Geburtstagsfeier im „Gudde Wëllen“Eine Kultkneipe feiert ihr fünfjähriges Bestehen

Geburtstagsfeier im „Gudde Wëllen“ / Eine Kultkneipe feiert ihr fünfjähriges Bestehen
Die Mitbegründer Luka Heindrichs und Ben Thommes im „Gudde Wëllen“ Foto: Julien Garroy/Editpress

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Drei Freunde eröffnen eine Bar – und schreiben eine der schönsten Erfolgsgeschichten der Luxemburger Hauptstadt. Der „Gudde Wëllen“ feiert heute sein fünfjähriges Bestehen. Zusammen mit Café-Mitbegründer Luka Heindrichs blicken wir auf fünf Jahre Erfolgsgeschichte zurück und analysieren den Einfluss dieser Kultkneipe auf die luxemburgische Kulturszene.

„Eine der seltenen Luftblasen der Hauptstadt“, meint Autor und Verleger Ian De Toffoli. „Nicht aus der Luxemburger Kulturszene wegzudenken“, versichert Elisa Baiocchi vom Inecc, die im „Gudde Wëllen“ das „Choraoke“ organisiert. „Ein perfekter Ort, um Neues auszuprobieren und zu erleben“, so Vibrafonist Ben Konen, der bereits mehrmals mit seiner Band Cluttered Clarity den Club bespielte. „Eine Inspirationsquelle, wo ich für wenig Geld qualitativ hochwertige Musik hören kann, ein Treffpunkt, wo ich mich mit anderen Musikern austauschen kann, ein alternatives Zuhause, das mit künstlerischem Esprit geleitet wird“, fügt George Goerens (Seed To Tree, Bartleby Delicate) hinzu. Einig sind sich fast alle: Gäbe es den „Gudde Wëllen“ nicht, wüsste man kaum, wo man die späten Stunden des Wochenendes verbringen sollte.

Tatsächlich ist der „Wëllen“ in Luxemburg einzigartig. „Es gibt keinen anderen Club in der Stadt, der eine solch dichte kulturelle Programmierung anbietet. Alle anderen Orte, die ein ähnlich reichhaltiges Programm anbieten, sind, abgesehen vom Atelier, Kulturinstitutionen“, so Luka Heindrichs. „Mittlerweile haben wir fast jeden Tag ein Event.“

Das schlägt sich auch auf die Besucherzahlen nieder. Wer an einem Freitagabend durch die leeren Gassen der Stadt zieht und sich nach Mitternacht fragt, wo es denn nun hingehen solle, landet meist im „Gudde Wëllen“, wo er sich dann erst einen Weg durch die Menschenmengen bahnen muss, um zum Eingang zu gelangen.

Expansion in den Straßen

Der „Gudde Wëllen“ ist nämlich so erfolgreich, dass seine Räumlichkeiten nicht wirklich ausreichen, um all diejenigen zu beherbergen, die hineinwollen. Anstatt die Menschentrauben dann mithilfe unfreundlicher Sicherheitsangestellten wieder loszuwerden, steht ein Teil der Kundschaft (sogar im Novemberwetter) draußen – wer sich wieder aufwärmen will, tauscht einfach den Platz mit all denen, denen es drinnen zu heiß ist oder die wieder mal eine Kippe brauchen.

Und wer gerade mal wieder Luc Schiltz telefonisch nicht erreicht, einen Autor für ein Drehbuch rekrutieren, mit einer Tänzerin eine letzte Choreografie durchdiskutieren will, geht einfach ins Café „Gudde Wëllen“. Eine Vielzahl an Kulturschaffenden versammelt sich dort am Wochenende, einige feiern die Uraufführung eines Stückes, andere verlagern die erfolgreiche Vernissage, noch andere besprechen Filme, Ausstellungen, existenzielle Krisen oder feiern einfach nur das Leben.

Unbeschwert, unkompliziert, familiär

„Die Kulturschaffenden merken wohl auch, dass es uns nicht darum geht, so viele Gin Tonics wie möglich zu verkaufen. Die meisten unserer Angestellten sind keine professionellen Barmänner oder -frauen. Einer ist Künstler, ein anderer ein Grafiker. Dadurch, dass das Team seit jeher aus (fast) den gleichen Menschen besteht, ergibt sich eine gewisse Familiarität.“

Es ist diese Familiarität, die Unkompliziertheit – „hier schaut dir niemand auf die Schuhe, wenn du reinkommst“ –, aber auch eine fast berlinerische Unbeschwertheit, die man leider sonst kaum irgendwo in der Hauptstadt findet (1), die den „Gudde Wëllen“ kennzeichnet – und dazu geführt hat, dass Luxemburg zwar einen „Café des artistes“ hat, die jungen Kulturschaffenden sich allerdings mittlerweile alle im oder vor dem „Wëllen“ tummeln.

Im „Gudde Wëllen“ ist Hedonismus kein Schimpfwort, sondern eine Lebensphilosophie, die der bürgerlichen Existenz einen kreativen Impuls entgegensetzt. Hier wird nicht (nur) die überstandene Arbeitswoche zelebriert oder dank des Rausches in die Vergessenheit gedrängt – hier treffen sich viele Menschen, die das geregelte Berufsleben verweigern.

„Als wir vor fünf Jahren anfingen, hatten wir zwar sehr wohl geplant, eine Kneipe aufzumachen, in der ordentlich was läuft. Aber wie das alles ablaufen würde, hätte ich mir im Traum nicht vorstellen können – allein, weil ich damals ja überhaupt keine Erfahrung im Gaststättengewerbe hatte. Als wir zu dritt anfingen, war Ben (Thommes) der Einzige, der etwas Erfahrung in einer Dorfkneipe gesammelt hatte. Das Einzige, was ich konnte, war, Partys und Konzerte zu organisieren.“

Lebensfragmente

Während des ersten Jahres lebten Ben und Luka in den Räumlichkeiten über der Kneipe. „Es war eine endlose Party. Wenn wir mal nicht im ’Wëllen’ waren, dann waren wir gerade einkaufen oder recycelten die leeren Flaschen. Wir haben hier geschlafen – und sehr oft auch nicht geschlafen. Vieles lernten wir aus Notwendigkeit, ganz nach dem Trial-and-Error-Prinzip. Irgendwann hat das Leben dann seinen Lauf genommen, Ben wurde Vater, ich zog aus, weil ich in einer Beziehung war. Aber auch heute ist längst nicht alles sauber getaktet und durchorganisiert. Es passiert nach wie vor, dass wir gegen 23 Uhr feststellen, dass der Rum alle ist – oder es keine einzige Kaffeebohne im ganzen Haus mehr gibt.“

Bei einem zweiten Projekt würde das Team viel präziser wissen, wie man vorzugehen hat. Trotz des sehr beachtlichen Erfolges hat man bisher keinen zweiten Club eröffnet. „Es gibt Ideen, wir haben Projekte, das alles ist aber Zukunftsmusik. Vor allem sehe ich mich nicht als Serial-Barmann, ich bin kein Filialleiter. Mir gefällt es, kulturelle Projekte auszuarbeiten, die irgendwann ihr Eigenleben entwickeln. Wie das ’Food For Your Senses’ oder der ’Gudde Wëllen’“, so Heindrichs.

Die vergangenen fünf Jahre bezeichnet Luka dann auch als Querschnitt durch verschiedene Existenzen – die der Mitgründer, deren Leben sich im Laufe der Jahre verändert haben, aber auch die derjenigen, die seit fünf Jahren fast wöchentlich im „Gudde Wëllen“ feiern – und bei der Ankündigung dieser fünften Geburtstagsfeier wohl die verschiedenen durchlebten Momente in der Kultkneipe Revue passieren ließen, um so ein fragmentiertes Narrativ einer Lebenssequenz zu erstellen.

(Inter)national

Auch die kulturelle Programmierung hat sich im Laufe der Jahre vervielfältigt. Anfangs gab es ein Konzert pro Woche, inzwischen gibt es neben mehreren wöchentlichen Konzerten Improvisationstheater, politische Veranstaltungen, Lesungen, Stand-up-Comedy. „Mittlerweile haben wir zwei Leute, die für das Organisieren der Kulturevents zuständig sind.“ Die beim „Food For Your Senses“ (hinter dem mehr oder weniger die gleiche Mannschaft steckt) gesammelte Erfahrung half natürlich: „Wir konnten den Konzertagenturen einen Auftritt im März im ’Wëllen’ und ein Open-Air-Konzert auf dem ’Food’ im Sommer anbieten, was attraktiver ist als bloß der Auftritt im kleinen Saal im ersten Stock. Aber selbst während der Jahre, wo das FFYS ausfiel, organisierten wir im Sommer Open-Air-Konzerte auf Bühnen in der Stadt, sodass dieses Doppelangebot weiterhin bestehen konnte.

Im Allgemeinen spielen hier mittlerweile meistens Bands, die es gewohnt sind, auf größeren Bühnen aufzutreten. Oft bieten wir die kleinste Bühne der Tour. Aber die Musiker geben den Agenturen Feedback, zeigen sich zufrieden, weil wir sie gut verpflegen und der Klang gut ist – und dann schlagen diese Agenturen uns andere Konzerte vor.

Natürlich gehört es auch zu unseren Aufgaben, die luxemburgische Szene zu unterstützen. Aber das bedeutet nicht, dass, nur weil du aus Luxemburg kommst und in einer Band spielst, wir uns verpflichtet sehen, dich bei uns auftreten zu lassen. Wir sind für den Großteil des Programms selbst zuständig – und da kommen unsere persönlichen Ansprüche an Relevanz und Qualität ins Spiel. Im Allgemeinen gilt: Die internationalen Bands, die hier passieren, geben dem jungen Luxemburger Musiker, der gerade mit seiner Band die ersten paar Auftritte hinter sich hat, einen Vorgeschmack davon, wo sie in fünf Jahren stehen können, wenn sie sich ordentlich ins Zeug legen und viel arbeiten – sie zeigen aber auch, wie viel Arbeit und Aufwand man leisten muss, damit ein Agent sich die Mühe gibt, dir eine Tour zu buchen. Durch die zahlreichen ausländischen Bands, die hier auftreten, dadurch, dass oftmals ein lokaler Musiker im Vorprogramm spielt, werden Agenturen auf die hiesigen Künstler aufmerksam – in dem Sinne sorgen wir auch für die Vernetzung der luxemburgischen Szene.“

(Piano) Boom Boom

„Für die Feierlichkeiten wollten wir dann auch ein Programm, dass dem, was wir machen, gerecht wird. Aus Platzgründen mussten wir uns auf die musikalische Komponente beschränken. Ein halbes Dutzend DJs, die quasi zum Inventar gehören, bringen die Menge zum Tanzen. Davor stellt der französische Künstler Mezerg sein neuestes Projekt, das den Namen ’Piano Boom Boom’ trägt, vor. Wie wir alle Menschen unterkriegen werden, das wird wieder mal eine Herausforderung sein. Wenn wir Sommerpause machen und feststellen, was alles repariert werden muss, wundere ich mich jedes Mal, dass das Haus noch steht.“

Am Ende der Nacht, wenn Ben Thommes mit seiner raubeinigen Stimme wieder „Feierowend“ brüllt, um auch die letzten Nachteulen zu verscheuchen, Ian De Toffoli sich unter einem Stuhl oder in der Ecke neben dem Zigarettenautomaten versteckt, weil er hofft, die After-Party im tollen Backstage-Bereich zu crashen und man sich schmunzelnd – und etwas widerspenstig – auf den Heimweg macht, weiß man, dass die leicht verpeilten Jungs des „Gudde Wëllen“ alles goldrichtig machen.

(1) „De Gudde Wëllen bietet zudem als einzige Kneipe Luxemburgs den Mexikaner-Shot, ein Hamburger und Berliner Kultgetränk, das nirgendwo so scheußlich schmeckt wie im Wëllen.