Die Geburtsstunde des Profilings

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Mit David Fincher hat Netflix sich für die Serienproduktion „Mindhunter“ einen der renommiertesten US-Regisseure an Bord geholt und damit ein altbewährtes Thema der Populärkultur heraufbeschworen: Serienmörder. Trotz unkreativer Namensgebung lohnt sich ein Blick in die düsteren 1970er, die Geburtsstunde des Profilings.

Von Elisa Leclerc

Die Populärkultur verehrt sie bereits seit Jahrzehnten, hält ihr Wesen in Büchern, Filmen und neuerdings auch in Serien fest: Die Rede ist von Hannibal Lecter, Dexter Morgan und Patrick Bateman, von sinnlos mordenden Menschen, die im Raum des Fiktiven eine besondere Faszination ausüben. Das belegen nicht nur die zahlreichen Horrorthriller à la Sebastian Fitzek, deren mit Kunstblut inszenierte Frauenleichen-Buchcover den Belletristikmarkt aktuell überfluten, sondern auch die heutige Serienlandschaft, welche die Psyche von Serienmördern ebenfalls gekonnt ausschlachtet und massentauglich macht.

Einer von diesen Filmemachern, die sich gerne des Reizes des Bösen bedienen, ist US-Regisseur David Fincher, der mit „Seven“ oder „Zodiac“ bereits bekannte Mörder auf die Leinwand gebracht hat und überhaupt eine Faszination für Soziopathen („Gone Girl“, „The Social Network“) und Außenseiter („Fight Club“) hegt. Mit „Mindhunter“ hat Fincher die Thematik nun erstmals in Serienform verarbeitet.

Psychopathen unter sich

Dabei wird bei „Mindhunter“ der Spieß jedoch umgedreht: Waren es zuvor die Serienmörder selbst, durch deren Augen das Publikum blicken durfte, so steht nun ein FBI-Agent namens Holden Ford (Jonathan Groff) im Mittelpunkt des Geschehens. Ford ist jung, ambitioniert (im Volksmund: ein Streber), sieht immer geschniegelt, quasi wie ein Emmanuel-Macron-Verschnitt, aus und versucht, die Methoden des FBI der 1970er-Jahre zu revolutionieren.

„Wie kommen wir den Verrückten zuvor, wenn wir nicht wissen, wie die Verrückten denken?“, fragt er und will, angeregt von einem Gespräch mit einem Flirt über Durkheims Etikettierungsansatz, eine Spezialeinheit gründen, die Serienmörder interviewen und somit die Abgründe ihres Wesens begreifen soll. Im reaktionären Amerika trifft sein Vorschlag allerdings nur auf irritierte Gesichter, Ablehnung und Verweise auf die Effizienz des elektrischen Stuhls.

Holden Ford ergreift daraufhin mit seinem älteren Kollegen Bill Tench (Holt McCallany), dessen Rolle trotz Potenzial leider nicht mehr hergibt als den erfahrenen Gegenpol zum durchtriebenen jungen Agenten und den einen oder anderen „Comic relief“Moment, die Eigeninitiative und interviewt den Serienmörder Edmund Kemper (Charles Manson war leider nicht zu haben, wie Ford enttäuscht feststellen muss).

Bei diesem handelt es sich um einen Zwei-Meter-Koloss, gespielt von Cameron Britton, der dem tatsächlichen Kemper dabei verblüffend ähnlich sieht und auf allen Ebenen eine überzeugende Darstellung zwischen Grauen, Sympathie und Mitleid abliefert.

Auf der Spur

Basierend auf der Erkenntnis, dass Edmund Kemper (und damit eben vielleicht auch andere Serienmörder) ein schwieriges Verhältnis zu Frauen hatte, lösen Ford und Tench anschließend einen Mordfall und kommen damit einem potenziellen Serientäter zuvor, die Spezialeinheit wird zugelassen und schon ist das Profiling geboren.
Zwei Serienmörder später nimmt Fords Interviewtechnik ethisch fragwürdige Dimensionen an, führt aber zu aufschlussreichen Erkenntnissen. Parallel wächst somit auch Fords Selbstüberschätzung.

Das Publikum sieht nun einen FBI-Agenten, der im Kampf gegen Serienmörder selbst Züge eines Psychopathen annimmt: Er ist durchtrieben, analytisch, manipulativ und die Prämisse, dass viele Serienmörder ein komplexes Verhältnis zu Frauen haben, scheint sich auch bei Ford zu bestätigen.

Neben der zentralen Frage, ob eine kriminelle Veranlagung tatsächlich existiert oder ob der Mensch vielmehr durch gesellschaftliche Rahmenbedingungen zum Mörder gemacht wird, kommen auch Zweifel darüber auf, ob es überhaupt möglich ist, das Wesen des sinnlos mordenden Menschen zu ergründen und diesem zuvorzukommen.

Diese Zweifel sind es jedoch, die an der Faszination des Grauens ihren Anteil tragen und auch Holden Ford dazu verleiten, sich in seinem Größenwahn dieser zu stellen: Der junge Agent ist davon überzeugt, mittels seiner Interviews dem Bösen auf die Spur zu kommen – wie einst Ikarus kommt jedoch auch Ford der glühenden Sonne zu nah und muss schließlich lernen, dass Serienmörder eben doch Menschen sind, deren Vorhaben und Wesen nicht in jedem Schritt berechenbar sind.

Neben einer interessanten Grundthematik und Entwicklungskurve Holden Fords, der sich vom braven Schoßhund des FBI zum Egomanen steigert, besticht „Mindhunter“ auch durch ein in Beigetöne getauchtes stimmiges Szenen- und Kostümbild, welches das Flair der 1970er-Jahre gekonnt einfängt und dadurch auch Nostalgie aufleben lässt.
Obschon das Seelenleben von Massenmördern das zentrale Thema der Serie ist, legt „Mindhunter“ darüber hinaus eindrucksvoll die reaktionäre Mentalität dar, die sich von amerikanischen Provinzstädten bis zu ranghohen FBI-Kommissaren erstreckt, und zeigt dabei die Opfer, die für den Fortschritt notwendig sind.