Der Umdichter

Der Umdichter

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Von unserem Korrespondenten Roland Mischke

Zum Autor

Roland Mischke wurde als Kind vertriebener Schlesier in Chemnitz geboren. Er studierte Evangelische Theologie und Germanistik in Berlin, volontierte bei der FAZ und arbeitete danach zwölf Jahre vor allem im Feuilleton dieser Zeitung. Danach gründete er mit Partnern einen Buchverlag und war nebenher als freier Journalist für Zeitungen und Zeitschriften im gesamten deutschsprachigen Raum tätig.

Der einstige Top-Manager und Steuerhinterzieher Thomas Middelhoff beschreibt sich in „A115 – Der Sturz“ als Romanfigur. Er will sein Leben neu deuten, verwendet dabei aber unverhältnismäßige Vergleiche. Die unglaubliche Geschichte ist dennoch lesenswert.

Es fährt keine Limousine vor, es steht kein Jet bereit. Thomas Middelhoff, 61, muss sich in seiner Zelle im Gefängnis in Essen nach seiner rechtmäßigen Verurteilung mit weniger abfinden. Einst war er Chef von Bertelsmann, dann von Karstadt, das er zu Arcandor umwandelte.

Er ist als kühner Firmenlenker aufgeflogen, hat zu viel Geld auf eigene Konten gescheffelt. Wegen Untreue in 27 und Steuerhinterziehung in drei Fällen ist er aus dem Verkehr gezogen worden. Hinter der Zellentür mit dem Namen A 115 ließ ihn das nicht in Ruhe. Er schrieb das Buch „A 115 – Der Sturz“, autobiografisch, aber als Roman angelegt.

Verteidigung in eigener Sache

Darin versucht er, sein Leben neu zu deuten. Er will der Welt ein anderes Bild von sich hinterlassen. „Jahrzehntelang bin ich um den Globus gejagt“, schreibt er, „auch mir selbst hinterher. Ich suchte wie ein Abhängiger die Anerkennung der Medien, den Zuspruch des Mentors, das Lob des Eigentümers. Das Bild von mir, das ich bei anderen oder in der Öffentlichkeit zeichnen wollte, hatte nichts mehr mit dem Menschen zu tun, der ich eigentlich bin.“

„Der Sturz“ ist ein Gefängnistagebuch, aber zugleich eine Verteidigungsschrift in eigener Sache. Middelhoff geht es nicht um die Wahrheit, sondern um seine Sicht. Er rechtfertigt sich, liefert eine unglaubliche Geschichte, die zu lesen sich lohnt.

Viele wird befremden, dass der einstige Multimillionär seinem Buch einen Satz aus dem biblischen Buch Hiob voranstellt: „Der Herr hat gegeben; der Herr har genommen. Gelobt sei der Name des Herrn.“ Zudem zitiert Middelhoff aus dem „Prozess“ von Franz Kafka: „Jemand musste Josef K. verleumdet haben, denn ohne dass er etwas Böses getan hatte, wurde er eines Morgens verhaftet.“ Das ist maßlos.

Mit der Kleidung schwindet die Identität

Es ist der Tag des Schuldspruchs. Middelhoff war sicher, dass er davonkam. Das Gericht verurteilte ihn, er wurde noch im Saal verhaftet. Und eine Wendeltreppe herabgeführt, „die mich in die Tiefe führt“. Das Mobiltelefon hat man ihm abgenommen, seinen Anzug muss er hergeben, er hat eine Gefängniskleidung anzuziehen. Seine noble Jacke wird in einen blauen Müllsack gestopft. „Krawatte und Hemd folgen, und mir ist, als würde mir mit jedem Kleidungsstück auch ein Stück meiner Identität und Ehre genommen“, heißt es.

Middelhoff soll das Buch ohne Ghostwriter geschrieben haben. Seine Verzweiflung und Einsamkeit unter Vollzugsbeamten und Mithäftlingen kann er detailgenau schildern. Weil manche Einsitzende ihm gegen Geld „Schutz“ anbieten, darf er nicht mehr am Hofgang teilnehmen. Der erste Friseurbesuch ist unerfreulich, er wird von einem tschetschenischen Pädophilen in Block C vorgenommen.

Unverhältnismäßige Vergleiche

Der überführte Katholik rettet sich ins Religiöse, betet und singt in zwei Gefängnischören mit. Im Gottesdienst darf er Fürbitten vorlesen. Auf einmal wähnt er sich in einer Klosterzelle. „Welche Zeichen will Gott mir mit dieser Inhaftierung geben?“, fragt er sich. Irgendwann kommt ihm der Gedanke, sich mit dem Theologen Dietrich Bonhoeffer zu vergleichen. Der saß unter den Nazis in einer Todeszelle. Middelhoff merkt nicht, wie unverhältnismäßig das ist.

Mehr noch: Beim Duschen reißen Mithäftlingen Judenwitze, Middelhoff fühlt sich aufgrund seiner „christlich geprägten Werte“ zum Widerspruch gemahnt. Er will den Witzereißer angefahren haben: „Solange ich im Raum bin, wirst du nicht solche Witze über Juden reißen.“ Die Knackis sind baff, der Supermanager ist stolz auf sich, glaubt aber, dass sie „mich jetzt zusammenschlagen, alle fünf“. Ein Vollzugsbeamter soll ihn gerade noch aus dem Duschraum geholt haben. Middelhoff sieht sich als Held, nicht als Verbrecher.