Der Tanz der Einsamen

Der Tanz der Einsamen

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Am 21.4. fand die Uraufführung von „Unruhe“ im Theater Trier statt – inszeniert und choreografiert von Hannes Langolf, war es das letzte Stück unter der künstlerischen Leitung von Susanne Linke.

Das kleine Wörtchen ‚ungewöhnlich‘ ist ein treffendes Wort für die Vorstellung, die den Freunden des Tanztheaters in Trier am Samstag geboten wurde. Anders als das Wort ’seltsam‘, dessen Ausspruch stets einen faden Beigeschmack mit sich führt, meint ‚ungewöhnlich‘ zunächst einmal nichts anderes als Dinge, die sich fernab des Gewohnten bewegen, die eines zweiten, vielleicht prüfenden Blickes für würdig befunden werden und aufgrund ihrer Andersartigkeit eine gewisse Faszination beim Betrachter hervorrufen.

Ungewöhnlich ist zum Beispiel die Stringenz der Handlung, die beim Tanztheater doch in der Regel dazu neigt, hinter dem Figurativen und dem Ausdruck in den Schatten zu treten. Nicht weniger ungewöhnlich ist die Entscheidung, Fernando Pessoas Buch der Unruhe konsequent als Leitmotiv der Vorstellung zu konzipieren – eine Erzählerstimme liest zwischen den einzelnen Szenen Zitate und Passagen des Werkes vor und errichtet eine metaphysische Kuppel, unter der sich die dramatisierten Einzelschicksale in ihrer Einsamkeit zusammenfinden. Der portugiesische Autor ist auf deutschen Bühnen bislang nur als Randnotiz in Erscheinung getreten.

Langolf hat das Stück auch als eine Selbstreflexion des Theaters inszeniert – Ort der Handlung ist die Hinterbühne eines Schauspielhauses während der Proben vor einer großen Aufführung. So trägt das Stück seinem Titel Rechnung, denn die Unruhe ist förmlich greifbar. Die Schauspieler hetzen unter dem despotischen Regisseur über die Bühne, die Regieassistentin ist der Willkür der Launen ausgesetzt und am Ende so ausgewrungen wie der Lappen der Putzfrau, die tunlichst auf die Reinlichkeit der Kulisse achtet und dabei selbst dem Radio lauschend ihren Träumen nachhängt. Obwohl alle Figuren aufeinander angewiesen sind, versumpfen sie in ihren individuellen Mikrokosmen, die ihren Ausdruck nicht zuletzt in den inkompatiblen Tanzstilen der Einzelnen finden. Wenn denn Intimität zustandekommt, so ist sie entweder erzwungen oder fragil.

Zum einen drängt sich der Regisseur mit seinem Mikrofonphallus der Hauptdarstellerin auf und lässt keinen Zweifel daran, wer das Sagen hat. Zum anderen wird die ehrlich erscheinende Zweisamkeit zwischen Hauptdarsteller und Hauptdarstellerin unterbrochen vom Pizzalieferanten, der zum voyeuristischen, vulgären Paparazzo mutiert und stumpf seine Handykamera auf das Geschehen richtet. Der Liebhaber weicht zurück, geht auf Distanz – und im Rampenlicht bleibt die Frau stehen, verletzt und entblößt zieht sie alle anklagenden Blicke auf sich, sie, die sich geöffnet hat, um der Einsamkeit zu entfliehen.

So verhandelt das Stück auch aktuelle Debatten, die nicht zuletzt seit der Diskussion um Dieter Wedel ihren Weg auch in die deutsche Theaterszene gefunden haben. #MeToo, Slutshaming, Voyeurismus und Selbstdarstellung sind die Themen, die mal gestreift, mal plakativ aufgegriffen werden. Und auch wenn eine Reflexion des Theaters aktuell nicht an diesen Elefanten vorbeikommt, so ist die Umsetzung doch eine der wenigen Schwachstellen, die Langolfs fast makellose Inszenierung verunzieren.

Zu aufdringlich, zu moralisierend, zu klar stechen sie aus der fieberhaften Unruhe hervor, haben als Statements ohne Zweifel ihre Berechtigung, doch wirken im Gesamtbild wie notdürftig eingefügt, geradezu fehl am Platz. Natürlich muss das Stück die Frage problematisieren, wie die individuelle Einsamkeit durchbrochen werden kann, doch die derzeitigen Buzzwords des Feuilletons sind brüchige Sprossen, wenn man die Leiter in die Abgründe von Pessoas Denken hinabsteigen möchte. Daneben ist das platte Symbol des Luftballons für Träume und Hoffnungen fast noch zu verschmerzen.

Dennoch hebt sich das Stück wohltuend von vielen Produktionen ab und brilliert durch seine Unvergleichbarkeit im Tanztheater der Region. Es steht am Ende einer Reihe von brillanten Produktionen, die unter Susanne Linkes Leitung im Theater Trier inszeniert wurden und ist den Ausflug nach Trier allemal wert – auch und gerade für Neulinge im Tanztheater, die sich mit postrealistischen Stücken vielleicht noch etwas schwertun.

 

Weitere Termine:

Di., 8. Mai, 19.30 Uhr

Sa., 2. Juni, 19.30 Uhr

So.,17. Juni, 16.00 Uhr

Fr., 29. Juni, 19.30 Uhr

Von Tom Haas