Der Traum von großen Wänden

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Die Geschichte, wie die Graffitikultur Luxemburg eroberte, hat unmittelbar mit der Geschichte von Sumo, Spike und Stick zu tun. Janina Strötgen

Sie beginnt vor ungefähr fünfzehn Jahren, als Sumo und Spike gemeinsam zur Schule gingen, zufällig nebeneinander saßen und von den Kritzeleien, oder Buchstaben in den Schulheften ihres Tischnachbarn begeistert waren. Schnell entdeckten sie ihre gemeinsame Leidenschaft fürs Malen. Aus Zufall sind sie dann einmal auf ein Schweizer Kunstmagazin gestoßen, aus dem sie lernten, dass ihre Kritzeleien Graffiti und ihre aneinander gereihten Buchstaben Tags heißen. „Wir machten Graffiti und wussten gar nicht, was Graffiti sind“, erinnert sich Sumo. „Die Graffiti-Kultur ist so geboren, aus dem Nichts“, fügt Spike hinzu. Einige Jahre später, bei einem Schulausflug nach München, entdeckten sie dann in U-Bahn-Unterführungen, an Häuserfassaden oder unter Brücken metergroße Graffiti voller Charaktere, Buchstaben und Farben. Ihr Traum von Spraydosen und verlassenen Wänden war geboren. Nachdem sie es dann – wieder zurück in Luxemburg – irgendwie geschafft hatten, an Spraydosen heranzukommen und mittlerweile Stick kennen gelernt hatten, machten sie sich auf die Suche nach geeigneten Orten und probierten sich aus. Zu Beginn noch jeder für sich und immer auf der Hut, sich nicht erwischen zu lassen. „Wir sind wie Sand im Getriebe“, beschreibt Spike seine Motivation. „Graffiti stehen für Freiheit, wir sagen der Gesellschaft: Ihr könnt noch so viele Wächter aufstellen, wir sprayen trotzdem“, sagt Stick. „Und natürlich ist Luxemburg auch nicht London“, relativiert Sumo. Denn während seines Aufenthaltes auf der Insel hatte er nicht nur Angst vor der Polizei, sondern vor allem auch vor anderen Gangs, die Fremdsprayer in ihrem Revier nur bedingt tolerierten. In Luxemburg hingegen befinden sie sich nicht nur in ihrem Revier, sondern sind zudem eher auf Sympathie, denn auf Ablehnung gestoßen. Ihre Geschichte klingt schon beinahe nach einer Erfolgsstory für Street Art. Dank der Unterstützung eines städtischen Jugendhauses bekamen sie bereits 1997 erste Wände in der rue de Strasbourg gestellt, auf denen sie ganz ohne Zeitdruck und ohne Angst, erwischt zu werden, ihrer Kreativität freien Lauf lassen konnten – schließlich sprühten sie dort nicht mehr illegal. Schnell hatte sich die rue de Strasbourg als angesagter Treffpunkt der Hip-Hop-Szene herumgesprochen. Bereits im selben Jahr fand dort dann der erste Luxemburger Jam statt, eine Hip-Hop-Party, bei der versucht wird, die vier Elemente des Hip-Hop an einem Abend zu vereinen. Rapper, DJs, Breakdancer und Sprayer nicht nur aus Luxemburg, sondern auch aus dem benachbarten Ausland fanden sich ein, um gemeinsam die Kultur des Hip-Hop zu feiern. Doch als dann einige Jahre später das alte Gelände in der rue de Strasbourg restauriert werden sollte, und Bulldozer nach und nach die besprühten Wände dem Erdboden gleich-machten, musste ein neuer Treffpunkt her.

40 Sprayer verschönern Hollerich

Ein Jahr später entstand auf dem Gelände des ehemaligen Schlachthofs in Hollerich ein Skatepark. „Wir konnten Bisi, einen Skater, der in Hollerich arbeitete, davon überzeugen, dass durch uns der Park nur verschönert werden kann“, erinnert sich Spike. Bisi sprach mit der Stadtverwaltung, bekam die Genehmigung für einige Wände und zeigte sich, auch nachdem die ersten Wände besprüht waren, äußerst offen. „Ihr könnt ja auch die Außenwände besprühen, wenn es Ärger gibt, dann malen wir sie eben wieder weiß. Gesagt, getan! Über Mundpropaganda versammelten sich in Hollerich an die 40 Sprayer aus allen Ecken des Landes und der Großregion und hinterließen ihre Botschaften. Mittlerweile hat sich der alte Schlachthof in Hollerich zu dem Treffpunkt der Graffitikunst Luxemburgs gemausert. Wände werden besprüht, und übersprüht und wieder übersprüht. Das ist das Schicksal der Graffiti: Sie sind vergänglich. Dennoch herrschen klare Regeln in Hollerich: „Wenn du etwas übersprühst, suchst du dir das Schlechteste heraus, deins muss besser werden, als das vorherige“, erklärt Spike. Doch hören echte Sprayer niemals auf, auch illegal zu sprühen. Sie suchen sich ein Plätzchen, leben ihre Freiheit und beweisen der Welt: „Ich bin da gewesen und du hast mich nicht gesehen!“