 

Die Regeln schienen relativ viel Spielraum zu geben. Half dir das oder erschwerte es eher den Findungsprozess?

Die größte Herausforderung war für mich tatsächlich, den Song auf weniger als drei Minuten Spieldauer zu beschränken. Ich musste im Laufe des Prozesses mehrere Male Teile kürzen oder ganz herausnehmen. Ich arbeite sehr gerne mit Klangflächen, die sich langsam ab- und aufbauen oder verändern.

Zwangsläufig entstehen dabei oft Stücke, die gut und gerne die doppelte Länge aufweisen. Es war also eine Erfahrung, die mir zum Teil auch die Augen geöffnet hat. Jeder Song hat seine eigenen Herausforderungen. Ich finde es allerdings sehr positiv, dass keine weiteren Einschränkungen vorlagen – das hätte womöglich die riesige Vielfalt an unterschiedlichen Ergebnissen eingeschränkt.

Wie stehst du zu Challenges an sich? Geben sie dir besonderen Antrieb? Ist das Messen an anderen ein wichtiger Punkt?

Ich bin kein großer Fan von Challenges, vom permanenten Wettstreit, „besser“ sein zu müssen – eigentlich der Hauptgrund, warum ich mich so weit vom klassischen Bereich distanziert habe. Ich hatte den Eindruck, es läuft viel stärker auf Wettkampf als auf Musikmachen hinaus.

Der Wettkampf ist ein Konzept, das im Sport wesentlich besser funktioniert als in der Kunst. Kunst gefällt oder eben nicht. Vor einigen Jahren sah man sich als Musiker/Band auch öfter mit Votings konfrontiert – es war in Mode, dass man sich jeden zweiten Gig mit einer Like-Sammel-Challenge verdienen musste.

Ich habe mir persönlich eine „Challenge“ gestellt, regelmäßig neue Musik zu schreiben, zu produzieren und zu veröffentlichen. Und ich arbeite (leider) am produktivsten mit Deadlines. In erster Linie war es für mich also eine gute Gelegenheit, relativ schnell nach der Veröffentlichung meiner letzten Platte „Electric Eclectic“ im vergangenen Oktober wieder anzufangen, Musik zu schreiben. Das finde ich extrem wichtig. Ich habe oft die Erfahrung gemacht, dass nach der Veröffentlichung einer EP oder eines Albums eine Art Vakuum folgt, eine Zeit, in der im Bereich Songwriting erst einmal Sendepause ist.

Die „7 Notes Music Challenge“ habe ich weniger als Challenge, besser sein zu wollen/müssen, wahrgenommen. Es war eine künstlerische Herausforderung, eine musikalische Idee auszugestalten. Für mich ging es ums Schreiben, nicht ums Gewinnen. Ich denke, es war vielmehr eine persönliche Challenge als ein Wettbewerb mit anderen. Ich habe bereits einige Tracks gehört und bin begeistert, wie unterschiedlich die Werke sind. Von der klassischen Fuge über Singer/Songwriter bis zum Metal-Brett – einfach super.

Die Jury ist mit Größen der armenischen Musikszene besetzt (u.a. Serj Tankian, Sebu Simonian und Tigran Hamasyan). Wie stark hattest du dich zuvor mit Musikern aus diesem Land beschäftigt?

Ich muss zugeben, dass ich ein großer System-Of-A-Down-Fan bin, auch wenn meine eigene Musik das nicht unbedingt vermuten lässt. „Chop Suey“ ist einer der wenigen Songs, die ich mehr oder weniger richtig mitsingen kann – ich kann mir eigentlich keine Texte merken –, das tue ich dann auch lauthals, wenn ich zum Beispiel im Auto unterwegs bin.

Die armenische Musikszene war mir bis dato allerdings unbekannt. Es war im Grunde das erste Mal, dass ich mit diesem Land in irgendeiner Weise in Kontakt gekommen bin. Ich nehme an, einem Großteil der über 2.000 Teilnehmer ging es ähnlich. In diesem Sinne kann man die Challenge, denke ich, als Erfolg bezeichnen – auch aus armenischer Sicht. Serj Tankian hat meiner Meinung nach als Botschafter dieser Challenge und der armenischen Kulturszene gute Arbeit geleistet.

Tankian erklärt in einem Video zur Challenge, wie er die traurig klingenden Anfangsnoten visualisieren würde. Unter dem Titel „Violent Violins“ hat er das Bild einer Violine gewählt, die Harakiri, also eine rituelle Selbsttötung, begeht. Tankian gibt an, sie täte dies „in its realization that its music (voice) is now being used for harm (violence)“. Wie stehst du zu seiner Auffassung?

Ich bin kein Musik- oder Kunsthistoriker und begebe mich mit einem Interpretationsversuch wohl auf recht dünnes Eis. Ich denke, Musik oder alle Kunstformen im Allgemeinen besitzen durchaus Potenzial, Menschen zu beeinflussen. Sie verkörpern (und definieren zum Teil sogar) Ideale. Sie sprechen das Irrationale im Menschen an, wirken oft unbewusst und agieren auf der Gefühlsebene. Die Geschichte belegt leider mit einigen traurigen Beispielen, dass immer wieder der Versuch unternommen wurde, Kunst in den Dienst verdrehter Ideologien zu stellen.

Nun bin ich mir nicht sicher, ob Serj Tankian mit seiner Aussage einen bestimmten Sachverhalt anprangert oder ob es eher als allgemeine Mahnung zu verstehen ist, Kunst nicht in den Dienst anderer Interessen zu stellen. Und damit meine ich nicht einmal ausschließlich politische, sondern durchaus auch kommerzielle. Meiner Meinung nach kann man „Violent Violins“ durchaus als Kritik am Musikbusiness verstehen. Wir schreiben Hits für Radiostationen, Songs für Spotify-Playlists und geraten alle, da will ich mich überhaupt nicht ausschließen, in einen Strudel, der zu einem großen Teil durch marktwirtschaftliche Interessen geprägt ist.

Es ist nicht verwerflich, Musik zu schreiben oder schreiben zu wollen, die Geld einspielt. Auch Musiker müssen essen. Dennoch scheint dieses ökonomische Motiv im (für manchen wohl blutigen) Konflikt zum klassischen „L’art pour l’art“-Esprit, also die Kunst um der Kunst willen, zu stehen.

Johannsen
13. Februar 2018 - 18.19

Natürlich beginnt's mit 7 Noten, mehr gibt's leider nicht.